Rezension über:

Cornelia Pohlmann: Die Auswanderung aus dem Herzogtum Braunschweig im Kräftespiel staatlicher Einflußnahme und öffentlicher Resonanz 1720-1897 (= Beiträge zur Kolonial- und Überseegeschichte; Bd. 84), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2002, 373 S., ISBN 978-3-515-08054-5, EUR 76,00
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Rezension von:
Karl Heinrich Kaufhold
Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Georg-August Universität, Göttingen
Redaktionelle Betreuung:
Stephan Laux
Empfohlene Zitierweise:
Karl Heinrich Kaufhold: Rezension von: Cornelia Pohlmann: Die Auswanderung aus dem Herzogtum Braunschweig im Kräftespiel staatlicher Einflußnahme und öffentlicher Resonanz 1720-1897, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2002, in: sehepunkte 3 (2003), Nr. 1 [15.01.2003], URL: https://www.sehepunkte.de
/2003/01/2824.html


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Cornelia Pohlmann: Die Auswanderung aus dem Herzogtum Braunschweig im Kräftespiel staatlicher Einflußnahme und öffentlicher Resonanz 1720-1897

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Die Auswanderung hat als eine der bedeutenden demographischen und sozialen Erscheinungen besonders des 19. Jahrhunderts das rege Interesse der Forschung gefunden und sich in einer Vielzahl oft ergiebiger Veröffentlichungen niedergeschlagen. Dabei waren häufig Regionalstudien hervorzuheben, da in ihnen auch Einzelfragen und damit spezielle, gleichwohl nicht unwichtige Aspekte der Auswanderungsbewegung ausführlich dargestellt werden konnten.

Eine solche Untersuchung für das Fürstentum Braunschweig-Wolfenbüttel (erst seit 1815 Herzogtum Braunschweig; insoweit ist der Titel nicht ganz korrekt) für die Zeit seit Beginn von Nachrichten über die Auswanderung um 1720 bis zum Reichsauswanderungsgesetz 1897 ist hier anzuzeigen. Sie erhält ihren Akzent dadurch, dass staatliche Rechtsvorschriften und die Widerspiegelung von Auswanderungen in der öffentlichen Meinung betont einbezogen werden, zwei wichtige Größen, die zwar auch in anderen Studien nicht fehlen, hier aber besonders herausgestellt werden. Der zeitliche Schwerpunkt der Auswanderung lag in Braunschweig im 19. Jahrhundert, vor allem in den 1850er Jahren; um 1890 lief die Bewegung aus. Das wichtigste Zielland waren wie auch andernorts in dieser Zeit die USA, die mehr als 90% der Auswanderer aufnahmen.

Die Arbeit gliedert sich in zwei Teile, in einen knappen für das 18. und einen umfangreicheren für das 19. Jahrhundert. Im 18. Jahrhundert blieb die Auswanderungspolitik restriktiv, worin sich die kameralistisch orientierte "Peuplierung" niederschlug. Auswanderungen waren genehmigungspflichtig, und Werber dafür hatten mit staatlichen Maßnahmen gegen sie zu rechnen. Freilich gab es Ausnahmen, etwa die Förderung von Auswanderern, denen (wie bei den Harzer Bergleuten in den 1720er Jahren) die Erwerbsgrundlagen fehlten.

Das 19. Jahrhundert kennzeichnete auch in Braunschweig eine im Ganzen liberale Auswanderungsgesetzgebung. Hier machte sich der wirtschaftliche Druck durch die rasch steigende Übervölkerung in der ersten Hälfte des Jahrhunderts deutlich bemerkbar. Bis in die 1850er Jahre wurden Auswanderungen sogar durch finanzielle Beihilfen des Staates gefördert, was nicht selten der Abschiebung krimineller Elemente diente und zu Streitigkeiten mit den Aufnahmeländern, besonders den USA, führte. Ein charakteristisches Merkmal wurden mehr und mehr die Kettenwanderungen, indem diejenigen, die in der "Neuen Welt" ihr Glück gemacht hatten, andere nachzogen. Hier bewährte sich die überstaatliche Zusammenarbeit, auch mit Einrichtungen in den USA, die sich mehr und mehr entfaltete. Insgesamt betrieb der Staat eine kluge, zurückhaltende Politik und Verwaltungspraxis.

Die öffentliche Erörterung von Auswanderungsfragen erlebte zwischen 1830 und 1850 sowie in den 1880er Jahren ihren Höhepunkt. Dabei wurden meist interesseorientierte und daher recht unterschiedliche Standpunkte vertreten. Bis um 1850 überwog die positive Einschätzung; vor dem Hintergrund der wachsenden Bevölkerung war man froh über die Abgänge. Häufig wurde die Anlage eigener Siedlungskolonien diskutiert, um "Neudeutschland in Übersee" zu schaffen. Sie gelangen allerdings nur relativ selten, doch immerhin bei dem aus Blankenburg stammenden Hermann Blumenau als Begründer einer nach ihm benannten Kolonie in Brasilien. Solche Gründungen wurden meist privat organisiert, da die Staaten dafür zu schwach oder zu wenig interessiert waren. Der Nachzug aus dem Heimatland war hier sehr wichtig.

Die aus einer umfangreichen Quellengrundlage erarbeitete Studie wird nicht nur ihrem Thema voll gerecht, sondern bietet am Beispiel Braunschweigs zum gesamten Komplex der deutschen Auswanderung vor allem im 19. Jahrhundert viele Informationen und einen guten Überblick. Denn die Verfasserin versteht es, die zahlreichen, oft stark detaillierten Einzelzüge ihrer Darstellung in übergreifende Zusammenhänge einzuordnen. Ihre Arbeit wird damit für die Auswanderungsforschung über ihr Untersuchungsgebiet hinaus wertvoll.


Karl Heinrich Kaufhold