sehepunkte 6 (2006), Nr. 6

Stefan Fisch / Wilfried Rudloff (Hgg.): Experten und Politik

Moderne Demokratien sind stets gezwungen, Entscheidungen von schwer abzuschätzender Tragweite zu fällen. Daher verwundert es nicht, dass sie zunehmend auf externen, wissenschaftlichen Rat zurückgreifen. Dies geschieht aus mehreren Gründen: einmal, um die Entscheidungsfindung zu erleichtern, dann aber auch, um beispielsweise den getroffenen Entscheidungen die Aura einer wissenschaftlichen Fundierung zu verleihen und damit ihre Legitimität zu erhöhen. Freilich stellt sich zugleich das Problem der Zurechnung der Entscheidung und der Verantwortung für dieselbe. In der außerordentlich dichten und instruktiven Einleitung des Bandes "Experten und Politik" greift Wilfried Rudloff dieses Problem auf und diskutiert zunächst die frappierende Vielfalt, die wissenschaftliche Politikberatung annehmen kann: von der persönlichen ad-hoc-Beratung hin zu institutionalisierten Beratungsgremien und staatlichen Forschungsinstitutionen. Wie sich das immer spannungsreiche Verhältnis von Politik, Wissenschaft und Öffentlichkeit gestaltete, nach welchen Kriterien die Experten ausgewählt wurden, ob wissenschaftliche Beratung die erhoffte Wirkung zeigte, welche Folgen der Expertenrat für die Politik, aber auch für die beteiligten Wissenschaften selbst zeitigte, diese und andere Fragen (von Rudloff in einem durchdachten Frageraster (33 f.) systematisiert) lassen sich nicht pauschal, sondern nur im konkreten, historischen Einzelfall beantworten.

Entsprechend vereint der Band eine Reihe von Fallstudien zu verschiedenen Themen der wissenschaftlichen Politikberatung, überwiegend am Beispiel der Bundesrepublik Deutschland. Dabei beschränken sich die Beiträge nicht auf die im engeren Sinne wissenschaftliche Politikberatung, sondern nehmen auch Hybridformen des Expertenrats mit in den Blick. Die Spannbreite der behandelten Disziplinen reicht von den Wirtschaftswissenschaften bis hin zur Atomforschung; sowohl Gremien als auch einzelne Wissenschaftler werden auf ihre Wirkungsmacht hin geprüft. Rudloffs einleitender Überblick über verschiedene theoretische Ansätze, mit denen sich die Politikberatung als wissenschaftlicher Gegenstand fassen lässt, ist außerordentlich hilfreich für die Einordnung und Zusammenschau der Ergebnisse, aber auch für künftige Forschungen.

Gegen diese umfassende Einleitung fällt der Beitrag von Hans-Christof Kraus, der nach "Vorformen und Anfänge[n] wissenschaftlicher Politikberatung im 19. Jahrhundert" fragt, deutlich ab. Wenn er seine Fragestellung von vornherein auf einzelne Universitätsprofessoren, die politisch beratend tätig waren, eingrenzt, kann sein Ergebnis der "starken Personalisierung der Politikberatung" (77) wenig verwundern. Wie wenig dieser Beitrag der bereits im 19. Jahrhundert bestehenden Vielfalt des wissenschaftlichen Expertenwesens gerecht wird, macht im Übrigen die vergleichende Lektüre des Bandes von Engstrom, Hess und Thoms deutlich. [1]

Zeitlich vor dem Schwerpunkt des Bandes angesiedelt, befasst sich der Beitrag von Margit Szöllösi-Janze mit wissenschaftlicher Politikberatung zwischen Erstem und Zweitem Weltkrieg. Indem sie sich am Konzept der "Wissensgesellschaft" orientiert, welches starke wechselseitige Einflüsse der Sphären "Politik" und "Wissenschaft" postuliert, unterstreicht die Autorin die dynamisierende Wirkung des Ersten Weltkriegs: Seither waren die beiden Sphären weitaus stärker als zuvor miteinander verkoppelt, ja aufeinander angewiesen. An diesen Befund anschließend, betont sie die Komplexität des Verhältnisses zwischen Wissenschaft und Politik im NS-Staat, das sich keineswegs in verbrecherische Politik auf der einen und 'saubere Wissenschaft' auf der anderen Seite aufspalten lässt. Vielmehr ist allenthalben ein pragmatisches, an Nützlichkeitskritierien orientiertes Zusammenwirken zu beobachten, ungeachtet aller grundsätzlichen Wissenschaftsfeindlichkeit der Regimespitze.

