Rezension über:

Karsten Eichner: Briten, Franzosen und Italiener in Oberschlesien 1920-1922. Die interalliierte Regierungs- und Plebiszitkommission im Spiegel der britischen Akten (= Beihefte zum Jahrbuch der Schlesischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Breslau; Bd. 13), St. Katharinen: Scripta Mercaturae Verlag 2002, III + 289 S., 6 Karten, 6 s/w-Abb., ISBN 978-3-89590-124-9, EUR 27,00
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Rezension von:
Roland Gehrke
Stuttgart
Redaktionelle Betreuung:
Winfried Irgang
Empfohlene Zitierweise:
Roland Gehrke: Rezension von: Karsten Eichner: Briten, Franzosen und Italiener in Oberschlesien 1920-1922. Die interalliierte Regierungs- und Plebiszitkommission im Spiegel der britischen Akten, St. Katharinen: Scripta Mercaturae Verlag 2002, in: sehepunkte 3 (2003), Nr. 9 [15.09.2003], URL: https://www.sehepunkte.de
/2003/09/3757.html


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Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.

Karsten Eichner: Briten, Franzosen und Italiener in Oberschlesien 1920-1922

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Der deutsch-polnische Konflikt um Oberschlesien, dessen Schlichtung mittels einer unter multinationaler Kontrolle abzuhaltenden Volksabstimmung in Artikel 88 des Versailler Vertrages verfügt worden war, ist schon vielfach Gegenstand der historischen Forschung gewesen. Eine Gesamtdarstellung der Arbeit der aus Franzosen, Briten und Italienern zusammengesetzten Interalliierten Kommission (IK), die von Anfang 1920 bis Mitte 1922 faktisch die Regierungsgewalt in Oberschlesien innehatte, fehlte bislang aber.

Karsten Eichner erhebt den Anspruch, diese Lücke mit seiner im Vorjahr erschienener Dissertation zu schließen. Seine Darstellung, die die Vorgeschichte des Konflikts leider nur sehr kursorisch streift und dessen eigentliche Ursachen ignoriert, ist chronologisch und orientiert sich an den wesentlichen Zäsuren. Es wird deutlich, wie sehr die Arbeit der IK den wachsenden französisch-britischen Gegensatz widerspiegelte, wobei der umstrittene IK-Präsident General Le Rond und sein überforderter Stellvertreter Oberst Percival die Gegenpole bildeten. Schon die starke militärische Dominanz der Franzosen sorgte dafür, dass die englische Forderung nach "Fair play" und nach Neutralität immer wieder auf der Strecke blieb. Erst als polnische Insurgenten sich über das Resultat der Volksabstimmung vom 20. März 1921 - knapp 60% hatten für den Verbleib Oberschlesiens bei Deutschland gestimmt - mit Waffengewalt hinwegzusetzen versuchten, griff London militärisch in den Konflikt ein und erzwang so eine Beruhigung der Lage. Gleichwohl konnte die englische Regierung nicht verhindern, dass gemäß dem Spruch des Völkerbundrates vom Oktober 1921 das wertvolle oberschlesische Industrierevier größtenteils an Polen fiel.

Geschichtstheoretische Ansätze werden in Eichners Studie nicht berücksichtigt; seine Herangehensweise ist eher konventionell, die Darstellung positivistisch-deskriptiv. In groben Linien ist die Materie zwar seit langem bekannt, doch vermag Eichner den archivalischen Quellen noch manch interessantes Detail zu entlocken. Wie schon aus dem Untertitel erhellt, beschränkt er sich jedoch auf die englische Sicht der Dinge. Die hierfür angeführte Begründung, das Plebiszit sei letztlich ja auf die Initiative des Premierministers Lloyd George zurückzuführen gewesen, erscheint etwas fragwürdig, zumal eine gewisse Einseitigkeit in der Darstellung fast zwangsläufig die Folge ist. So wird die offen propolnische Haltung Le Ronds zwar zu Recht kritisiert, das dahinterstehende Konzept der französischen Osteuropapolitik aber bestenfalls an der Oberfläche abgehandelt.

Was die Sekundärliteratur betrifft, stützt Eichner sich weitgehend auf deutsche und englischsprachige Titel. Einige wesentliche polnische Arbeiten werden in Einleitung und Literaturverzeichnis zwar genannt, sind in die Darstellung aber offenbar nicht wirklich eingearbeitet worden. Dass die polnische Forschung sich des Themas vor allem vor 1990 stark unter nationalpolitischem Vorzeichen und entsprechend propagandistisch angenommen hat, ist fraglos zutreffend, umso wertvoller wäre hier aber eine inhaltliche Auseinandersetzung gewesen.

Bedauerlich auch, dass es sich bei der "Schlußbetrachtung" (252-262) letztlich doch nur um eine Zusammenfassung handelt; ein Ausblick auf weitere Forschungsfelder oder auch ein lohnender Vergleich der Situation in Oberschlesien mit den anderen Plebiszitgebieten (Schleswig, Allenstein/Marienwerder) unterbleibt. So muss das Fazit ambivalent ausfallen: Wer vor allem an einem kompakten Überblick über die internationale Dimension des Oberschlesienkonflikts zwischen 1920 und 1922 interessiert ist, dem wird diese faktenreiche und flüssig geschriebene Studie wertvolle Dienste leisten. Hinter aktuellen Forschungsansätzen, die im Zusammenhang mit Oberschlesien zwischen deutschen und polnischen Historikern derzeit diskutiert werden und insbesondere um die Konfliktgenese in ethnisch gemischten Grenzregionen kreisen, bleibt das Buch aber leider deutlich zurück.

Roland Gehrke