sehepunkte 3 (2003), Nr. 2

Veronika Lukas / Stephanie Haberer (Hgg.): Jakob Balde, Panegyricus Equestris (1628)

Die begrüßenswerteste Entwicklung in der Latinistik der vergangenen Jahre ist die Einbeziehung der neulateinischen Literatur in das Blickfeld der Forschung. Viel zu lange iat dieses überreich bestellte, gewaltige Feld die Domäne einiger weniger Spezialisten gewesen. Die klassischen Philologen drängte es gewöhnlich nur selten aus ihren antiken Gemäuern heraus, während die Vertreter der vergleichsweise jungen mittellateinischen Philologie vollauf mit ihrer Arbeit an der bunten literarischen Hinterlassenschaft einer tausendjährigen Epoche beschäftigt waren. Die lateinischen Autoren der Neuzeit wurden stiefmütterlich abgefertigt, sie befanden sich, wie der Latinist Harry C. Schnur einmal treffend geurteilt hat, "in einem Niemandsland, das" - soweit sie aus Deutschland stammten - "gelegentlich von Germanisten oder Latinisten kurz besucht wird [...] [sie] haben sich gewissermaßen zwischen die Stühle der Literaturen gesetzt."

Inzwischen aber haben viele Philologen begonnen, das Lateinische als eine durchgängige europäische Kultursprache zu begreifen und die verschiedenen Epochen ihrer Geschichte integrativ zu betrachten. Infolgedessen kann auch das Neulateinische an den Universitäten endlich junge, kräftige Wurzeln schlagen. Mehrere latinistische Institute dokumentieren den erweiterten Forschungshorizont mittlerweile auch sinnfällig in ihrem um das Neulateinische ergänzten Namen. Den vielleicht plakativsten Ausdruck hat diese neue Wertschätzung in der 1999 erfolgten Gründung eines eigenen Fachorgans, des Neulateinischen Jahrbuchs, gefunden.

Mit dem erwachten Interesse für die neulateinische Literatur ist auch Jakob Balde (1604-1668) wieder in den Blickpunkt gerückt. Einst Historiograf am Hofe Kurfürst Maximilians (seit 1646) und wegen seiner überaus vielseitigen, originellen und formal gewandten Dichtung in Europa als "deutscher Horaz" gefeiert, war dieser Jesuit aus dem elsässischen Ensisheim recht bald ins Abseits geraten. Bereits Herder fühlte sich am Ende des 18. Jahrhunderts dazu herausgefordert, den von ihm bewunderten Dichter, wie er sagte, nach langem Schlummer wieder aus seinem lateinischen Grab herauszuholen. Mit dem "Panegyricus equestris" machen Veronika Lukas und Stephanie Haberer eine Jugenddichtung Baldes zugänglich. Das 1485 Hexameter umfassende Werk feiert die Verleihung der Ritterwürde des Ordens vom Goldenen Vlies an Ott Heinrich Fugger durch den spanischen König Philipp IV. im Jahre 1627.

Der historische Kommentar Stephanie Haberers (179-194) bietet alle notwendigen Erläuterungen zur Entstehung des Ordens und dem mit ihm verbundenen politisch-religiösen Programm. Gegründet wurde er 1430 durch Herzog Philipp den Guten von Burgund. Der offenkundige Bezug auf den mythologischen Argonautenzug Jasons nach Kolchis sollte die Kreuzzugsidee gegen die Türken wirkungsvoll propagieren. Nachdem die Souveränität über den Orden auf die Habsburger übergegangen war, wurde er mit Ott Heinrich schließlich einem Spross der Fugger verliehen. Die Augsburger Handelsdynastie war dem Hause Habsburg als Geldgeber dienstbar gewesen. Kaiserliche Privilegien sicherten ihr den Aufstieg in den Reichsgrafenstand. In der Reformationszeit hatten sich die Fugger als standfest im alten Glauben erwiesen. In diesem Geiste hatten sie auch den jungen Jesuitenorden, dem Balde ja angehörte, nach Kräften gefördert. Ott Heinrich Fugger, 1592 in Augsburg geboren, schlug eine militärische Laufbahn ein und war wiederholt an Kriegszügen und Schlachten beteiligt. Baldes rühmende Schilderung seiner kriegerischen Erfolge wie seiner politischen Bedeutung überhaupt freilich wogt in Hyperbeln. In Ott Heinrich gipfelt gleichsam die Weltgeschichte, und nach seinem Tode wird er als Gestirn den Himmel zieren. Zutreffend schließt Haberer daraus, "daß die Suche nach der historischen Person im dichterischen Werk zwangsläufig in die Irre führt" (192).