André Steiner stellt die Frage nach den Möglichkeiten von wissenschaftlicher "Politikberatung in der DDR" und beschreibt damit einen Fall des Verhältnisses von Wissenschaft und Politik, in welchem Erstere von Letzterer wie in kaum einer anderen Konstellation beschnitten wurde. Dies hing - neben der diktatorischen Staatsform - natürlich in erster Linie damit zusammen, "daß im Verständnis der SED-Spitze ihre Politik per se wissenschaftliche Politik war und das Primat besaß" (102). Der Schwerpunkt der Untersuchung liegt auf den institutionellen Strukturen von den 1950er- bis in die 1980er-Jahre, in deren Rahmen sich wissenschaftliche Politikberatung abspielte bzw., das macht Steiner deutlich, eben nicht abspielte: Spätestens seit den 70er-Jahren nahm die SED-Führung immer weniger die Ergebnisse einer ohnehin restriktiv gegängelten Wissenschaft wahr; von einer Implementierung sozialwissenschaftlicher Erkenntnisse konnte schon gar nicht die Rede sein. Diese fehlende Umsetzung allein ist freilich kein Spezifikum staatssozialistischer Systeme, wie eine Reihe anderer Beiträge dieses Bandes zeigt.

Gabriele Metzler wendet sich dem "Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung" mit der Frage zu, welchen Zielen dieses neue Gremium dienen sollte, dessen Gründung 1963 angesichts einer Reihe schon bestehender wirtschaftspolitisch beratender Institutionen nicht unmittelbar notwendig erscheinen musste. Wie sehr Institutionalisierung und Aussehen eines Beratungsgremiums von den beteiligten Interessenkonstellationen abhängen konnten, wie wenig somit schon auf dieser Ebene der Anschein von Neutralität und Objektivität durchgehalten werden konnte, zeigt die Vorgeschichte seiner Gründung: Ludwig Erhard war vor allem daran interessiert, mit der Etablierung eines "Sachverständigenrates" andere Formen der wirtschaftspolitischen Beratung zu vermeiden, die ebenfalls diskutiert wurden und bei denen er einen zu großen Einfluss der Interessenverbände fürchtete. Besonders interessant ist hier sein Streben, beispielsweise die Tarifpartner auf dem Umweg über die Öffentlichkeit, an die sich die Gutachten des Sachverständigenrates richten sollten, zur Mäßigung bei Lohnabschlüssen zu bewegen. Diese spezifische Rolle der Öffentlichkeit sollte konstitutiv für die Wirkungsweise des Rates werden. Insgesamt kommt Metzler zu dem Ergebnis, dass die "primäre Funktion" des Sachverständigenrates "nicht in der Nutzung von Wissensressourcen" lag, sondern "in seiner Rolle im Rahmen einer auf gesellschaftliche Integration bedachten Politik", also in seiner Funktion, politische Entscheidungen zu legitimieren (147).

Am Beispiel der wissenschaftlichen Beratung der Bildungspolitik in der Bundesrepublik von den Fünfziger- bis in die Siebzigerjahre legt Wilfried Rudloff wesentliche Möglichkeiten, Grenzen und Dilemmata politikberatender Institutionen frei. Methodisch überzeugend gelingt ihm dies nicht zuletzt wegen des systematisch vergleichenden Zugriffs auf den "Deutschen Ausschuß für das Erziehungs- und Bildungswesen", den "Wissenschaftsrat" und den "Deutschen Bildungsrat". Indem er sowohl nach den "Konstruktionsprinzipien", als auch nach "Auftrag und Selbstverständnis" sowie nach der "politischen Durchschlagskraft" (159) der verabschiedeten Empfehlungen fragt, gelangt er zu einer Reihe von weiter führenden Einsichten: So identifiziert er neben den die einzelnen Gremien charakterisierenden, hier nicht zu referierenden Entstehungsbedingungen Lernprozesse in der Gestaltung dieser Gremien - Lernprozesse, die auf unübersehbare Misserfolge reagierten. Weiterhin sieht er eine entscheidende "Wirksamkeitsbarriere" (167) bildungsbezogener Politikberatung in fehlender institutioneller Verbindung zwischen Beratung und politischer Entscheidung - bei dem noch heute bestehenden Gremium "Wissenschaftsrat" war diese Verbindung immerhin gegeben. Der Wissenschaftsrat dient auch als Beleg für die These, Wirksamkeit sei bei der bildungspolitischen Beratung eher dann gegeben, wenn materielle Verteilungskonflikte zu lösen waren, als wenn ideologisch-programmatisch aufgeladene Konflikte zur Debatte standen. Wenngleich die unmittelbare politische Wirkung dieser drei Institutionen oftmals gering blieb, so warnt Rudloff zu Recht davor, diesen Befund vorschnell als Beleg für eine generell gering zu schätzende Wirkungsmacht derartiger Gremien zu verwenden: Abhängig ist eine solche Bewertung immer von den herangezogenen Modellen zur Abschätzung der Wirksamkeit. Bezieht man auch eher indirekte Wirkungen ein, wie beispielsweise das Setzen von Themen im öffentlichen Raum, dann ist der Einfluss aller drei vorgestellten Institutionen keinesfalls gering zu veranschlagen. Hier lässt sich eine Verbindung zu dem Beitrag von Clemens Albrecht herstellen, der am Beispiel der Politikberatung durch Exponenten der "Frankfurter Schule" weniger die tatsächliche Wirksamkeit solcher Beratung als entscheidend veranschlagt, sondern im Anschluss an Niklas Luhmann die "wechselseitige Irritation" (306) zwischen Wissenschaft und Politik.

