Rezension über:

Manfred Tschaikner: Hexenverfolgungen in Hohenems einschließlich des Reichshofs Lustenau sowie der vorderösterreichischen Herrschaften Feldkirch und Neuburg unter hohenemsischen Pfandherren und Vögten (= Forschungen zur Geschichte Vorarlbergs. Neue Folge), Konstanz: UVK 2004, 334 S., ISBN 978-3-89669-690-8, EUR 34,00
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Rezension von:
Rolf Schulte
Historisches Seminar, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
Redaktionelle Betreuung:
Michael Kaiser
Empfohlene Zitierweise:
Rolf Schulte: Rezension von: Manfred Tschaikner: Hexenverfolgungen in Hohenems einschließlich des Reichshofs Lustenau sowie der vorderösterreichischen Herrschaften Feldkirch und Neuburg unter hohenemsischen Pfandherren und Vögten, Konstanz: UVK 2004, in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 5 [15.05.2006], URL: https://www.sehepunkte.de
/2006/05/9893.html


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Manfred Tschaikner: Hexenverfolgungen in Hohenems einschließlich des Reichshofs Lustenau sowie der vorderösterreichischen Herrschaften Feldkirch und Neuburg unter hohenemsischen Pfandherren und Vögten

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Im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit war es den Habsburgern gelungen, große Teile von Vorarlberg in ihren Herrschaftsbereich einzugliedern. Doch einige Flecken in diesem Gebiet blieben ausgespart: Dazu zählten in Vorarlberg auch die Herrschaften der Reichsritter und späteren Reichsgrafen von Hohenems einschließlich des Reichshofs Lustenau sowie die Herrschaften von Feldkirch und von Neuburg, welche die Grafen schon lange als österreichische Lehen verwalteten.

Manfred Tschaikner, der in den letzten zwei Jahrzehnten zahlreiche Untersuchungen zur Hexenverfolgung in dieser Region vorgelegt hat, komplettiert jetzt seine Forschungen, indem er diese Territorien noch einmal genauer in den Blick nimmt. Dabei stellt er in seiner Arbeit ausführlich und über lange Seiten (25-293) die einzelnen Hexenprozesse in chronologischer Reihenfolge für die jeweiligen Teilgebiete in Verfahrensbeschreibungen, Quellenauszügen und resümierenden Beobachtungen dar.

Die frühesten Hexenprozesse fanden in Hohenems erst 1630 und damit Jahrzehnte nach den schweren Verfolgungen in den benachbarten österreichischen Territorien statt. Quantitativ und qualitativ gipfelten die Verfahren wegen angeblicher Hexerei in Hohenems 1649/50 unter Einfluss der massiven Verhaftungen und Hinrichtungen in der nicht weit entfernten Grafschaft Vaduz (99 -186). Scharfrichter und einige zuständige Beamte intensivierten durch ihre Eingriffe die gerichtlichen Untersuchungen und trugen dadurch zu einer neuen Qualität der Verfolgungen bei. Nachdem insgesamt neun Personen hingerichtet worden waren, versuchte Graf Karl Friedrich I. 1650 eine Eskalation zu verhindern: Er erließ ein Hexenmandat, um Verdächtigungen aus der Bevölkerung einzuschränken und die daraus resultierenden Mechanismen der Verfolgung unter Kontrolle der Obrigkeit zu bringen (187-189). Auch eine erneute Welle 1677 endete im Vergleich mit den Verfolgungen in der Umgebung mit nur wenigen Hinrichtungsurteilen (223-252). Doch auch hier wie 1650 blieben die Merkmale des elaborierten Hexenbegriffs in den Verfahren der hohenemsischen Herrschaften vage oder kamen nur in Versatzstücken ohne erkennbares Profil vor. Mit der Welle von 1677 im Sinne einer "small panic" endete die Hexenverfolgung auf dem Boden des heutigen Bundeslandes Vorarlberg - und damit im europäischen und vor allem österreichischen Maßstab relativ früh. Tschaikner weist im Übrigen nach, dass die Prozesse im Vergleich zu zahlreichen Verfahren in Vaduz / Liechtenstein nicht aus Motiven der finanziellen Bereicherung geführt wurden.

