Herr Professor Schlögl, was verstehen Sie unter 'Kommunikation' in der Frühen Neuzeit. Welche Aspekte umfasst der Begriff für Sie?

'Kommunikation' ist in der Geschichtswissenschaft und insbesondere in der Frühneuzeitforschung zu einem Schlüsselreizwort geworden, das Themen generiert, Forschungsfelder strukturiert und Gutachter überzeugen kann. Im Regelfall geht es dabei um ein alltagssprachliches Verständnis von Kommunikation, das die - wie auch immer bewerkstelligte - Übertragung von Informationen meint. Damit wird das wesentliche analytische Potenzial eines sozialwissenschaftlich informierten Kommunikationsbegriffes verschenkt. In den Sozialwissenschaften gibt es mittlerweile eine breite Diskussion, die von George Bateson über Paul Watzlawick, Erving Goffman, bis zu Niklas Luhmann und Hans-Paul Bahrdt reicht. Unabhängig von den unterschiedlichen Perspektiven wird hier darauf aufmerksam macht, dass Kommunikation in sozialer Hinsicht nicht einfach als Transportvorgang zwischen Alter und Ego beschrieben werden kann. Wer sich für Kommunikation interessiert, beobachtet vielmehr, so die Einsicht, die 'Hervorbringung' von Sinn zwischen den an Kommunikation Beteiligten. Das ist so, weil Alter und Ego füreinander undurchsichtig sind, so dass Ego nicht wissen kann, was Alter aus einer Mitteilung macht, was für ihn dabei einen Unterschied machen, also zur Information werden wird und wie er diese dann versteht, d.h. sie in seine eigenen Sinnhorizonte einbaut und sie mit den eigenen Erwartungen abgleicht. Erst wenn Alter geantwortet hat, wird der soziale Sinn einer 'Äußerung' - sprachlich, körperlich, verschriftlicht oder per mail - für die Beteiligten greifbar. Was in Kommunikation also geschieht, ist für beide Seiten in einem hohen Maße kontingent und durch Absichten, Motive usw. nur sehr bedingt zu steuern.

Trotzdem gibt es soziale Ordnung. Es gibt Strukturen, Handlungszusammenhänge, 'Institutionen', in denen Ego mit relativer Sicherheit wissen kann, wie Alter eine Information verstehen und wie er auf sie antworten wird - wie Alter dann auch weiß, was Ego von ihm erwartet. Gesellschaft kann an dieser Stelle allerdings nicht auf 'gute Absichten', d.h. auf das Bewusstsein der Beteiligten gebaut werden. Das wäre heillos überfordert mit dieser Aufgabe. Diese Strukturierungs- und Ordnungsleistung muss vielmehr in Kommunikation selbst erbracht werden. Das geschieht durch sprachliche Codierungen, durch Symbole, in denen Situationsdeutungen mit Erwartungen eindeutig verknüpft werden, durch Rituale und performative Gestaltung von Kommunikation. Soziale Ordnung entsteht durch die Formung von Kommunikation. Erst wenn solche Techniken der Formung von Kommunikation verfügbar sind, ist Wiederholbarkeit gesichert, werden Erwartungen erwartbar und man ist dann nicht mehr mit der Stabilisierung von Kommunikation beschäftigt, sondern kann sich anderen Dingen widmen. Gesellschaft kann komplexer werden.

Das ist ein Kommunikationsbegriff, der Historiker nicht in erster Linie auf ein neues Themenfeld verweist, sondern als ein analytischer Elementarbegriff dazu führen kann, bekannte und auch bereits gut erforschte Themen- und Gegenstandsfelder neu zu sehen. Ich schätze an ihm vor allem, dass er die Aufmerksamkeit auf die Fragilität und Unwahrscheinlichkeit sozialer Strukturbildung lenkt und dazu anregt, nach deren Voraussetzung zu fragen.

Zweitens macht dieser Kommunikationsbegriff darauf aufmerksam, dass Soziales und Bewusstsein ganz verschiedenen Sphären angehören. Das mag als eine Trivialität erscheinen, die allerdings, wenn man sie ernst nimmt, weit reichende Konsequenzen hat für das, was einen Historiker interessieren kann. Es werden dann nämlich Motive und Absichten - auch das handelnde Subjekt und dessen Erlebnisse - in sozialer Hinsicht als Konstrukte sichtbar, die in Kommunikation aus Zuschreibungen entstehen und deswegen historisch wandelbar sind. Insbesondere die Protagonisten einer Richtung der Kulturgeschichte behandeln sie hingegen gerne als die für Historiker unhintergehbaren Äußerungen eines anthropologischen Subjekts.

