sehepunkte 4 (2004), Nr. 9

Michael Fröhlich: Geschichte Großbritanniens

Wer sich in deutscher Sprache einführend über die englische Geschichte informieren möchte, kann mittlerweile aus einer ganzen Reihe von Darstellungen unterschiedlicher Länge auswählen. Die Bandbreite reicht von dem lediglich knapp hundert Seiten langen Werk aus der Feder von Hans-Christoph Schröder über die Einführungen von Peter Wende, Michael Maurer und Kurt Kluxen bis zur dreibändigen Darstellung des C. H. Beck Verlages, um nur die neueren Publikationen zu erwähnen. [1] Zu diesen gesellt sich nun Michael Fröhlichs "Geschichte Großbritanniens", das in der von ihm selbst herausgegebenen Reihe Grundzüge erschienen ist.

Ungeachtet des Titels steht eindeutig die Geschichte Englands im Mittelpunkt des Buches, auch wenn Schottland, Wales und Irland am Rande mitbehandelt werden. Die Gliederung ist grob chronologisch, wobei die einzelnen Kapitel sich thematischen Schwerpunkten widmen. Fröhlich beginnt mit einer Darstellung von "England zu Beginn der Neuzeit" und der "jungen Vormacht in Europa", bevor er den "Aufstieg des Empires" und die "Wege zur Industrialisierung" schildert. Die weiteren Kapitel behandeln "Großbritannien zur Zeit der Französischen Revolution", "Das 19. Jahrhundert", "Weltpolitische Krisen, Konflikte und Kriege" sowie die Zeit nach 1945. Den Kapiteln vorangestellt sind Zeittafeln, in denen die Daten der wichtigsten Ereignisse zusammengefasst sind. Fröhlich behandelt jedoch nicht nur die politische Ereignisgeschichte, sondern auch kulturelle, soziale, wirtschafts- und mentalitätsgeschichtliche Entwicklungen. Der Anhang ist mit einer Tafel über "Die Häuser Tudor und Stuart" überraschend dürftig ausgefallen. Obwohl sich auf dieser Tafel auch einige Könige aus dem Haus Hannover finden, so bleibt doch unklar, warum die Monarchen nach George III. vom Autor nicht aufgeführt werden. Das Buch verfügt über ein Personenregister, aber keinen Index.

Was hat Fröhlichs "Geschichte Großbritanniens" seinen etablierten und zum Teil bereits mehrfach aufgelegten Konkurrenten voraus und an wen richtet sie sich? Da ein Vorwort des Autors und Reihenherausgebers fehlt, ist man bei der Beantwortung dieser Frage auf sich selbst gestellt. Vom Umfang her gehört das Buch eher zu den knapperen Darstellungen, ohne die für diese Länge nötige analytische Dichte zu erreichen. Der fast nur aus Hauptsätzen bestehende sprunghafte Stil des Autors erweist sich dabei als ein großes Hindernis und ist einen - willkürlich gewählten - längeren Auszug wert: "Möglicherweise haben Seeleute aus Bristol vor 1497 den Boden von Neufundland betreten. John Cabot (i.e. Giovanni Caboto) überquerte den Atlantik; dies wurde die erste dokumentierte Reise. Der Tod Heinrichs VII. 1509 bildete eine Zäsur. Aus vielen Gründen beteiligte sich England nicht mehr an Entdeckungen. Das änderte sich erst wieder ab der Mitte des Jahrhunderts. Sir Francis Drake and und andere Seeleute forderten Spanien immer wieder heraus. Drake und der Freibeuter Thomas Cavendish (auch: Candish) versuchten erfolgreich, die Welt zu umsegeln. 1588 unterlag die Armada Philipps II. der englischen Flotte. Damit war der Weg frei für die englische Kolonisation in Amerika. Doch primär was das Augenmerk auf den Orient gerichtet." (62)

Ein derartiger Stil hemmt nicht nur den Lesefluss, sondern führt auch zu unstatthaften Vereinfachungen komplexer Zusammenhänge und suggeriert direkte kausale Verbindungen (hier zum Beispiel zwischen dem Untergang der Armada und der Kolonisation Nordamerikas), die problematisch sind. Die gewählte Gliederung ist ein weiteres Problem, da sie zu häufigen Überschneidungen und inhaltlichen Wiederholungen führt. Robert Owen zum Beispiel taucht bereits im ersten Kapitel auf (12), wird aber erst im 4. Kapitel über die Industrialisierung ausführlich vorgestellt (111). Begriffe wie "Crystal Palace" erscheinen ebenfalls im Text (115), bevor sie näher erläutert werden (116), und Ereignisse wie zum Beispiel der italienische Angriff auf Äthiopien werden diverse Male aufgeführt.

