sehepunkte 5 (2005), Nr. 4

Christopher Clark / Wolfram Kaiser (eds.): Culture Wars

Trotz aller gegenteiligen Beteuerungen dient die Säkularisierungsthese immer noch gerne als expliziter oder impliziter Bezugsrahmen, wenn es um die Geschichte der Religion in der Moderne geht. Die historische Forschung zu den Religionen und Konfessionen in den europäischen Gesellschaften des 19. und 20. Jahrhunderts mag in den letzten Jahren, nicht zuletzt auch im Gefolge der kulturwissenschaftlichen Erweiterung der Geschichtswissenschaften, große Fortschritte gemacht haben - eine definitive Überwindung des Säkularisierungsparadigmas, sei es als simple Verlust-, sei es als Gewinngeschichte, steht bislang noch aus. Ein Problemfeld, in dem die fortdauernde Relevanz von Religion als Deutungsinstanz und lebensbestimmender Macht, aber auch die Ansprüche und Dynamik dezidiert nichtreligiöser Ordnungen besonders klar hervortreten, sind die "Kulturkämpfe", in denen vor allem in der zweiten Hälfte des 19. bis in den Beginn des 20. Jahrhunderts hinein Katholizismus und unterschiedliche säkulare Kräfte mit aller Heftigkeit aufeinander prallten. Es ist noch nicht allzu lange her, dass man sich einen solchen "Kulturkampf" als eine Art entgleiste Schachpartie mit den Mitteln von Parlament, Presse und Justiz zwischen einem machtbewussten Staatsoberhaupt à la Bismarck und dem im Vatikan eingeschlossenen, von seinen schwarzen Heerscharen vor Ort vertretenen Papst vorstellte. Ein entscheidendes Charakteristikum, das die erbitterte Konfrontation zwischen Katholiken und antiklerikalen Kräften nach 1850 um die Stellung der Religion in einem modernen Gemeinwesen von herkömmlichen Konflikten zwischen Staat und Kirche abhob, war jedoch, wie die Herausgeber des vorliegenden Bandes hervorheben, deren Tiefendimension: Diese Auseinandersetzungen schufen eine polarisierte Massenöffentlichkeit, sie mobilisierten breite Gruppen in Stadt und Land und erfassten quasi jeden Bereich des sozialen Lebens, von den Geschlechterbeziehungen bis hin zur nationalen Symbolik, indem sie zum Kampf um die "letzten Dinge" zwischen zwei unversöhnlich einander gegenüberstehenden Weltanschauungslagern stilisiert wurden.

Der von Christopher Clark und Wolfram Kaiser betreute Band versucht die Bedeutung und Reichweite dieser Konflikte in einem transnationalen Vergleich auszuloten. Die Herausgeber haben sich dazu für eine interessante Konzeption entschieden, durch die sich das Buch aus der Flut von Sammelbänden positiv hervorhebt. Christopher Clark und Wolfram Kaiser selbst liefern zwei ausgezeichnete einführende Artikel, die das Themenfeld und Fragenspektrum von zwei Seiten, von der Geschichte des Katholizismus und des Antiklerikalismus aus, in einem europäischen Rahmen konturieren und strukturieren. Darauf folgen nach einem gemeinsamen Muster aufgebaute, auf Vergleichbarkeit angelegte Länderstudien, die die Ursprünge und den Verlauf der jeweiligen nationalen Entwicklung der "culture wars" rekapitulieren und durch eine Fallstudie ergänzen und vertiefen sollen. Abgerundet wird der Band durch eine hilfreiche kommentierte Bibliografie.

Auch wenn sich die von Clark und Kaiser vorgestellten "culture wars" einordnen lassen in ein breites, bislang nur wenig ausgeleuchtetes Konfliktspektrum zwischen religiösen und säkularen Ordnungen, so erscheint ihre Beschränkung auf Konstellationen, wo liberale und andere säkulare Kräfte gegen eine katholische Mehrheit oder Minderheit antreten, aufgrund der Forschungslage und der Fokussierung der Fragestellung durchaus sinnvoll. Weniger einleuchtend ist die Ausklammerung von Fällen wie Böhmen und Mähren, Polen oder Irland mit dem Verweis auf die fehlende Eigenstaatlichkeit, während an einem britischen Beispiel unverständlicherweise ein Schulkonflikt zwischen Anglikanern und Nonkonformisten behandelt wird, in dem der katholischen Seite allenfalls eine Nebenrolle zukommt. Allerdings zeichnet sich der Band gerade auch dadurch aus, dass er das Blickfeld über hierzulande besser bekannte Länder - neben Preußen-Deutschland sind das Frankreich und die Schweiz - erweitert durch Belgien und die Niederlande, Spanien, Italien, Österreich und Ungarn. Schulkonflikte nehmen unter den angeführten Beispielen eine exponierte Stellung ein, die man mit ihrer zeitgenössischen Relevanz erklären kann. Auseinandersetzungen um die Zivilehe, um Friedhöfe, Denkmäler und Klöster zeigen jedoch die Vielfalt der Frontstellungen, Themen und Akteure der "Kulturkämpfe", in denen eben nicht nur um staatliche und kirchliche Ansprüche und Deutungsmacht, sondern um die Behauptung von Lebenswelten und die Definition kollektiver Identitäten gerungen wurde. Die Beispiele machen in der nationalen beziehungsweise einzelstaatlichen Auffächerung deutlich, welche Rolle dem von Clark vorgestellten "neuen Katholizismus", dem von Kaiser beschriebenen und etwa von Martin Papenheim am Fall des italienischen Nationalstaats veranschaulichten komplexen Interessengeflecht der antiklerikalen Front sowie dem Wandel von Öffentlichkeit und politischer Kultur für den Ausbruch und den Ablauf der "culture wars" zukam.

