Rezension über:

Rainer Schoch / Matthias Mende / Anna Scherbaum (Bearb.): Albrecht Dürer. Das druckgraphische Werk. Bd. II: Holzschnitte und Holzschnittfolgen, München: Prestel 2002, 559 S., 420 Abb., ISBN 978-3-7913-2523-1, EUR 125,00
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Rezension von:
Annette Kranz
Bayerische Staatsgemäldesammlungen, München
Redaktionelle Betreuung:
Gabriele Wimböck
Empfohlene Zitierweise:
Annette Kranz: Rezension von: Rainer Schoch / Matthias Mende / Anna Scherbaum (Bearb.): Albrecht Dürer. Das druckgraphische Werk. Bd. II: Holzschnitte und Holzschnittfolgen, München: Prestel 2002, in: sehepunkte 3 (2003), Nr. 11 [15.11.2003], URL: https://www.sehepunkte.de
/2003/11/3444.html


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Rainer Schoch / Matthias Mende / Anna Scherbaum (Bearb.): Albrecht Dürer

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Der vorliegende Katalog der Holzschnitte und Holzschnittfolgen Albrecht Dürers stellt - nach dem im Vorjahr erschienenen Verzeichnis der Kupferstiche, Eisenradierungen und Kaltnadelblätter [1] - die Fortsetzung des auf drei Bände angelegten Gesamtkataloges zur Druckgrafik dar. Trug diese wesentlich zu Dürers Ruhm schon zu Lebzeiten bei, so kommt vice versa gerade dem Nürnberger das Verdienst zu, die Möglichkeiten des Holzschnitts erkannt zu haben. Dürer perfektionierte das Medium, entwickelte den Holzschnitt zur autonomen Kunstform und stellte ihn dem Tiefdruck ebenbürtig an die Seite.

Auch für Band II des Kataloges wurden, soweit möglich, als Reproduktionsvorlagen Blätter aus der exzellenten Sammlung Otto Schäfer gewählt. Der immense Umfang des Materials erforderte nun die Mitwirkung einer Reihe weiterer Spezialisten und eine Aufteilung. In Abgrenzung von den für Band III in Aussicht stehenden Buchillustrationen sind hier die Einblattholzschnitte und Holzschnittfolgen Gegenstand der Untersuchung, wobei die Gebiete freilich nicht immer kategorisch zu trennen sind, wie die Nutzungen vieler Blätter belegen. Waren gerade die Folgen der "Apokalypse", "Großen Passion", "Kleinen Passion" und des "Marienlebens" zunächst genau genommen Buchillustrationen, so wurden viele Blätter schon bald einzeln verkauft.

Der Band gliedert sich in zwei einleitende Beiträge, die den frühen Ordnungssystemen der Druckgrafik Dürers und seinen Riesenholzschnitten gelten, sowie einen ausführlichen Katalog, dessen Zählung sinnvoll an die Nummern des ersten Bandes anschließt. Die großen Holzschnittfolgen werden ihrem thematischen Zusammenhang nach behandelt und ins chronologisch aufgebaute Werkverzeichnis jeweils im Jahr des ersten Erscheinens eingereiht, sodass die Serien Gelegenheit für den vergleichenden Blick bieten. Perspektivreiche Einführungen innerhalb des Katalogteils markieren die Holzschnittfolgen und setzen Zäsuren vor Werkkomplexen wie etwa dem "Schlechten Holzwerk", den "Sechs Knoten" oder den Arbeiten für Maximilian I. Etwas zaghaft als "ausgeschiedene und zweifelhafte Werke" (492) betitelt, beschließen 24 hier abgelehnte Blätter den Katalog.

Im Anhang finden sich hilfreiche Konkordanzen zu Bartsch 1808, Passavant 1862, Meder 1932 und Strauss 1980. Auch Band II verzichtet auf ein allgemeines Register und stellt erneut nur ein Verzeichnis der Blätter nach Themen zur Verfügung. Auflagenstärker als der Kupferstich, erschloss Dürer mit dem Holzschnitt ein Medium der Reproduktionstechnik, das entscheidend zu seinem internationalen Ruf beitragen sollte.

Die Produktionsweise für den Holzschnitt verlangte, dass Dürers Risse von Mitarbeitern der Werkstatt in seitenverkehrte Versionen überführt und anschließend vom Formschneider auf den Holzstock übertragen wurden. Im Gegensatz zum Tiefdruckverfahren des Kupferstichs, dessen Herstellung in den Händen des Meisters lag, bestand Dürers Anteil im Holzschnitt namentlich in der Vorzeichnung. Macht die arbeitsteilige Entstehung generell Urteile in Zuschreibungsfragen schwieriger, so ist speziell für Dürer aufgrund des umgehenden Erfolges seiner Druckgrafik zusätzlich mit unautorisierten Wiederholungen, mit Kopisten und Nachahmern zu rechnen. Die Zahl der noch heute hinsichtlich der Autorschaft in Diskussion stehenden Blätter verdeutlicht die Problematik.

