Rezension über:

Dörte Döhl: Ludwig Hoffmann. Bauen für Berlin 1896-1924, Tübingen: Ernst Wasmuth Verlag 2004, 412 S., 200 Abb., ISBN 978-3-8030-0629-5, EUR 68,00
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Rezension von:
Nikolaus Bernau
Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Stefanie Lieb
Empfohlene Zitierweise:
Nikolaus Bernau: Rezension von: Dörte Döhl: Ludwig Hoffmann. Bauen für Berlin 1896-1924, Tübingen: Ernst Wasmuth Verlag 2004, in: sehepunkte 4 (2004), Nr. 7/8 [15.07.2004], URL: https://www.sehepunkte.de
/2004/07/6394.html


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Dörte Döhl: Ludwig Hoffmann

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Wer immer sich für Berlin interessiert: Um Ludwig Hoffmann, den überragenden Stadtbaurat des Kaiserreiches kommt man nicht herum. Er plante das prachtvoll-strenge Stadthaus mit seinem dominanten Turm, der mit dem des Roten Rathauses und der Kuppel des Schlosses konkurrierte, entwarf das in den Achtzigerjahren vandalisch von der West-Berliner Gesundheitsverwaltung zu großen Teilen zerstörte Rudolf-Virchow-Klinikum und die nun von der Gesamtberliner Verwaltung sträflich vernachlässigte "Krankenstadt" in Buch. Er entwickelte seit dem Amtsantritt 1896 das romantische Märkische Museum, dessen Restaurierung von den wechselnden Senaten seit 1990 kontinuierlich verschleppt wird, das wie eine Versammlung italienischer Renaissance-Paläste auftretende Stadtbad in Kreuzberg und jenes in der Oderberger Straße, dass dank einer Bürgerinitiative hoffentlich bald Wiederauferstehung feiern kann.

In der jetzt erschienenen ersten wirklichen Monografie zu seinem Werk (bisher gab es nur verstreute Artikel und die unzureichend edierten Memoiren) zählt die Berliner Kunsthistorikerin Dörte Döhl allein 70 Schulen mit noch weit mehr Gebäuden. Ein Gutteil der Berliner Kinder ist mit Hoffmann aufgewachsen, hat unter den zierlichen Skulpturen der von ihm bevorzugten Architekturbildhauer Taschner und Wrba gespielt, fühlte sich vielleicht, wie es der Architekt hoffte, tatsächlich geborgen in Bauten, die mit großen Dächern, luftigen Höfen, klaren Fassaden so krass unterschieden sind von der historistischen Stuckwelt der umgebenden Mietskasernen. Italienische und nordische Renaissance, Assoziationen an die Backsteingotik, barocke Formen und solche des preußischen Zopf-Stils: Wie es zeitüblich war, verwandte Hoffmann die Stile der Vergangenheit und setzte sie für den modernen Zweck ein. Doch kopierte er nicht einfach nur wie viele seiner Kollegen, sondern verwandte die Details aus der Baugeschichte, um etwas gänzlich Neues zu schaffen, etwas, das zwar die Stimmung des historisch Gewachsenen in das so geschichtslose Berlin brachte, doch nicht über die neue Zeit hinwegtäuschte. Großstadtarchitektur war das im besten Sinne.

