Rezension über:

Alexander Holland: Johann Friedrich Eosander genannt von Göthe (1669-1728). Anmerkungen zu Karriere und Werk des Architekten, Ingenieurs und Hofmannes am Hof Friedrichs I. in Preußen, Weimar: VDG 2002, 370 S., 129 s/w-Abb., ISBN 978-3-89739-274-8, EUR 39,50
Buch im KVK suchen

Rezension von:
Stephan Hoppe
Kunsthistorisches Institut, Universität zu Köln
Redaktionelle Betreuung:
Hubertus Kohle
Empfohlene Zitierweise:
Stephan Hoppe: Rezension von: Alexander Holland: Johann Friedrich Eosander genannt von Göthe (1669-1728). Anmerkungen zu Karriere und Werk des Architekten, Ingenieurs und Hofmannes am Hof Friedrichs I. in Preußen, Weimar: VDG 2002, in: sehepunkte 3 (2003), Nr. 12 [15.12.2003], URL: https://www.sehepunkte.de
/2003/12/1444.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Andere Journale:

Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.

Alexander Holland: Johann Friedrich Eosander genannt von Göthe (1669-1728)

Textgröße: A A A

Es lässt sich leider nicht behaupten, dass Johann Friedrich Eosander ein komfortabler Platz in der deutschen Kunstgeschichte zugefallen wäre. Am besten dürfte der 1669 in Stralsund geborene frühneuzeitliche Militär, Hofmann und Architekt heute noch für seine vollendenden Baumaßnahmen am Berliner Stadtschloss bekannt sein, wo er die Flügel um den westlichen Schlosshof baute. Diese Verantwortlichkeit konnte ihm bekanntlich erst zuwachsen, nachdem Andreas Schlüter in Verbindung mit der Affäre des nicht standsicheren Münzturmes 1706 die Bauleitung entzogen worden war.

Johann Friedrich Eosander ist deshalb bereits im späten 18.Jahrhundert in dieser Angelegenheit zu einem regelrechten Rivalen Schlüters stilisiert worden, der sich durch negative Gutachten zu den konstruktiven Fähigkeiten des Bildhauer-Architekten erst den Weg zu eigener Entwurfstätigkeit an diesem Bau freigemacht habe. Vor der Folie der prägnanten künstlerischen Handschrift Andreas Schlüters konnte zudem das nur in Teilen überhaupt bekannte und in den Details der Zuschreibungen bis heute umstrittene architektonische und bildnerische Wirken Eosanders kaum eine solche ästhetische Wirkung entfalten, dass hier eine weitere geniale Künstlerpersönlichkeit im Berlin der Barockzeit zu feiern gewesen wäre.

In dieser Situation füllt das aus einer durch Hellmut Lorenz betreuten Berliner Dissertation (FU) hervorgegangene Buch von Alexander Holländer verdienstvoll eine Lücke. Es ist sicherlich kein Zufall, dass es mit Lorenz' vorzüglicher Habilitationsschrift über den fast zeitgleich in Wien tätigen Barockarchitekten Domenico Martinelli [1] den grundsätzlichen Ansatz teilt, neben den "Stars" der jeweiligen regionalen Kunstszene und Kunstgeschichtsschreibung nun bislang eher vernachlässigte Künstlerpersönlichkeiten und ihr Werk genauer als bisher zu fokussieren.

Anders allerdings als Martinelli und auch Schlüter konnte Friedrich Eosander am Anfang seines Berufslebens kaum Kontakte zur Kunstentwicklung im engeren Sinn knüpfen. Er begann seine Laufbahn als Militäringenieur, der sich eher nebenbei in der zivilen Architektur weiterbildete. Holland hebt mehrfach hervor, dass sich die Zivilarchitektur für Eosander als besonders taugliches Medium des beruflichen und sozialen Aufstiegs dargestellt haben muss, da dieses Metier ihn an das Netzwerk höfischer Protektion heranführte. Seine Stunde kam mit den Prätentionen des brandenburgischen Kurfürsten, adäquat zur avisierten königlichen Rangerhöhung auch als Initiator einer glänzenden und mäzenatischen Hofhaltung gelten zu können.