Drittens müsste nach meiner Auffassung dieser Begriff der Kommunikation an die Stelle des von den Historikern gewöhnlich präferierten Begriff des Handelns treten, weil der Kommunikationsbegriff weiter ist und eine Theorie dessen, was Handeln ist, umfasst. Handeln ist Resultat einer speziellen Perspektivierung von Beobachtung in Kommunikation. Handeln wird in Kommunikation dann beobachtbar, wenn Alter die Kommunikation von Ego mit eindeutigen Motiven, Absichten und Strategien verbindet. Alter erlebt dann die Kommunikation von Ego als Handeln. Gewalt schränkt den Interpretationsspielraum dabei deutlich ein, aber es kommt immer noch darauf an, ob man Absichten unterstellt oder nicht. Fallweise kann dann auch Gewalt erfahrbar werden, der nur noch mit Gewalt zu begegnen ist. Wahrscheinlich ist es unter anderem das Interesse am gewaltbewehrten politischen Handeln, das diesen Sondertypus sozialer Kommunikation so attraktiv für Historiker macht und es umgekehrt so sehr erschwert, sich auf den komplizierteren Begriff von Kommunikation einzulassen. Außerdem ist man ja auch in der Alltagswelt gelegentlich geneigt, sich selbst als handelnde Person wahrzunehmen.

Viertens schließlich lenkt dieser Begriff der Kommunikation die Aufmerksamkeit auf die mediale Dimension des Vergangenen. Es spielt eine wichtige Rolle für die Formbarkeit von Kommunikation, in welchen Medien sie sich vollzieht, ob Schrift und Druck verfügbar sind und wie man sie verwendet, wie intensiv Rituale und performative Inszenierungen für die Formung von Kommunikation genutzt werden. Interessant sind dann die Mischverhältnisse: Woran kann man etwa ablesen, ob Schrift wirklich strukturierende Wirkung für die Kommunikation in einer Institution hat oder etwa nur in ihrer Aufbewahrungsfunktion genutzt wird?

Dieser Kommunikationsbegriff könnte in der Frühneuzeitforschung einiges in Bewegung setzen. Die Innovationskraft liegt meiner Ansicht nach auf verschiedenen Ebenen. Es wäre schon ein Gewinn, wenn die gängigen Themen- und Gegenstandsfelder kommunikationstheoretisch reformuliert würden, weil dadurch unter anderem die Bedeutung der medialen Innovationen stärker ins Bewusstsein treten könnte. Im Bereich der Reformationsforschung kann man das bereits beobachten, auf anderen Feldern gibt es bislang kaum Anfänge, die medialen Voraussetzungen sozialer Ordnungsbildung zu thematisieren.

Das berührt schon den zweiten Aspekt. Der Kommunikationsbegriff ermöglicht insofern einen neuen Blick auf soziale Institutionen und ihre Voraussetzungen, als er klar macht, dass es nicht damit getan ist, dass etwa Verhaltensmaßregeln verschriftlicht werden, sondern es immer um die Formung von Kommunikation durch Medien, Codierungen, Symbole, Rituale usw. geht. Ich glaube, dass man auf diese Weise wieder ein schärferes Bewusstsein für die Historizität vieler unserer zentralen Begriffe wie Politik, Macht, Herrschaft, Religion, Konflikt, Kulturkontakt usw. entwickeln könnte, mit denen wir doch oft Vorstellungen des 19. und 20. Jahrhunderts in die frühe Neuzeit transportieren.

