Rezension über:

Ulrich van der Heyden: Rote Adler an Afrikas Küste. Die brandenburgisch-preußische Kolonie Großfriedrichsburg in Westafrika, 2. Auflage, Berlin: Selignow 2001, 104 S., 108 Abb., ISBN 978-3-93388-904-1, DM 49,90
Buch im KVK suchen

Rezension von:
Jürgen G. Nagel
Universität Trier
Redaktionelle Betreuung:
Gudrun Gersmann
Empfohlene Zitierweise:
Jürgen G. Nagel: Rezension von: Ulrich van der Heyden: Rote Adler an Afrikas Küste. Die brandenburgisch-preußische Kolonie Großfriedrichsburg in Westafrika, 2. Auflage, Berlin: Selignow 2001, in: sehepunkte 1 (2001), Nr. 2 [15.02.2001], URL: https://www.sehepunkte.de
/2001/02/3549.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Andere Journale:

Diese Rezension erscheint auch in PERFORM.

Ulrich van der Heyden: Rote Adler an Afrikas Küste

Textgröße: A A A

Auch wenn es noch immer gerne betont wird, ein vergessenes Kapitel deutscher Geschichte ist der Versuch des Großen Kurfürsten, mit einer eigenen Handelskompanie am frühneuzeitlichen Überseehandel teilzuhaben, inzwischen nicht mehr. Nachdem sich das Thema zur Zeit des deutschen Kolonialreiches unter Wilhelm II. eines grossen Interesses erfreute, ließ sich doch aus dieser Geschichte so herrlich eine Tradition stricken, die Wilhelms Streben nach dem "Platz an der Sonne" eine Legitimation verlieh, wurde es von der deutschen Geschichtswissenschaft danach weitgehend vergessen. Seit den 1980er Jahren erlebte es dann allmählich aber seine eigene Wiederentdeckung, ausgelöst durch eine populärwissenschaftliche Darstellung des ehemaligen deutschen Botschafters in Ghana (Hans Georg Steltzer: "Mit herrlichen Häfen versehen". Brandenburgisch-preußische Seefahrt vor dreihundert Jahren, Frankfurt/Main 1981). Dass der Anteil des Großen Kurfürten an der Europäischen Expansion heute mehr ist als nur eine blasse exotische Erinnerung, ist nicht zuletzt das Verdienst einer zweiten, 1993 erschienen Monographie, deren zweite Auflage hier anzuzeigen ist.

Die Rede ist, trotz der auf den ersten Blick geringen Seitenzahl, von einer umfassenden Darstellung, welche die gesamte Entwicklungsgeschichte des vom Verfasser als "Kolonialabenteuer" apostrophierten Geschehens einschließlich der Vor- und Rahmenbedingungen und der Nachwirkungen durchaus lebendig wiedererweckt. Sie beginnt mit der Vorgeschichte der unverwirklichten Versuche, als noch der ehemalige VOC-Admiral Gijsels van Lier den Großen Kurfürsten beriet, und fährt mit der großen Bedeutung des seeländischen Reeders Benjamin Raule, auf Grundlage dessen Pläne schließlich die Brandenburgisch-Africanische Compagnie (BAC) 1682 ins Leben gerufen wurde, fort. Den ersten Schwerpunkt bildet die Gründung der Festung Großfriedrichsburg, des Hauptsitzes der Kompanie an der ghanaischen Küste, sowie der drei kleineren Schanzen Accada, Taccrama und Taccorary. Im folgenden stehen Ausbau und Konsolidierung der brandenburgischen Niederlassungen im Mittelpunkt, ohne dass die Verhältnisse in Westafrika zur Zeit der westindischen Kompanien - die BAC konkurrierte immerhin mit den überlegenen Kompanien aus den Niederlanden, aus England und Dänemark - vernachlässigt werden. Auch die weiteren Stützpunkte der Brandenburger in Gestalt der ehemaligen französische Festung Arguin vor der Küste Mauretaniens - kaum mehr als ein sogenannter 'point of call' - und eine kleine Faktorei auf der Karibik-Insel St. Thomas, die sich zu dieser Zeit in dänischem Besitz befand, werden detailliert vorgestellt, bevor die Darstellung dem Sklavenhandel der BAC viel Raum widmet. Für die Kompanie war dieser von zentraler Bedeutung, während aus umgekehrter Sicht ihre Beteiligung am internationalen Sklavenhandel angesichts von vielleicht 30.000 (so die auf Steltzer basierende Schätzung des Verfassers), vielleicht auch nur 15.000 (so die Schätzung des Rezensenten) verkauften Sklaven allenfalls marginal war. Es folgen ausführliche Überlegungen zu den Gründen für den Untergang der Kompanie.