Am 17. Februar 1699 wurde Eosander zum kurbrandenburgischen Kapitän und Hofarchitekten bestellt. Bereits in seinem ersten Dienstjahr konnte er seine Kenntnisse auf einer Studienreise nach Frankreich erweitern. In dem ständig nach besonderen Talenten verlangenden sozialen Biotop des brandenburgisch-preußischen Hofes kam es Eosander zugute, dass er offensichtlich eine Begabung als Mediator und Kommunikator besaß, die besonders die Kurfürstin und dann Königin Sophie Charlotte als Auftraggeberin zu schätzen wusste. Eosander machte sich einen Namen als Organisator und Entwerfer der Requisiten verschiedener Staatsakte und Festivitäten; so erscheint es sachlich fast folgerichtig, dass er als Architekt vor allem in der Sphäre der höfischen und adeligen Lustgebäude tätig wurde. In geschickter Adaption der französischen Baukultur der Maison de plaisance mit ihrem rationalistischen und lehrbaren Ansatz und unter Verwendung des mittlerweile als europäisch zu nennenden Typen- und Motivkanons jener Zeit gelangen ihm elegante Lösungen, die den Ansprüchen ihrer jeweiligen Auftraggeber sicherlich gut entsprachen. Bis 1716 baute er an den Schlössern Oranienburg, Charlottenburg, Monbijou und schließlich eben auch am Berliner Stadtschloss.

Das Aus für Eosanders Wirken am Berliner Hof kam, als der Nachfolger König Friedrichs I., der so genannte Soldatenkönig, den Aufwand für die Hofhaltung radikal kürzte und kein Bedarf mehr für die ausgreifenden Projektierungen des Vaters bestand. Es mutet heute seltsam an, dass Eosander in der Folgezeit bis auf eine Ausnahme (Übigau vor Dresden) wahrscheinlich nie mehr eine Architektur entworfen hat. Als Verleger und später wieder als Militär am polnisch-sächsischen Hof gelang ihm auch unter den veränderten Verhältnissen eine bemerkenswerte Karriere; dem modernen Bild eines von innerer Berufung getriebenen Künstlers entsprach dieses Verhalten aber ganz und gar nicht.

An diesem Punkt liegt nicht nur ein zentrales Charakteristikum in der Biografie des Eosander von Göthe, sondern auch ein Problem der Untersuchung von Alexander Holland. Mit Absicht firmiert sie als Darstellung sowohl des Werkes als auch des Lebens (Karriere) jenes Mannes, der immerhin für mehrere bedeutende Architekturen am Berliner Hof verantwortlich war. Anders als in dem fernen Pendant von Panofskys Leben und Werk Albrecht Dürers bleibt beim Nachvollzug der vorliegenden Arbeit aber leider der Zusammenhang der beiden Perspektiven im konkreten Fall eher unklar. Sicherlich eignete sich die Vita des Eosander von Göthe schlecht zur Stilisierung einer Künstlerpersönlichkeit nach dem Muster der Florentiner Kunstgeschichtsschreibung des 16. Jahrhunderts. Trotzdem ist dem Text immer wieder anzumerken, dass dort zumindest mittelbar doch gewisse Koordinaten der Beurteilung gesucht werden. So etwa, wenn am Ende das Negativfazit aufgestellt wird, Eosander habe keinen "unverwechselbaren Personalstil" (246) hervorgebracht.

Es stellt sich deshalb die grundsätzliche Frage, ob das überaus spannende Thema des beruflichen und gesellschaftlichen Hintergrundes von künstlerisch tätigen Akteuren an den Höfen der Frühen Neuzeit und seine Auswirkungen auf das Werk in dieser monographischen Untersuchung den angemessenen Rahmen gefunden hat. Sicherlich ist der hier Gewählte eine griffige Schablone für die Durchführung eines Dissertationsvorhabens, und die Kritik sollte deshalb nicht zu sehr auf das vorliegende Buch bezogen werden. Trotzdem möchte man insistieren, dass gerade diese Arbeit einige nicht unwichtige Fragen nach dem methodischen Zugriff auf solches Material aufwirft. Es ist ein unzweifelhafter Verdienst von Holland, der sich in seiner Arbeit fast mit Händen greifen lässt, dass Eosander von Göthe sich selbst nicht als ein "Künstler" im klassischen Sinn verstanden hat, und dass ein solches Selbstverständnis von ihm am Hof auch nicht erwartet worden ist. Schlaglichtartig kann deshalb auch diese Untersuchung andeuten, dass unsere traditionellen kunsthistorischen Kategorien und poetologischen Strategien (in freier Anlehnung an den Historiker Hayden White [2]) mit der Realität frühneuzeitlicher Hofkunst manchmal nur mit Mühe in Deckung zu bringen sind. Es ist ein Verdienst der Untersuchung, dies veranschaulicht zu haben, ein Defizit jedoch, es nicht präziser formuliert und analytisch verfolgt zu haben.

Anmerkungen:

[1] Hellmut Lorenz: Domenico Martinelli und die österreichische Barockarchitektur. Wien 1991.

[2] Hayden White: Metahistory. Die historische Einbildungskraft im 19. Jahrhundert in Europa. Frankfurt a.M. 1991.

Stephan Hoppe