Rezension über:

Reinhard Hildebrandt (Hg.): Quellen und Regesten zu den Augsburger Handelshäusern Paler und Rehlinger 1539-1642. Wirtschaft und Politik im 16./17. Jahrhundert, Teil 2: 1624-1642 (= Deutsche Handelsakten des Mittelalters und der Neuzeit; Bd. XIX,2), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2004, 316 S., ISBN 978-3-515-08399-7, EUR 68,00
Buch im KVK suchen

Rezension von:
Mark Häberlein
Historisches Seminar, Albert-Ludwigs-Universität, Freiburg/Brsg.
Redaktionelle Betreuung:
Stephan Laux
Empfohlene Zitierweise:
Mark Häberlein: Rezension von: Reinhard Hildebrandt (Hg.): Quellen und Regesten zu den Augsburger Handelshäusern Paler und Rehlinger 1539-1642. Wirtschaft und Politik im 16./17. Jahrhundert, Teil 2: 1624-1642, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2004, in: sehepunkte 4 (2004), Nr. 7/8 [15.07.2004], URL: https://www.sehepunkte.de
/2004/07/4357.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Reinhard Hildebrandt (Hg.): Quellen und Regesten zu den Augsburger Handelshäusern Paler und Rehlinger 1539-1642

Textgröße: A A A

Seit Jahrzehnten wird in der wirtschaftshistorischen Literatur kontrovers über die Frage diskutiert, ob der oberdeutsche Handels- und Finanzkapitalismus bereits vor dem Dreißigjährigen Krieg in einer Krise steckte oder erst durch den Krieg selbst entscheidend geschwächt wurde. Die Forschungen des Aachener Frühneuzeithistorikers Reinhard Hildebrandt laufen der These vom "Niedergang" der reichsstädtischen Kaufmannschaft vor 1618 zuwider, haben sie doch eine Vielzahl von Belegen für die Leistungs- und Anpassungsfähigkeit der süddeutschen merchant-bankers im späten 16. und frühen 17. Jahrhundert erbracht. So zeigen die im 1996 erschienenen ersten Band der "Quellen und Regesten zu den Augsburger Handelshäusern Paler und Rehlinger" publizierten Dokumente, wie das Handelshaus der Paler-Weiß die 1569 übernommene Pacht der Kupfergruben im slowakischen Neusohl trotz Wirtschaftskrisen und kriegerischer Auseinandersetzungen auf dem europäischen Kontinent bis in die ersten Jahre des Dreißigjährigen Krieges hinein erfolgreich weiterbetrieb. Der nun vorliegende zweite Band dieser Edition, der rund 240 Quellenstücke umfasst, belegt eindrucksvoll, dass selbst der große Krieg für risikobereite Kaufleute und Bankiers keineswegs das Ende ihrer Geschäfte bedeuten musste. Hildebrandt zufolge lässt sich während des Krieges sogar "eine Ausweitung und Intensivierung des Kapitalverkehrs in Europa beobachten, gefördert durch eine Kapitalflucht aus dem Zentrum des Kriegsgeschehens an die Peripherie" (18).

Die überwiegend in Regestenform publizierten Korrespondenzen, Bilanzen und Abrechnungen Marx Conrad von Rehlingens (1575-1642) lassen die Konturen eines europaweiten Netzwerks protestantischer Unternehmer erkennen, die inmitten des Krieges ihre Geschäftstätigkeit erfolgreich fortsetzten. Einzelne Akteure dieses Netzwerks waren zwar bereits durch ältere Studien über Kriegsfinanzierung und Überseehandel im frühen 17. Jahrhundert bekannt, doch in seiner Dichte und Reichweite dürfte das hier offen gelegte Handels- und Kreditnetz selbst den meisten Kennern der Materie neu sein.

Der aus einer der ältesten Augsburger Patrizierfamilien stammende Marx Conrad von Rehlingen, der bereits seit Beginn des 17. Jahrhunderts als wichtigster Mitarbeiter seines Schwiegervaters Wolfgang Paler des Jüngeren hervorgetreten war, übernahm nach dem Tod Palers 1622 dessen Firma und leitete die Liquidierung des durch riesige Zahlungsrückstände der habsburgischen Landesherrschaft und die zeitweilige Besetzung der ungarischen Bergstädte durch den siebenbürgischen Fürsten Bethlen Gabor nicht mehr profitablen Neusohler Kupferhandels ein. Mehrere Abrechnungen der Hamburger Firma Jenisch, deren Teilhaber aus Augsburg stammten, dokumentieren die Bedeutung Hamburgs als Umschlagplatz und Amsterdams als Absatzmarkt für slowakisches Kupfer. Nachdem er sich durch seine Kontakte zum "Winterkönig" Friedrich V. von der Pfalz und seinen Beratern als Parteigänger der evangelischen Seite exponiert hatte, gelang es Rehlingen 1629, den größten Teil seines Vermögens ins Ausland zu transferieren und so dem Zugriff der kaiserlichen Kommissare zu entziehen. Er selbst setzte sich nach Genf ab und hielt sich bis zu seinem Tod vorwiegend in der Schweiz, Lyon und Frankfurt am Main auf. Darlehen an den Heilbronner Bund, die Finanzierung schwedischer Truppenwerbungen und vor allem seine zentrale Rolle bei der Versorgung der Armee Herzog Bernhards von Weimar am Oberrhein zeigen, dass Rehlingens wirtschaftliches Handeln maßgeblich von politischen und konfessionellen Erwägungen geleitet wurde. Mit Bernhard von Weimar verband Rehlingen laut Hildebrandt ein "enges Vertrauensverhältnis" (30). Darüber vergaß der Augsburger Patrizier jedoch nicht seinen eigenen geschäftlichen Vorteil. Die Quellen zeigen, dass er sich seine schwedischen und französischen Verbindungen zu Nutze zu machen versuchte, um in Schwaben und später am Oberrhein eine Territorialherrschaft aufzubauen. Mit Messwechseln in Piacenza, Lyon und Amsterdam, stillen Beteiligungen an anderen Handelsfirmen und Aktien der großen englischen und niederländischen Überseegesellschaften verdiente Rehlingen weiterhin gutes Geld; zum Zeitpunkt seines Todes belief sich sein Vermögen auf über eine halbe Million Gulden. Kaufmännisches Gewinnstreben war mit einem sehr ausgeprägten Ehr- und Standesbewusstsein gepaart, das in der Korrespondenz des evangelischen Patriziers immer wieder aufscheint (47f., 110, 167, 268).

Für künftige wirtschaftshistorische Forschungen stellt Hildebrandts Edition eine Fundgrube dar. Insbesondere die Belege für die Rolle oberdeutscher Finanziers als "hidden investors" in den englischen und niederländischen Überseekompanien, für die Präsenz Augsburger Kaufleute in Amsterdam, Lyon, Genf, Venedig und Danzig sowie für die vielfältigen internationalen Aktivitäten Schweizer Firmen sollten aufgegriffen und in weiteren Studien vertieft werden.

Mark Häberlein