Abgerundet wird die Darstellung durch eine ausführliche, quellenbezogene Vorstellung des "schwarzen Preußen" Jan Conny, der als Mittelsmann mit der BAC zusammenarbeitete, bevor er nach deren Ende Großfriedrichsburg okkupierte - sicherlich die schillerndste Figur, welche diese Episode der Expansionsgeschichte der Nachwelt anzubieten hat.

Van der Heyden verarbeitet in seinem Buch fast vollständig das durch Veröffentlichungen bekannte Material über die BAC und ihre Niederlassungen. Zusätzliche Archivalien finden, folgt man den gelegentlich etwas willkürlich gesetzten Fußnoten, allerdings keine Verwendung.

Besonders auffällig, und zwar eindeutig im positiven Sinne, ist die Ausstattung des Bandes. Neben zahlreichen aufschlussreichen Zitaten aus zeitgenössischen Akten und Berichten, aus der Rezeptionsgeschichte und aus der modernen Forschung, wird vor allem umfangreiches Bildmaterial angeboten. Der Leser findet eine fast vollständige Sammlung der überlieferten zeitgenössischen Pläne und Ansichten zum Thema. Ergänzt werden diese durch seriöse Illustrationen, sorgfältige Rekonstruktionszeichnungen, Abbildungen aus Museen und nicht zuletzt durch einige Fotographien des Verfassers selbst, die den heutigen Zustand der Festung Großfriedrichsburg, die inzwischen auf der UNESCO-Liste des Weltkulturerbes zu finden ist, zeigen.

Alles in allem vermittelt die Kombination aus Darstellung des gegenwärtigen Forschungsstandes, Quellenauszügen und Bildmaterial zwar ein anschauliches Bild der brandenburgischen Afrika-Kompanie, ihrer Aktivitäten und ihrer Besitzungen. Doch in den Wein gehört auch Wermut. Dabei fällt weniger ins Gewicht, dass die Zitate eine Quellenangabe verdient hätten oder die Neuauflage zur aktuellen Ergänzung der Auswahlbibliographie hätte genutzt werden können. Auch die gelegentlich stilistische Schwerfälligkeit, die an den Tonfall einer historischen Seminararbeit erinnert, ist letztendlich eine Randerscheinung. Vielmehr tritt der Wermut in Form dreier deutlich größerer Tropfen in Erscheinung, die zumindest beim Rezensenten einen Nachgeschmack hinterließen.

Zum einen fällt der inflationäre Gebrauch von Begriffen wie 'Kolonie', 'Kolonialerwerbung', 'Kolonialeroberung' etc. auf. Dieser sprachliche Duktus, der schon im Untertitel deutlich wird, scheint doch allzusehr den Kolonialdarstellungen aus dem Kaiserreich entsprungen zu sein. Auch wenn man sich keinen verbindlichen Kolonialismus-Definitionen unterwerfen will, sollte nach dem heutigen Stand der Forschung doch klar sein, dass die Verwendung von Begriffen wie 'Kolonialherrschaft' für das ausgehende 17. und das frühe 20. Jahrhundert hieße, den schon bemühten Wermut mit Traubensaft vergleichen zu wollen. Die Brandenburger verfügten über eine Festung und drei weitere notdürftig befestigte Stützpunkte an der Goldküste. Mit den unmittelbar benachbarten Afrikanern unterhielten sie Beziehungen auf Vertragsbasis, wobei noch auszuzählen wäre, welche Seite die andere häufiger übervorteilte. Nicht selten gerieten diese Beziehungen aus dem Gleichgewicht, dann jedoch zumeist zum Nachteil der Europäer. Die übrigen Gebiete des vom Autor zur "Kolonie Großfriedrichsburg" erkorenen Küstenstreifens wagten die Brandenburger kaum zu betreten. Von einer Herrschaft über dieselben kann beim besten Willen also nicht die Rede sein.