Deswegen sehe ich (drittens) im Kommunikationsbegriff auch eine Chance, die Eigenständigkeit der frühen Neuzeit als einer Transformationsperiode wieder schärfer zu fassen. Unter kommunikationstheoretischer Perspektive erscheint die frühneuzeitliche Gesellschaft geprägt durch den Umstand, dass soziale Ordnungsbildung zunächst überwiegend an Anwesenheit geknüpft ist. Institutionen und Strukturen werden über die Formung von Anwesenheitskommunikation durch Rituale, Beschränkung von Kommunikationsrechten, Gliederung des Raumes, Figuration des Körpers usw. gebildet. Das setzt der Ausbildung von Organisation oder auch der Etablierung von verfahrensmäßig hervorgebrachten Entscheidungen enge Grenzen, wie wir durch neuere Forschungen wissen. Der frühneuzeitliche Hof ist ein gutes Beispiel. Er erweist sich in dieser Perspektive als ein (letztlich gescheitertes) Experiment, in dem getestet wurde, wieviel Staatlichkeit sich mit Anwesenheitskommunikation realisieren ließ. Das Eigentümliche der frühen Neuzeit (in Europa) kommt nun dadurch zustande, dass es gleichzeitig auf vielen Feldern gelingt, soziale Strukturbildung von Anwesenheitskommunikation zu emanzipieren. Schrift und Druck tragen wesentlich dazu bei, aber auch die Ausdifferenzierung von institutionellen Zusammenhängen, in denen Kommunikation durch strikte Codierungen zentraler Rationalitätskriterien gesteuert wird. Die Wirtschaft mit dem Geld gehört dazu, aber auch Recht oder die (neuzeitliche) Wissenschaft, schließlich ebenso die Transformation von Herrschaft in Politik. Dieses Neben- und Ineinander von Interaktionskommunikation und ihrer performativen Strukturierung, von Kommunikation, die über Schrift und Druck abläuft und eigene Probleme der Stabilisierung zu bearbeiten hat, sowie schließlich von Kommunikation, die über die strenge Codierung von Sinn Berechenbarkeit gewinnt, kennzeichnet neuzeitliche Gesellschaften überhaupt. Die Besonderheit der frühen Neuzeit besteht in der Verschiebung im Verhältnis dieser Kommunikationsformen. Das ist für die Menschen mit tief greifenden Entfremdungserfahrungen und entsprechenden sozialen Verwerfungen verbunden. Man kann beim derzeitigen Forschungsstand nur vermuten, dass die Veränderungen, die sich im Verlauf der frühen Neuzeit im Verhältnis dieser Kommunikationstypen ergeben, auch in den Diskursen über Handeln und Intentionalität nachzuvollziehen sind. Was an den Äußerungen eines Körpers etwa als absichtlich oder als unwillkürlich gedeutet wird, verändert sich vom 16. bis zum 18. Jahrhundert ganz erheblich. Ich kann die kommunikationstheoretische Eigentümlichkeit der frühneuzeitlichen Gesellschaft als Transformationsgesellschaft an dieser Stelle nur andeuten, aber mir scheint, dass hier ein fruchtbarer Ansatzpunkt für die Frage liegt, ob dieser Typus gesellschaftlicher Strukturbildung vielleicht ein weltgeschichtliches Phänomen ist, das sich auch außerhalb Europas finden lässt. Das ist schon deswegen wichtig, weil Europa seit dem 16. Jahrhundert sich die Welt in unterschiedlichster Weise aneignet. Aber auch wenn diese Frage negativ beschieden würde, wäre der Kommunikationsbegriff für die historische Erforschung des Kulturkontaktes und der sozialen Ordnung vormoderner nichteuropäischer Gesellschaften ein Gewinn.

Welche methodischen Zugänge können demzufolge Ihrer Meinung nach unter dem Sammelbegriff 'Kommunikationsgeschichte' subsumiert werden? Und: Würden Sie einem dieser Zugänge eine Leitfunktion zuweisen wollen?

Es gibt nach meiner Auffassung im strengen Sinn keine 'Kommunikationsgeschichte' als ein neues, separates Themenfeld, sondern nur eine Geschichtswissenschaft, die mit dem Kommunikationsbegriff arbeitet. Weil der Kommunikationsbegriff, an dem ich mich orientiere, eine analytische Kategorie ist, verlangt er keine methodischen Revolutionen, sondern eine Veränderung der Kategorien, mit denen Historiker die Vergangenheit beobachten. Sie werden es dann weiterhin mit allen Sinnträgern zu tun haben, die als Quellen und als Überreste überliefert sind. Eine Ausweitung ergibt sich dabei durch die Aufmerksamkeit für die mediale Dimension von Kommunikation und das Interesse für die Formung von Kommunikation. Rituale, performative Inszenierungen, Verfahrensordnungen etc. erhalten neben Bildern ein sehr viel größeres Gewicht. Für deren Analyse ist das Methodeninstrumentarium der Historiker derzeit noch nicht sehr gut entwickelt. Was wir bräuchten, ist eine Methodologie der Analyse kommunikativer Formen.