In einem wissenschaftsgeschichtlichen Überblick zeichnet Matthias Mende die frühen Bemühungen um Erfassung und Ordnung der Druckgrafik Dürers nach, für die erst im 19. Jahrhundert mit Adam Bartsch und Joseph Heller eine wissenschaftliche Bearbeitung einsetzen sollte. Während König Christian II. von Dänemark nachweislich, Willibald Imhoff mit hoher Wahrscheinlichkeit Dürersche Blätter besaßen, können weitere frühe (Nürnberger) Sammlungen sowie Schenkungen des Künstlers an Humanisten und Patrizier nur im Analogieschluss vermutet werden. Das "Kunstbuch" aus dem Besitz Erzherzog Ferdinands II. von Tirol überliefert aus der Zeit um 1560 das älteste gebundene Konvolut an Druckgraphik Dürers, das als kunstkammerhaftes Repräsentationsstück jedoch kaum Ordnungskriterien aufweist. Erste handschriftliche Verzeichnisse aus dem 17. Jahrhundert zielen neben der technischen Differenzierung bereits auf eine thematisch-ikonographische Klassifizierung. Hinsichtlich der Autorschaft war zunächst oft einzig Dürers Monogramm ausschlaggebend. Durch bemerkenswerte Vollständigkeit zeichnet sich 1618 der Katalog des Paulus III. Behaim aus, der auch Werke der Dürer-Schule und -Nachfolge umfasst. Kennerschaft lässt zudem Johann Hauer erkennen, der schon berechtigtes Misstrauen gegen seinerzeit unter dem Sammelnamen Dürer laufende Blätter zeigt.

Stützen sich die ersten gedruckten Kataloge aus dem 18. Jahrhundert zunächst auf die handschriftlichen Verzeichnisse, die bis zu Adam Bartschs "Peintre-Graveur" relevant blieben, so wurden die Beschreibungen der nun (aus heutiger Sicht oft noch irrig) betitelten Blätter durch die exakte Wiedergabe von Inschriften und genauere Maßangaben ergänzt. Eine (zukunftsweisende) chronologische Ordnung versuchte erstmals David Gottfried Schöber 1769, der mit Recht auch "Werkstattgut" (23) unter den Arbeiten Dürers vermutete. 1778 legte Heinrich Sebastian Hüsgen das erste wissenschaftlicher ausgerichtete, systematisch gegliederte und für die praktische Benutzung konzipierte Verzeichnis vor. Erst im 19. Jahrhundert sollten Fragen nach Eigenhändigkeit, Datierung, zeitgenössischen und posthumen Drucken stärker ins Blickfeld der Forschung rücken. Obwohl Dürers Grafik europaweit geschätzt wurde, konzentrieren sich die frühen Versuche einer systematischen Klassifizierung weitgehend auf Nürnberg. Erhellend sind daher Mendes Skizzierungen der Biografien der Autoren, ihrer Motivation und Intention; mit Blick auf ihre Querverbindungen wird zudem präzis die jeweilige Leistung dieser frühen "Dürer-Forscher" herausgestellt.

Dagmar Eichberger führt in das Phänomen der Riesenholzschnitte des 16. Jahrhunderts ein, die als Sonderformen in diverser Hinsicht lange außerhalb der Kunstgeschichte standen. Traten ganzseitige Holzschnitte bereits bei den großen Serien in ein gleichberechtigtes Wechselspiel zum Text, so verliert der Hochdruck mit den repräsentativ oder dekorativ verwendeten Riesenholzschnitten, d. h. im Typus des Einzelbildes oder als Rapport, endgültig seine Gebundenheit an die Schrift. Nach Bemerkungen zu Geschichte, Herstellung und Nutzung des noch jungen Riesenholzschnitts widmet sich Eichberger den ehrgeizigen Großprojekten Kaiser Maximilians I., der früh das Potenzial der Druckgrafik generell wie des speziellen Formats erkannte. Fragen nach Dürers Anteil an "Triumphzug" und "Ehrenpforte", nach seiner Verantwortlichkeit im Gesamtkonzept und künstlerischen Souveränität können in diesem Rahmen freilich nur angerissen werden; mit Thomas Schauerte zeichnet jedoch ein weiterer Experte für die diesbezüglichen, profunden Einträge (jeweils mit umfassendem wissenschaftlichen Apparat) im Katalogteil verantwortlich. Ein Blick auf die so genannten Wandtapeten zeigt knapp humanistische bzw. "bürgerliche" Alternativen im Bereich des Riesenholzschnitts auf.

Der ausführliche Katalogteil folgt der Systematik von Band I. Nach den technischen Daten zu jeder Nummer sind die um weitere Aufbewahrungsorte ergänzten Zustandsangaben Meders verzeichnet. Forschungsstand und Beschreibung werden ergänzt durch die ikonographische Einordnung der Darstellung; grundsätzlich bemerkenswert ist der erfrischende Umgang mit noch offenen Fragen. Neue Beobachtungen am Holzstock vermögen letztlich nicht darüber hinwegzutäuschen, wie wenig auch über die Nutzung von Holzstöcken und Kupferplatten nach dem Tod des Künstlers bekannt ist. Hinweise auf Kopien bzw. Paraphrasen des Themas in anderer Technik beschließen gegebenenfalls den einzelnen Katalogeintrag, dem sich eine Auswahlbibliographie und ein begrenzter Fußnotenapparat angliedern. Mit diesem zweiten Band rückt die Forschung nach Jahrzehnten einem kritischen Handbuch in deutscher Sprache zum druckgraphischen Werk Albrecht Dürers einen weiteren Schritt näher.

Anmerkung:

[1] Vgl. Annette Kranz: Rezension von Matthias Mende / Rainer Schoch (Bearb.): Albrecht Dürer. Das druckgraphische Werk in drei Bänden. Bd. I: Kupferstiche und Eisenradierungen, München: Prestel 2000, in: sehepunkte 1 (2001), Nr. 1 [15.11.2001], URL: http://www.sehepunkte.de/2001/01/s3791324349.html

Annette Kranz