Die Hexenprozesse in Hohenems und Lustenau forderten insgesamt 18 Todesopfer, 15 Menschen wurden verbrannt, drei verstarben im Gefängnis. Alle anderen Prozesse endeten mit Freisprüchen, einer mit einem Landesverweis. Auffallend erscheint jedoch, dass zwar einige Männer wegen Hexereiverdächtigung vor Gericht standen, aber mit Ausnahme eines Jugendlichen, der ursprünglich wegen Sodomie vor Gericht gestellt worden war, nur weibliche Angeklagte hingerichtet wurden. Wenn davon auszugehen ist, dass die Inhalte der Geständnisse in den Verhören vom Fragekatalog oder Frageinhalt der Richter oder der Verhörenden abhängig sind, dann ist auch zu schließen, dass auf Seiten der Obrigkeit in Hohenems die kollektive Komponente des entwickelten Hexenbegriffes der Frühen Neuzeit - die Treffen auf einem Hexensabbat - nur eine geringe Rolle spielten.

Regionalgeschichtliche Darstellungen leben, wenn sie sich nicht in eine auf das Besondere fixierte Heimatgeschichte verlieren wollen, von exemplarischen und vergleichenden Fragestellungen. Von hoher Relevanz erweist sich dabei die Fähigkeit der Autorinnen und Autoren diesem komparativen Ansatz Rechnung zu tragen. So mag der ausführliche Überblick über die einzelnen Hexenprozesse für die sich nicht in der Region auskennenden Leserschaft von eingeschränktem Interesse sein, sieht man von einigen im Detail sehr gut beschriebenen Prozessen ab. Dieser Eindruck der Lokalgebundenheit der Arbeit wird durch das Fehlen einer geografischen Übersichtskarte des untersuchten Kleinraums noch verstärkt, so dass die jeweiligen Ortskenntnisse mühevoll aus historischen Atlanten gezogen werden müssen. Doch Manfred Tschaikner schreibt nur vordergründig für ortskundige Rezipienten im lokalen Raum, denn in einer kurzen und ausgezeichneten Zusammenfassung stellt er die gewonnenen Erkenntnisse in einen Regionen übergreifenden Kontext.

Die Hohenemser Grafen regierten im 17. Jahrhundert auf verschiedene Weise drei benachbarte Gebiete, in denen sich Hexenverfolgungen jeweils regionalspezifisch ausprägten: In den Stammlanden (Grafschaft Hohenems mit dem Reichshof Lustenau) regierten die Emser autonom und absolutistisch - die Hexenverfolgungen endeten relativ früh und blieben in ihrer Dynamik durch obrigkeitliche Interventionen gebremst. In der Herrschaft Vaduz, die das Haus Hohenems erworben hatte, mussten die Obrigkeiten auf Stände bzw. Untertanen in verschiedener Hinsicht Rücksicht nehmen - hier kam es zu massiven Hexenverfolgungen. Gleichzeitig verwalteten die Grafen als Vögte zeitweise die österreichischen Herrschaften Feldkirch und Neuburg - hier dämmte die zentrale Regierung in Innsbruck die Verfolgungen schon früh durch hohe rechtliche Anforderungen ein. Tschaikner untermauert damit noch einmal seine schon früher vertretene These, dass zentrale und großflächige Strukturen der Gerichtsbarkeit hemmend auf Hexenverfolgungen wirkten, während Abhängigkeiten der Obrigkeiten von den Untertanen sie eher förderten.

Am Ende ein kleines Monitum: Tschaikner erklärt den hohen Frauenanteil mit "weitgehend traditionellen - auf Frauen konzentrierten - Vorstellungsmustern" (297). Dies ist eine Deutung, die einer Differenzierung bedürfte, denn bereits im 16. Jahrhundert begannen sich in manchen Teilen des Alten Reiches die geschlechtsspezifischen Konturen der Hexenverfolgung abzuschleifen. Traditionen waren damit bereits relativ früh gebrochen, sofern sie überhaupt allgemein existiert hatten.

Manfred Tschaikners "Hexenverfolgungen in Hohenems" ist eine Mikrostudie zu einem kleinen Raum, sie bereichert sehr erkennbar den Diskurs in der Hexenforschung und ist auch mit der Region nicht vertrauten Lesern bzw. Leserinnen nur zu empfehlen.

Rolf Schulte