Wie beurteilen Sie in diesem Kontext die derzeitige Verwendung des Kommunikationsbegriffes in der Historiografie?

Ich glaube, man tut niemandem Unrecht, wenn man sagt, dass die überwiegende Zahl der Historiker 'Kommunikation' derzeit hauptsächlich als Informationsübertragung versteht. Daraus ergibt sich ein neues Themenfeld, das sehr stark technik- und organisationsgeschichtlich strukturiert ist. Deswegen besteht auch offenkundig eine gewisse Anfälligkeit für fortschrittsorientierte Teleologien. Ein solches Themenfeld hat seine Berechtigung im Spektrum historischen Forschens, wenn man sich aber darauf beschränkt, wird nach meiner Auffassung ein großer Teil des Irritationspotenzials verschenkt, das im Kommunikationsbegriff steckt.

Sie sind also der Auffassung, dass 'Kommunikation' als historiografischer Forschungsbegriff und als Forschungskonzept in der Zukunft fruchtbar sein kann. Würden Sie die eben entwickelten Perspektiven noch weiterspannen?

Mir scheint, das sollte schon klar geworden sein, dass die Geschichtswissenschaft dabei erst am Anfang steht. Die meisten der gängigen Themenfelder lassen sich kommunikationstheoretisch rekonstruieren.

Ich vermute allerdings, dass die Versuche, dies zu tun, überschaubar bleiben und Historiker sich mehr auf die Kommunikationsgeschichte im konventionellen Sinn konzentrieren werden. Eine entscheidende Hürde in diesem Zusammenhang stellt die enge Verbindung zwischen Erzählung und Handlung dar. Historiografisches Erzählen (nicht die Geschichte!) braucht Agenten mit Absichten, um Kausalitäten herzustellen und die Ereignisse in einem Sinngewebe miteinander zu verknüpfen. Es wird schon der strukturgeschichtlich orientierten Analyse immer vorgeworfen, dass dort anonyme Mächte und nicht Subjekte handeln - obwohl doch offensichtlich ist, dass auch Einzelereignisse kaum jemals wirklich auf individuelles Handeln zurück zu rechnen sind. Wer das tut, hat bereits viele Entscheidungen zwischen Alternativen getroffen.

Es wäre einfach, wenn man dieses Problem schlicht darauf zurückführen könnte, dass Historiker sich als Erzähler verstehen. Leider ist die Lage komplizierter. Man kann in genauen Analysen von Kommunikationssequenzen zeigen, dass soziale Koordination stark an die erzählerische Codierung jeweils gerade vergangener Kommunikation gebunden ist. Kommunikation stabilisiert sich, indem sie dem Gesagten und Gemeinten rückblickend einen Namen gibt, der alle im Vollzug noch herrschende Uneindeutigkeit des Sinns zudeckt und in einer codierten Deutung zusammenfasst, auf die sich dann Alter wie auch Ego für die weitere Koordination ihrer Erwartungen und Erwartungserwartungen beziehen können. Man kann das als Symbolisierung vorausgehender Kommunikationssequenzen bezeichnen, die erreicht wird, indem eine (eindeutige) Geschichte der laufenden Kommunikation 'erzählt' wird. Kommunikation scheint also alle die in sie eingelagerten Kontingenzen und Unwahrscheinlichkeiten dadurch zu überwinden, dass sie sich für sich selbst als Kommunikation undurchsichtig macht. Kommunikation kann sich im Vollzug nicht selbst beobachten, außer sie schaltet um von Kommunikation auf Handlung und erzählt sich eine Vorgeschichte der gerade laufenden Sequenz. Das gilt nicht nur für Interaktion, sondern auch auf den anderen Ebenen sozialer Ordnungsbildung. Organisationen rekonstruieren ihre interne Geschichte ohnehin als eine Abfolge von Entscheidungen, die bestimmten Entscheidern jeweils zuweisbar sind, und Gesellschaft scheint über weite Strecken ähnlich zu verfahren. Trotz aller sozialwissenschaftlichen Aufklärung bleibt daher die erzählerische Verknüpfung von Handeln ein dominierender Modus gesellschaftlicher Reflexivität und Selbstbeobachtung. Solange deswegen Historiografie damit befasst ist, Sinn in die Geschichte zu bringen und Ereignisse zu einem Netz von Kausalitäten zu verbinden, dürfte es schwer sein, auf Agenten und Geschichten zu verzichten. Der Kommunikationsbegriff hingegen löst Serialität in ein Wissen darum auf, dass Zusammenhänge von Beobachterperspektiven abhängig sind. An die Stelle von Kausalität treten dann Komplexität und Emergenz. Die Eindeutigkeit historischer Phänomene verliert sich in der Pluralität möglichen Sinns.