Wenden wir uns der Dichtung und ihrer Übersetzung durch Veronika Lukas zu. Im Aufbau und in der Durchführung seines Panegyricus folgt Balde den spätantiken Vorschriften der Prunkrede, die ihren gültigen Ausdruck in den Traktaten der griechischen Rhetoren Menandros von Laodikeia und Aphthonios von Antiochia gefunden hatten. An ihnen hatte sich um 400 der römische Dichter Claudian ausgerichtet, namentlich in seinem Panegyricus auf das vierte Konsulat des Honorius. Vor allem diese Dichtung Claudians nimmt Balde sich für sein Preisgedicht auf Ott Heinrich zum Muster, wie Lukas in ihrer Einleitung aufzeigt und anhand zahlreicher wörtlicher Anklänge in den begleitenden Anmerkungen zu Text und Übersetzung nachweist.

Der lateinische Text folgt der Erstedition von 1628. Dabei übernimmt die Herausgeberin auch deren Interpunktion; die aber weicht bisweilen von der heutigen ab und verwirrt den modernen Leser eher, als dass sie ihn leitet. Hierfür nur ein Beispiel. In den Versen 436-439 sind nicht nur Haupt- und konjunktionaler Nebensatz durch einen Punkt voneinander getrennt, sondern sogar zwei durch et verbundene Kola innerhalb des Konjunktionalsatzes. In solchen Fällen hätte die Herausgeberin im Interesse der Verständlichkeit beherzter zu Werke gehen müssen. Erst recht gilt das für einige offenkundige Irrtümer oder Druckfehler der Erstedition. Lukas nimmt sie diplomatisch in den Text auf und verweist ihre eigenen sinnvollen Korrekturen oder Konjekturen in die Anmerkungen, so etwa in den Versen 484, 522, 534, 721, 863, 944 oder 1446. Das umgekehrte Verfahren wäre einleuchtender gewesen.

Die Übersetzung erweist Lukas' enge Vertrautheit mit Balde; sie ist weitgehend zuverlässig und besticht durch ihre geschmeidige, leichtflüssige Sprache. Dafür ist der Benutzer ebenso dankbar wie für die Erläuterungen im begleitenden Sachkommentar. Hier sind, wie bereits erwähnt, Similien zu Versen vor allem Claudians angeführt sowie Erklärungen zu den zahlreichen gelehrten mythologischen, geografischen und historischen Anspielungen im "Panegyricus equestris" vereint. Der Kommentar ist dringend geboten, tritt doch der junge Balde als "poeta doctus" auf, der in der römischen Dichtung zu Hause ist und die Gunst der Stunde nutzt, seine bestechende Gelehrtheit im antiken Kosmos eindrucksvoll zur Schau zu stellen. Das poetische Produkt oszilliert zwischen idealisierter Antike und überhöhter Gegenwart, verkörpert in der Gestalt Ott Heinrichs.

Balde stilisiert seinen Fugger zum Inbegriff des Römers. Gerade hier sind, wie mir scheint, noch manche literarischen Bezüge zu entdecken, die nicht ohne Bedeutung für Interpretation und Übersetzung sind. Geboren wurde Ott Heinrich in Augsburg: "Nascitur Augustae", verkündet Balde, und man glaubt eine frohe Genugtuung aus diesen Worten zu vernehmen (Vers 493); immerhin trägt die Stadt ihren Namen nach Kaiser Augustus. Und dieser wiederum hat, wie Sueton in seiner Augustus-Biographie 29,2 berichtet, im Zentrum des von ihm errichteten Forums dem Mars Ultor einen Tempel erbauen lassen. Nimmt es da wunder, wenn sich Kriegsgott Mars sogleich des neugeborenen Ott Heinrich wie eines Sohnes annimmt und ihm rühmliche Taten verheißt? Das Knäblein in der Wiege wird dereinst als ultor (!) dem Aufstand der Böhmen ein Ende bereiten (Verse 512-514). Schauplatz des Ereignisses wird der Weiße Berg sein, prophezeit Mars: "[Iam specto] Pragae [...] rebellis / Funus in Albano mixtum decumbere cliuo" (Verse 509-510). Die Behauptung Stephanie Haberers, der Dichter erwähne diese Schlacht mit keinem Wort (189, Anm. 30 und 192), trifft also nicht zu. Bemerkenswert ist auch in diesen Versen der betont römische Akzent. Balde verschmäht das zu erwartende Adjektiv "albus" zugunsten des ungewöhnlichen "Albanus". Natürlich spricht er vom Weißen Berg bei Prag, doch er meint zugleich Rom: Der mons Albanus ist die höchste Erhebung der Albaner Berge; von ihm etwa lässt Vergil die Göttermutter Juno auf die Stadt Laurentum und das Heer der Trojaner herabschauen (Aeneis 12,134).