Mit der Deutschen Atomkommission (DAK) behandelt Bernd-A. Rusinek ein Expertengremium, das in verschiedener Hinsicht aus den übrigen Gremien dieses Sammelbandes heraussticht: Einmal wegen seines in der Frühphase seines Bestehens überragenden Einflusses auf die Entscheidungen des zu Beginn noch "winzig[en]" (195) Atomministeriums, sodann wegen seiner überaus komplexen und daher wenig transparenten Organisationsstruktur, in der die bis zu 300 Mitglieder arbeiteten, und schließlich auch wegen des Umstandes, dass sich hier nicht nur wissenschaftliche Experten trafen, sondern auch Politiker und Unternehmensvertreter. Der unter dem Gesichtspunkt des Bandes interessanteste Aspekt des Beitrages liegt in der Analyse eines Wandels der vorherrschenden Expertenkultur im Verlauf der 60er-Jahre: Der autoritative und wenig transparente Charakter des Gremiums während der 50er-Jahre passte immer weniger in eine Zeit gesteigerter Demokratisierungsforderungen und kritischer Beleuchtung der Legitimitätsansprüche derartiger Beratung. Diese Entwicklung trug - neben einer Reihe anderer Faktoren - zu einem wesentlichen Teil dazu bei, dass die DAK 1971 ein frühes Ende fand, wie Rusinek überzeugend darlegt.

Sabine Schleiermacher fragt in ihrem Beitrag "Experte und Lobbyist für Bevölkerungspolitik" nach der Spezifik des Wissens, welches der Mediziner und Nationalökonom Hans Harmsen der Weimarer Republik, dem NS-Staat und der Bundesrepublik zur Verfügung stellte sowie auch danach, "wie sich der von ihm vertretene Sachverstand in die jeweilige bevölkerungspolitische Auseinandersetzung einfügte". Den politischen Einfluss, den Harmsen als Experte nahm, weist Schleiermacher auf dem Arbeitsfeld der "Eugenik" überzeugend nach, wenn sie seinen Beitrag zur Öffnung der protestantischen Kirche für eugenisches Gedankengut skizziert und seine gutachtliche Tätigkeit im Dritten Reich und - in frappierender Kontinuität - in der Bundesrepublik beschreibt. Nicht durchweg überzeugt dagegen die Darstellung von Harmsens bevölkerungspolitischen Aktivitäten: Seine Mitgliedschaft in den diversen einschlägigen Vereinigungen und Gremien ist zwar gut dokumentiert. Dagegen scheint die behauptete Verbindungsaufnahme "zu politisch einflußreichen Personen" (214) unzureichend fundiert, wenn dafür die Zusendung seiner Publikation "Praktische Bevölkerungspolitik" an Hitler, Mussolini und Brüning als Beleg dienen soll. Zudem fallen in diesem Abschnitt Widersprüche auf: So blieb etwa, folgt man der Autorin, die 1925 gegründete "Arbeitsgemeinschaft für Volksgesundung" während der NS-Zeit "in ihrer Struktur unangetastet" (218); auf derselben Seite erfährt man aber von erheblichen Personalveränderungen auf der Führungsebene der Arbeitsgemeinschaft wie auch von einer Verschiebung des Profils hin zu einer "Interessenvertretung der beiden großen christlichen Kirchen" bis 1935.

Wiederum am Beispiel eines einzelnen Wissenschaftlers, des Nationalökonomen Erich Preiser und dessen Beratungstätigkeit im "Wissenschaftlichen Beirat" beim Bundesministerium für Wirtschaft, erläutert Detlef J. Blesgen die Möglichkeiten und Grenzen für einen solchen Experten, seine Ansichten zunächst innerhalb des Gremiums selbst, ferner gegenüber der zu beratenden Politik durchzusetzen. Nach einer knappen Schilderung des wissenschaftlichen Werdegangs Preisers sowie seiner Verortung im Umfeld verschiedener, gegenüber dem Nationalsozialismus kritisch eingestellter Ökonomen, skizziert Blesgen den "Wissenschaftlichen Beirat" und seine Aufgaben besonders während der 1950er-Jahre näher. Die Grenzen des Einflusses solcher Beratung auf den politischen Prozess werden allerdings nur knapp in ihrer theoretischen Dimension beleuchtet, nicht empirisch analysiert - hier hätte man gerne mehr erfahren.