Die vergleichende transnationale Perspektive des Bandes ist jedoch, sieht man von den einführenden Beiträgen ab, mehr ein Versprechen als ein konsequent durchgeführtes Programm. Das Herstellen von Beziehungen und Querverbindungen, das Aufdecken von Parallelen und Unterschieden bleibt zu einem guten Teil Aufgabe der Leser. Das betrifft unter anderem das Herausarbeiten transnationaler Verflechtungen und Aktionsformen von Katholizismus und Antiklerikalismus, das betrifft aber auch die Gewichtung der Bedeutung der "Kulturkämpfe" als Impulsgeber für die Herausbildung einer "europäischen" Öffentlichkeit, sei es in Gestalt von Medien und Informationsströmen, sei es in internationalen Initiativen und Zusammenschlüssen. Weitgehend unkonturiert bleibt das Verhältnis zwischen politisch-gesellschaftlichen Eliten und "Volk" in antiklerikalen Debatten und Schlachten. Es scheint sich abzuzeichnen, dass die Eskalation der Konflikte bis hin zu massiv gewaltsamen Formen, die in dem vorliegenden Band allerdings nicht weiter Beachtung finden, wesentlich befördert wurde durch den Eintritt der Volksmassen in die politische Arena - auf beiden Seiten der Kampflinie.

Zu diskutieren wäre auch die Frage, inwieweit sich in den "Kulturkämpfen" wirklich klare Frontstellungen und feste Parteiungen entwickelten, etwa im Sinn der von James McMillan vertretenen Interpretation eines "war of the two Frances", dem man mühelos "zwei Spanien", "zwei Italien" oder "zwei Belgien" an die Seite stellen könnte. Handelte es bei der Konfrontation zwischen Katholiken und Antiklerikalen, auch auf dem Höhepunkt der Konflikte, um zwei geschlossene, diametral entgegengesetzte Blöcke, die in unversöhnlicher Härte aufeinander prallten? In der Tat entsprach der binären, hyperbolischen Rhetorik von Kampf und Apokalypse, die die Kämpfe trug und prägte, zumindest im Bereich des ultramontanen Katholizismus häufig die Tendenz zu Milieubildung und Versäulung. Im Fall der Antiklerikalen fällt es jedoch schon schwerer, von "Lager" und "Bewegung" zu sprechen, dienten antiklerikale Bekenntnisse und Kampfrufe doch immer wieder als "Code" und identitätsstiftendes "system of beliefs", über die sich divergierende Interessen und Bestrebungen von der Linken bis zum Teil bis ins rechte Lager hinein vermitteln und gegen einen gemeinsamen Feind mobilisieren ließen - ein wichtiger Aspekt, den Kaiser anspricht, dem in den Länderanalysen allerdings nur sehr punktuell nachgegangen wird. Überdies ist in einzelnen Beiträgen von deutlichen Grenzen die Rede, die die Konflikte durch die Überlagerung mit konfessionellen oder anderen politisch-ideologischen Auseinandersetzungen fanden. Im Zweifelsfall trieb die Angst vor der Revolution auch hartgesottene Papstfresser in die Umarmung mit den ungeliebten Katholiken.

Clark und Kaiser haben einen Band vorgelegt, der durch seine - wenn auch nur halbherzig umgesetzte - Konzeption besticht und ein wichtiges Thema, die Konfrontation religiöser und säkularer Ordnungen und Ansprüche am Beispiel des Aufeinanderprallens von Katholizismus und Antiklerikalismus, auf die Tagesordnung setzt. Sie reihen sich mit guten Argumenten ein in die wachsende Phalanx der Befürworter einer transnationalen Geschichte. Nicht zuletzt geben sie fruchtbare Anregungen für eine Revision des Säkularisierungsparadigmas. Es gilt nicht nur, wie gebannt nach der Auflösung und dem Verschwinden von Religion zu fragen, sondern Religion in Beziehungs- und Konfliktgeschichten einzubinden, die Prozesse der Verschiebung und Marginalisierung, aber auch die Beharrungsmacht und Wandlungsfähigkeit des Religiösen erkennen lassen.

Rezension über:

Christopher Clark / Wolfram Kaiser (eds.): Culture Wars. Secular-Catholic Conflict in Nineteenth-Century Europe, Cambridge: Cambridge University Press 2003, VII + 368 S., 5 half-tones, ISBN 978-0-521-80997-9, GBP 70,00

Rezension von:
Martin Baumeister
Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität München
Empfohlene Zitierweise:
Martin Baumeister: Rezension von: Christopher Clark / Wolfram Kaiser (eds.): Culture Wars. Secular-Catholic Conflict in Nineteenth-Century Europe, Cambridge: Cambridge University Press 2003, in: sehepunkte 5 (2005), Nr. 4 [15.04.2005], URL: https://www.sehepunkte.de/2005/04/5364.html


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