Aber noch nachdrücklicher kehrt unser Dichter heraus, dass ihm auch und gerade die nachvergilische Epik Vorbild ist. Hin und wieder weist die Herausgeberin einen Vers aus dem "Bellum civile" Lucans als Muster für Balde nach. Weitere Reminiszenzen an dieses Epos lassen sich ausmachen, von denen hier freilich nur wenige angeführt werden können. Der im Vers 668 formulierte Gedanke: "Quidquid adhuc gessit, tantum est fortuna vocandum", ist bei Lucan 5,292 vorgeprägt: "quidquid gerimus, fortuna vocatur". Auch Vers 554: "[maiorque voluptas nulla fuit, quam] ipsam iactu telorum umbrare Syenen", findet seine Erklärung in einer Lucan-Stelle. Lukas' Vermutung, Grundlage könne eine Anekdote bei Herodot sein (93, Anm. 165), geht in die Irre. Vielmehr spielt Balde darauf an, dass Syene (das heutige Assuan) unmittelbar am nördlichen Wendekreis liegt und deshalb am Mittag keinen Schatten kennt. Bei Lucan 2,587 heißt es in der Rede des Pompeius: "umbras nusquam flectente Syene". Das gleiche Motiv begegnet bei Statius, Thebais 4,739: "nullaque umbratam nube Syenen". Wieder liegt also eine poetische Hyperbel vor, wenn der kleine Ott Heinrich in kindlichem Spiel seine Geschosse so rasch und geschickt schleudert, dass er mit ihnen selbst am Wendekreis Schatten zu spenden und folglich die Gesetze der Natur zu überwinden vermag. - Dieselben geografischen Breiten berührt Vers 475: "quem siccus tortis non cornibus arietat Ammon". Zutreffend erkennt Lukas darin eine "Anspielung auf den Wüstenzug Alexanders zum Heiligtum des widderköpfigen Zeus Ammon in Ägypten" (87, Anm. 149). Formales Vorbild ist aber auch hier Lucan. Der Juppiter der Garamanten in Libyen sei, so schreibt er 9,514, "tortis cornibus Hammon". In den folgenden Versen bis 532 schildert Lucan die klimatischen Verhältnisse dortselbst, die Dürre des Landes ebenso wie den fehlenden Schatten zur Zeit der Tag- und Nachtgleiche. - Zu den Hosen aus Narbo - Vers 440: "Sunt qui Narbonis braccas [commendant]" - sei bemerkt, dass im spätmittelalterlichen Narbonne der Tuchhandel blühte.[1] Möglicherweise hat unser Dichter mit dieser Bemerkung ja eine (zeitgenössische?) Anspielung im Sinne, die es zu erhellen gälte.

Weitere Hinweise wollen wir uns versagen und ein Resümee ziehen. Mit der Ausgabe von Baldes "Panegyricus equestris" haben Lukas und Haberer ein sehr erfreuliches Buch vorgelegt, das den Literaturwissenschaftler ebenso anspricht wie den Historiker. Der eine wird darin ein beachtliches, aus großer poetischer Tradition schöpfendes Produkt finden, der andere wird das Zeugnis eines Mannes erkennen, der im Konfessionellen Zeitalter mit seiner Dichtung ein Zentrum der katholischen Macht offensiv repräsentierte.

Anmerkung:

[1] Vgl. Jacques Michaud / André Cabanis (Hg.): Histoire de Narbonne, Toulouse 1981, S. 147-151.


Rezension über:

Veronika Lukas / Stephanie Haberer (Hgg.): Jakob Balde, Panegyricus Equestris (1628). Edition und Übersetzung mit einem historischen Kommentar (= Documenta Augustana; Bd. 8), Augsburg: Wißner 2002, 200 S., 2 Abb., ISBN 978-3-89639-333-3, EUR 15,00

Rezension von:
Heinz Erich Stiene
Institut für Altertumskunde, Universität zu Köln
Empfohlene Zitierweise:
Heinz Erich Stiene: Rezension von: Veronika Lukas / Stephanie Haberer (Hgg.): Jakob Balde, Panegyricus Equestris (1628). Edition und Übersetzung mit einem historischen Kommentar, Augsburg: Wißner 2002, in: sehepunkte 3 (2003), Nr. 2 [15.02.2003], URL: https://www.sehepunkte.de/2003/02/2592.html


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