Tatsächliche Kontrolle hatten sie lediglich über ihre Niederlassungen. Und um nichts anderes handelte es sich im Falle der Brandenburger wie aller anderen Konkurrenten, - um Niederlassungen, wie sie auch in der Logik einer Handelsgesellschaft lagen.

Zum anderen scheint sich der Verfasser, aus welchen unsichtbaren Gründen auch immer, einer gewissen 'political correctness' verpflichtet zu fühlen. Zu finden ist dies bei den Ausführungen, welche die Beziehungen zu den indigenen Einwohnern, insbesondere aber den Sklavenhandel thematisieren. Es scheint eine unausgesprochene Verpflichtung zu geben, dass man nur über solche Dinge schreiben darf, wenn man mindestens einmal pro Doppelseite die Verwerflichkeit des Ganzen betont. Dabei könnte man beispielsweise bei den angelsächsischen Kollegen und Kolleginnen lernen, wie Sklavenhandel oder koloniale Ausbeutung weniger bemüht und dennoch lesbar beschrieben werden kann. Nein, eine solche Selbstverpflichtung wie die oben angesprochene führt häufig nur zu Fehleinschätzungen. So werden die Verhältnisse in Westafrika zur Zeit der großen Handelskompanien immer wieder so dargestellt, dass den Europäer die Täterrolle und den Afrikaner die Opferrolle zufällt, dieser Darstellung entsprechend werden Afrikaner beim Handel stets betrogen und lernen erst durch Europäer eine Sklavenhaltung kennen, welche diesen Namen auch verdient...

Zu beiden Punkten sei jedoch folgendes bemerkt: Da der Verfasser nicht zu Unrecht als Kenner europäischer Expansions- und Kolonialgeschichte gilt, geschieht es mehrfach, dass nach einigen Seiten solche - der 'political correctnes' geschuldeten - Bemerkungen dann auch wieder durch Ausführungen quasi zurückgenommen werden, die einer weitaus komplexeren historischen Realität Rechnung tragen, wodurch der Text gelegentlich ein wenig ins Schwimmen gerät. So finden sich sowohl Passagen, zum Beispiel im Zusammenhang mit der Gründung von Großfriedrichsburg, in denen das schon damals auf Unterdrückung, Übervorteilung und Ausbeutung ausgerichtete Verhalten der "neuen Kolonialherren" betont wird, als auch solche, in denen - weitaus zutreffender - dem Leser nahegebracht wird, dass das Verhältnis zwischen Afrikanern und Europäern im 17. Jahrhundert in höherem Masse einer Partnerschaft und einem Vertragsverhältnis glich als der kolonialen Ausbeutung des Hochimperialismus.

Schließlich ist noch auf die Vernachlässigung der wirtschaftshistorischen Aspekte hinzuweisen. Durch das ganze Gerede vom Kolonialeroberungen und Kolonialbesitz gerät völlig in den Hintergrund, dass die BAC zuallererst als Handelsunternehmen gegründet worden war. Gerade im Zusammenhang mit den Niedergangsfaktoren fehlen - bedingt durch die Perspektive, die das Politische und Abenteuerliche vor das Wirtschaftliche stellt - wesentliche Faktoren wie die Konkurrenzlagen im Handel an der westafrikanischen Küste und auf dem Atlantischen Dreieck. Auch die völlig zutreffende Feststellung, dass chronischer Finanzmangel ein wesentlicher Geburtsfehler der Kompanie war, hätte in die ökonomischen Gesamtzusammenhänge eingeordnet werden müssen. Gleiches gilt für die eher marginale Stellung der Kompanie an der Goldküste und in der Karibik.

Ulrich van der Heydens Buch 'Rote Adler an Afrikas Küste' ist und bleibt eine lohnende Lektüre. In vielen Punkten darf seine Studie als fundierter und auch weitreichender gelten als die allzu farbige Darstellung Steltzers von 1981. Für eine eventuelle dritte Auflage wäre eine intensivere Überarbeitung, um nicht zu sagen: Durcharbeitung, des gesamten darstellenden Textes, allerdings sicherlich angebracht.

Jürgen G. Nagel