Selbst wenn man nicht so weit geht, bleibt dem Kommunikationsbegriff, wie ich ihn gerne verwenden möchte, einiges Innovationspotenzial. Er führt zu einer Verflüssigung vieler Begriffe, die für Historiker oft ontologischen Status gewonnen haben. Ein Beispiel wäre 'Macht': wie muss Kommunikation beschaffen sein, dass jemandem Macht zugeschrieben wird und sich die Machtunterworfenen danach richten - ohne dass Macht ausgespielt wird? Die Frage so zu stellen, eröffnet ganz andere Perspektiven, als wenn Macht als soziales Faktum einfach unterstellt wird. Der hier vorgeschlagene Umgang mit dem Kommunikationsbegriff führt deswegen hauptsächlich auf die historische Analyse sozialer Ordnungsbildung. Man kann mit ihm beobachten, wie schwierig es beispielsweise in vormodernen Interaktionsgesellschaften ist, Verfahren für streitiges Entscheiden zu etablieren. In der mikrologischen Analyse einer bestimmten historischen Situation kann er die Sensibilität für die Unsicherheiten und Uneindeutigkeiten schärfen, von denen Kommunikation jeweils getragen ist. Er macht bei günstiger Quellenlage vielleicht auch die Strategien sichtbar, mit denen die Beteiligten der laufenden Kommunikation eine Form geben. Man wird aber dabei fast immer an einen Punkt geführt werden, an dem der Sinn geronnen und erstarrt ist und wieder die Geschichte von handelnden Subjekten auftaucht. Es ist deswegen für Historiker eine Herausforderung, eine Situation als Kommunikation zu beobachten und nicht als Handlungszusammenhang. Aber vielleicht zeichnet sich ja Wissenschaft immer dadurch aus, dass sie versucht, das Kontraintuitive wahrzunehmen.

Bietet sich mit der 'Kommunikation' ein Zugang an, der in der gegenwärtigen Großdiskussion innerhalb des Fachs zwischen Kultur- und Gesellschaftsgeschichte vermitteln könnte?

Das scheint mir ganz entschieden so. Kulturgeschichte grenzt sich von Struktur- und Gesellschaftsgeschichte durch den Verweis auf Sinnbildungsprozesse ab. Strukturgeschichte hält der Kulturgeschichte umgekehrt ihre mangelnde Synthesefähigkeit vor. Orientiert man sich am hier skizzierten Kommunikationsbegriff, so wird Kommunikation als rekursiver Sinnbildungsvorgang beobachtbar. Alle Strukturbildung ruht entsprechend auf der Formung von Kommunikation auf - die aber nur in Kommunikation selbst gesichert und stabilisiert werden kann. Niemand in der Gesellschaft 'sorgt dafür', dass es Familien oder Religion gibt. Solche Sinn- und Rationalitätsfelder reproduzieren sich durch die Themen und die Formung von Kommunikation. Strukturen, auch institutionalisierte Handlungszusammenhänge wie etwa der Staat oder 'Religion' sind daher in diesem Verständnis ebenfalls sinnbasiert.

Aber man kann dann auch sehen, dass Kommunikation sich auf unterschiedlichen Ebenen vollzieht. Die institutionell relevante Kommunikation in einer Organisation ist nicht identisch mit der Interaktionskommunikation in der zugehörigen Kantine. Organisation wird überhaupt erst möglich, wenn man es schafft, ihre Kommunikation von der Kantinenkommunikation unabhängig zu machen. Am frühneuzeitlichen Hof etwa sind solche Differenzierungsprozesse kommunikativer Zusammenhänge in vielfältiger Weise zu beobachten. Für die frühneuzeitliche Stadt erforsche ich das gerade mit einem Mitarbeiterteam in einem größeren Projekt.