Fröhlich setzt den Titel "Premierminister" bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts in Anführungszeichen, weil diese Bezeichnung erst 1905 offiziell eingeführt wurde (14/49). Diese Genauigkeit lässt er aber an zahlreichen anderen Stellen vermissen. So veranschlagt der Autor für die Reise von London nach Edinburgh Anfang des 18. Jahrhunderts zum Beispiel mal "mindestens fünf bis sechs Tage" (44), dann wieder "zehn Tage mindestens" (54). Thomas Paine "dachte", laut Fröhlich, "nicht an eine Neuverteilung des Vermögens", war aber gleichzeitig "für die Aufteilung des Großgrundbesitzes" (101). Der "National Insurance Act" von 1911 galt nicht für alle, die weniger als 160 Pfund im Jahr verdienten, sondern nur für bestimmte Berufsgruppen der Arbeiterschaft (146). Die "Hurricane" ist kein Bomber, sondern ein Jagdflugzeug (150), Premierminister Stanley Baldwin "beobachtete" (163) die Abdankung Edward VIII. nicht nur, er wirkte aktiv an ihr mit, und der "phoney war" war nicht die Phase des Zweiten Weltkrieges, als "deutsche Truppen im Westen siegten" (172), sondern als die Wehrmacht im Westen untätig war. Zahlreiche weitere Beispiele für solche Mängel ließen sich anführen.

Hinzu kommen unklare oder zweifelhafte Zusammenfassungen größerer Entwicklungslinien. Dass sich die englischen Arbeiter "trotz mancher Vorbehalte" mit der Industrialisierung "identifizieren" (94) wirft zum Beispiel die Frage auf, was dies bedeuten soll, und die Aussage, die britische Nation sei in den dreißiger und Vierzigerjahren des 19. Jahrhunderts "zur Ruhe" (118) gekommen, wird nicht nur den Kenner der irischen Geschichte erstaunen. Zudem sollten in einer Einführung, die sich immer auch an Laien richtet, sozialkritische Karikaturen wie Hogarths "Beer Street" (52) und "Gin Lane" (53) nicht nur abgedruckt, sondern auch erklärt werden.

Fröhlichs Buch erwähnt die wichtigsten Ereignisse und Entwicklungen der britischen Geschichte, bietet aber kein neues Deutungsmuster oder neue Interpretationen. Aus den geschilderten Gründen kann es nicht als Einstieg in die Geschichte des Vereinigten Königreiches empfohlen werden, haben seine Konkurrenten ihren Lesern doch in fast allen Bereichen mehr zu bieten.


Anmerkung:

[1] Hans-Christoph Schröder, Englische Geschichte (= Beck'sche Reihe; 2016). 4., aktualisierte Aufl. München: C.H. Beck, 2003. 134 S.; Peter Wende, Geschichte Englands. 2., überarbeitete und erweiterte Aufl. Stuttgart: Kohlhammer, 1995. 367 S.; Michael Maurer, Kleine Geschichte Englands (= Universal-Bibliothek; 9616). Durchges., aktualisierte und bibliograph. ergänzte Ausgabe. Stuttgart: Reclam, 2002. 533 S.; Kurt Kluxen, Geschichte Englands: Von den Anfängen bis zur Gegenwart (= Kröners Taschenbuchausgabe; 374). 4. Aufl. Stuttgart: Kröner, 1991. 916 S.; Karl-Friedrich Krieger, Geschichte Englands: Von den Anfängen bis zum 15. Jahrhundert. 3. Aufl. München: C.H. Beck, 2002. 294 S.; Heiner Haan u. Gottfried Niedhart, Geschichte Englands vom 16. bis zum 18. Jahrhundert. 2., durchgesehene Aufl. München: C.H. Beck, 2002. 293 S.; Gottfried Niedhart, Geschichte Englands im 19. und 20. Jahrhundert. 2., durchgesehene Aufl. München: C.H. Beck, 1996. 253 S.

Rezension über:

Michael Fröhlich: Geschichte Großbritanniens. Von 1500 bis heute, Darmstadt: Primus Verlag 2004, 237 S., ISBN 978-3-89678-504-6, EUR 24,90

Rezension von:
Matthias Reiss
Deutsches Historisches Institut, London
Empfohlene Zitierweise:
Matthias Reiss: Rezension von: Michael Fröhlich: Geschichte Großbritanniens. Von 1500 bis heute, Darmstadt: Primus Verlag 2004, in: sehepunkte 4 (2004), Nr. 9 [15.09.2004], URL: https://www.sehepunkte.de/2004/09/5802.html


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