Trotzdem: Ausgerechnet dieser Architekt wurde jahrzehntelang vergessen. Grund dafür war nicht zuletzt die Stilisierung Hoffmanns in den Zwanzigerjahren zum Feind der Moderne, der bisher auch in besten architekturhistorischen Publikationen gefolgt wurde. Doch wie nun bei Dörte Döhl zu erfahren ist, war Hoffmann zwar zweifellos kritisch, doch keineswegs ablehnend, was etwa ein Avantgardist wie Bruno Taut auch durchaus anerkannte. Allerdings brauchten die neuen Architekten ein Feindbild, nicht zuletzt, um sich auf dem durch die Wirtschaftskrise eng gewordenen Baumarkt Berlins durchsetzen zu können. Und Hoffmann, der 1921 nach 28 Jahren Amtstätigkeit pensioniert worden war, dennoch aber in vielen Beiräten noch Einfluss ausübte, war mit seiner jahrzehntelangen Übermacht im städtischen Bauen wie geschaffen, um dieses Feindbild zu liefern. Nicht zuletzt deswegen, weil er bekannt gute Beziehungen zum 1918 geflohenen Kaiser Wilhelm II. gehabt hatte, der ihn schätzte und gerne häufiger aus den Fesseln der Berliner Stadtbauverwaltung gelöst hätte, wie es ihm nur für die Fertigstellung des monumentalen Pergamonmuseums gelang. Hoffmanns Projekt für eine neue staatliche Oper gegenüber vom Reichstag hingegen scheiterte - es wäre eine kalt-pompöse Apotheose der reform-historischen Architektur der Zeit um 1910 geworden, mit Säulen um Säulen und antikisierendem Tempelgiebel. Der heutige Platz der Republik wäre zu einer Art Place de la Concorde geworden - nicht die schlechteste Vision für damalige Zeiten.

Döhl öffnet in ihrem Buch den Blick vor allem für die künstlerischen Qualitäten dieses ganz und gar unrevolutionären Architekten, der 1852 in Darmstadt geboren wurde, 1874 mit seinem besten Freund und künstlerischen Lebensgefährten Alfred Messel nach Berlin zum Studieren ging, 1885 sensationell mit dem Norweger und späteren Schwager Peter Dybwad den Wettbewerb für das Reichsgericht in Leipzig gewann und 1896 zum Berliner Baustadtrat berufen wurde. Sein Ruhm ging weit über die Grenzen Berlins hinaus, Athen wünschte von ihm einen neuen Stadtplan zu erhalten, Jurys im ganzen Reich eiferten nach seiner Teilnahme.

Beschrieben wird dieser Aufstieg ohne Pathos, nüchtern, sozusagen auch sprachlich angemessen seiner Beamtenstellung, ohne aber in Amtsdeutsch zu verfallen. Ganz im Gegenteil liest sich gerade der Essayteil anregend, wenngleich erstaunt, wie sehr Döhl ausgerechnet diesen Staats-Architekten als fast unpolitisch agierenden Künstler darstellt. Auch wäre eine stärkere Einbindung von Hoffmanns Werk in das Architekturgeschehen der Zeit sinnvoll gewesen - nun steht er als nicht nur wegen der schieren Baumasse singulärer Architekt da, obgleich doch die Suche nach einer neuen Baukunst das Ziel vieler war.

Aber solche Einwände erscheinen fast lästerlich angesichts des erfreulich ausführlichen und kritischen Werkverzeichnisses, dass selbst einige Zuschreibungen, welche im Landesarchiv erfolgten - dort lagert der Nachlass Hoffmanns, der mit durchaus als einer, wenn nicht der bedeutendste Architektennachlässe in Berlin bezeichnet werden kann - mit guten Gründen zurücknimmt. Und selbst die vom "Wieder-Endecker" Hoffmanns, dem 1996 verstorbenen Doyen der Berliner Architekturhistoriker Julius Posener angenommene Autorschaft des Architekten an der einst dramatischen Schornsteinlandschaft des Tegeler Gaskraftwerks korrigiert Döhl, wenn auch zartfühlend, in einer Fußnote. Als Ludwig Hoffmann 1932 starb, war sein Werk zweifellos schon historisch geworden - doch kann man mit Fug und Recht sagen: Mehr als jeder seiner Vorgänger und Nachfolger hat er das Bild Berlins geprägt. Mehr als siebzig Jahre später ist das nun auch im Buch und im großen Überblick nachzuvollziehen. Ein Standardwerk, das in dem Verlag herausgekommen ist, welcher schon um 1900 Hoffmanns Bauten mit Mappenwerken und Sonderheften popularisierte. Auch dies ein Zeichen einer wieder entdeckten Tradition.

Nikolaus Bernau