Mikro- und Makroperspektive gehören folglich zusammen, sind aber gleichzeitig etwas sehr Verschiedenes. An welcher Stelle man sich befindet, kann man aber meist nur sagen, wenn man auf einen ausgearbeiteten Gesellschaftsbegriff zurückgreift. Der Begriff der Kommunikation ändert nicht nur die Vorstellungen von der Konstitution des Sozialen gegenüber handlungstheoretischen Konzepten nachhaltig, er verändert auch die Relation zwischen individuellen und gesellschaftlichen Sinnwelten. Während Max Weber (und mit ihm Clifford Geertz) Kultur und subjektiven Sinn in eins setzt, trennt Bourdieu - wie auch Giddens - (gesellschaftliches) Wissen und soziale Praxis. Bourdieu definiert den Habitus als subjektiven Ort der Reproduktion von Strukturen, so dass das Subjekt in seiner Praxisautonomie letztlich im Gravitationszentrum gesellschaftlichen Regelwissens paralysiert ist. Der Kommunikationsbegriff trennt hingegen sozialen und psychischen Sinn und setzt auf diese Weise das Individuum frei - allerdings vertreibt er es aus dem Zentrum der sozialen Welt. Psychische Systeme gehören zur Umwelt des Sozialen, dort wird entschieden, in welcher Weise deren Selektionen relevant werden. Aber immerhin ist ihnen ihr 'Eigensinn' zurückgegeben und dies sollte für Historiker, die über die Bedingung der Möglichkeit sozialer Strukturbildung und ihrer Veränderung nachdenken, interessant sein.

Fragen wir abschließend nach dem Verhältnis von Kommunikation und Epochenbildung. Sind Sie der Auffassung, dass man von 'Kommunikationsrevolution(en)' in der Vormoderne sprechen kann?

Der Kommunikationsbegriff impliziert natürlich die Frage nach den (wandelbaren) Medien der Kommunikation und deren Bedeutung für historischen Wandel. Aber ich bin mir nicht sicher, ob 'Revolution' dabei nicht das falsche Signal setzt. Es sind schließlich lang laufende Prozesse, bis Schriftlichkeit sich in vormodernen Gesellschaften 'durchsetzt', also in verschiedenen Handlungsbereichen adaptiert wird. Die Konsequenzen sind dann jeweils sehr unterschiedlich. Dasselbe gilt für den Druck. Noch komplizierter wird es, wenn man Interaktionskommunikation einbezieht und etwa das Verhältnis von Schrift, Druck und Interaktion in speziellen Organisations- oder Handlungszusammenhängen betrachtet. Dann wird schnell klar, dass sich die Konsequenzen der Drucktechnik in ganz unterschiedlicher Geschwindigkeit bemerkbar machen. Man braucht nur den Hof und die konfessionelle Institutionalisierung von Religion in dieser Hinsicht zu vergleichen. Von 'Revolutionen' wird man deswegen nur sprechen können, wenn man voraussetzt, dass die Verfügbarkeit einer Technik gleich bedeutend mit ihrer Nutzung sei und diese Nutzung immer die nämlichen kommunikativen und strukturellen Konsequenzen habe. Solche Fragen nach fundamentalen Brüchen in den Formen der Strukturbildung kann man nach meiner Auffassung nur hinsichtlich der Gesellschaft als Gesamtzusammenhang stellen. Aber auch hier hat man es dann eher mit komplizierten Transformationsprozessen zu tun als mit Brüchen. Man kann aber andererseits mit Gewinn darüber nachdenken, was es für eine Gesellschaft bedeutet, wenn sich das Bedürfnis durchsetzt, 'Kommunikationsrevolution' als zentralen Begriff der Selbstbeobachtung und Selbstbeschreibung zu wählen oder überhaupt Formen der Kommunikation zu thematisieren. Der frühneuzeitliche Diskurs über die Probleme der schriftlichen und der Interaktionskommunikation ist hier signifikant oder dann der Umstand, dass seit dem 18. Jahrhundert die 'Kommunikationsrevolution' tatsächlich ein wichtiger Begriff gesellschaftlicher Selbstthematisierung wird.

Wenn man Kommunikationsgeschichte (und deren Erforschung) als einen überepochalen Prozess begreift, welchen Einfluss könnten die hier zu erzielenden Ergebnisse auf das Verständnis von Epochenschwellen haben? Erwarten Sie hier Nivellierungen?

Ich bin mir nicht sicher, ob es an dieser Stelle wirklich zu Veränderungen kommen wird. Auch wenn man analytisch sagen kann, was die Drucktechnik für Kommunikation bedeutet und welche Probleme sie macht, weiß man noch nicht, wie sie dann tatsächlich in spezifischen historischen Konstellationen genutzt wird. Aus der Verfügbarkeit der Drucktechnik folgt noch nicht, dass politische Öffentlichkeiten entstehen oder 'moderne' Formen der gesellschaftlichen Produktion und Distribution von Wissen. Insbesondere der globale Vergleich der Kulturen, denken Sie etwa an Chinas Druckwesen, mahnt an dieser Stelle zur Vorsicht. Deswegen sind kommunikative Formen und die Medien, von denen diese getragen sind, nur ein Parameter - wenngleich ein zentraler - in komplexen sozialen Gefügen, die man dann in ihrer Gesamtheit charakterisieren muss, um zu einigermaßen überzeugenden Epochengrenzen zu kommen. Wie eine Gesellschaft in ihren Strukturmustern aussieht, dafür sind noch viele andere institutionelle und soziale 'Erfindungen' ausschlaggebend und vor allem deren jeweils spezifische historische Kombination. Es scheint mir deswegen für Historiker nicht sinnvoll, eine Epoche der Schriftlichkeit, der Drucktechnik oder der elektronischen Medien usw. zu definieren. Das setzt auch einen sehr technizistischen Medienbegriff voraus, der sich nicht mit einem komplexen Kommunikationsbegriff verträgt. Dieser Kommunikationsbegriff würde es z.B. nahe legen, den Raum und den Körper als Medien, die in der Vormoderne eine große Bedeutung für die Gestaltung sozialer Konfiguration haben, zu betrachten, oder überhaupt nach der Bedeutung von Anwesenheitskommunikation (Interaktion) für bestimmte historische Konstellationen zu fragen.

Außerdem wissen wir, dass die bei uns übliche Epochengliederung neben ihrem heuristischen Wert hauptsächlich die Funktion hat, historische Professionalität zu strukturieren und das Fach institutionell und sozial zu gliedern. Deswegen wird der Kommunikationsbegriff - wie immer man ihn benutzt - auch nicht dazu führen, dass die 'Epochenscheide' zwischen Mittelalter und Neuzeit verschwindet. In der Forschung spielt sie auf bestimmten Feldern ohnehin schon lange keine wirklich wichtige Rolle mehr.

Die entscheidende Verschiebung sehe ich an anderer Stelle. Der Kommunikationsbegriff hat eine wichtige Vermittlungsfunktion zwischen den verschiedenen geistes- und sozialwissenschaftlichen Disziplinen übernommen. Er ist damit ein Indikator dafür, dass die zunehmende fachinterne Spezialisierung der Forschung mit Veränderungen im Spektrum der Fächer verbunden ist. Wenn wir von Kulturwissenschaft sprechen, ist diese neue Unschärfe der disziplinären Grenzen gemeint. In der institutionalisierten Verbundforschung geht man beständig mit der Verflüssigung disziplinärer Grenzen um. Es wird deswegen einerseits darauf ankommen, dass wir über solche interdisziplinär angelegten Begriffe verfügen. Gleichzeitig müssen wir sie aus der Perspektive unseres Faches fassen können. Wir müssen sie uns buchstäblich aneignen. Das ist mit theoretischer Anstrengung verbunden. Im Falle des Kommunikationsbegriffes wäre sie für Historiker überaus lohnend, wie mir scheint.

Herr Professor Schlögl, vielen Dank für dieses Interview.

Das E-Mail-Interview führten Ute Lotz-Heumann und Holger Zaunstöck im Juli 2004.

Empfohlene Zitierweise:

Perspektiven kommunikationsgeschichtlicher Forschung. Ein E-Mail-Interview mit Prof. Dr. Rudolf Schlögl, Konstanz , in: sehepunkte 4 (2004), Nr. 9 [10.09.2004], URL: <http://www.sehepunkte.de/2004/09/interview.html>

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