In erster Linie auf der Basis von Dokumenten aus dem Nachlass Konrad Adenauers sowie von bereits edierten Briefen versucht Hans Peter Mensing, ein gängiges Bild: das des Kanzlers der einsamen Entscheidungen, zu revidieren, indem er Adenauers Rückgriff auf Sachverstand sowohl des Regierungsapparates, als auch von engeren Vertrauten und persönlichen Freunden aus den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Bereichen anhand einer Reihe von Beispielen schlaglichtartig skizziert. Vielleicht war aber dieses gängige Bild schon immer ein zu offenkundiges Klischee, als dass diese Beispiele wirklich überraschen könnten. Gleichwohl ist es verdienstvoll, die Möglichkeiten zu erhellen (denn das ist das zentrale Ziel des Beitrags), den die genannten Quellengattungen für die künftige Erforschung der Entscheidungsprozesse der Regierung Adenauer leisten können. Ganz analog zu diesem Beitrag geht Daniela Münkel in ihrer Untersuchung zu Willy Brandt ebenfalls von einem vorherrschenden Bild aus: dem eines Bundeskanzlers, der sich im steten Austausch mit Intellektuellen, Journalisten und Wissenschaftlern befand. Entgegen diesem Image waren bereits in der Mitte der 60er-Jahre Versuche der SPD, Wissenschaftler in festen Gesprächskreisen zu ihrer Beratung zu gewinnen, von erheblichen Schwierigkeiten und Spannungen geprägt, und auch nach 1969 zog Bundeskanzler Brandt eher die ad-hoc-Beratung durch langjährige Weggefährten und Experten wie Egon Bahr vor, daneben auch durch Gespräche mit Wissenschaftlern und Intellektuellen. Wenngleich es zu keiner festen Institutionalisierung eines solchen Beraterkreises kam, so zieht Münkel dennoch das Fazit einer engeren Verbindung zwischen Wissenschaft und Politik als zuvor in der Bundesrepublik üblich.

Komplementär zu diesem Aufsatz lässt sich der Beitrag von Frank Bösch lesen, auch wenn dieser mit der professionellen Wahlkampfberatung durch Werbeagenturen sowie PR- und Meinungsforschungsinstitute zwischen 1949 und 1972 gerade keine Beratung durch wissenschaftliche Experten zum Gegenstand hat. Zum einen argumentiert Bösch einleuchtend, dass es gerade die weniger ausgeformte Parteiorganisation der CDU war, die es der Parteiführung erleichterte, externe Ressourcen der Wahlkampfberatung mit großem Erfolg heranzuziehen. Umgekehrt erschwerte es die ausgebildete Organisation der SPD, das hat bereits der Beitrag von Münkel erkennen lassen, auf externen Sachverstand für die Wahlkampfwerbung zurückzugreifen. Gleichwohl holte die SPD seit Beginn der 60er-Jahre in dieser Hinsicht auf. Überzeugend wird auch die allmähliche Verwissenschaftlichung der Wahlkampfberatung beleuchtet, wenngleich die damit verbundene These, dass dieser Prozess der CDU eher als der SPD geschadet habe (325), wohl noch eine stärkere Fundierung als zwei missglückte Wahlkampfslogans bräuchte.

An Winfried Süß' Beitrag zu Entstehung und weiterem Schicksal der "Projektgruppe Regierungs- und Verwaltungsreform 1966-1975" ist nicht in erster Linie die quellengesättigte Schilderung von Entstehung und Entwicklung dieses während der ersten großen Koalition gebildeten Gremiums hervorzuheben: Dessen Aufgabe bestand darin, unter Rückgriff auf sozialwissenschaftlichen Sachverstand Vorschläge zu einer umfassenden Reform der Bundesverwaltung zu erarbeiten. Zwar wurden nur wenige dieser Vorschläge tatsächlich aufgegriffen, sodass eine am Maßstab tatsächlicher Implementierung orientierte Bilanz eher negativ ausfiele. Süß berücksichtigt jedoch auch in klarer typologischer Auffächerung die möglichen indirekten Wirkungen des (in diesem Falle) sozialwissenschaftlichen Einflusses, wie auch die methodischen Probleme, solchen Einfluss nachzuweisen. Darüber hinaus beleuchtet er knapp die in der "Expertenforschung" noch zu wenig berücksichtigten Rückwirkungen auf die betroffenen Disziplinen selbst: Im Fall der hier behandelten sozialwissenschaftlichen Regierungs- und Verwaltungsforschung öffnete erst "die Gutachtertätigkeit für Kanzleramt und Projektgruppe [...] den an der Verwaltungsforschung interessierten Wissenschaftlern die Türen der Ministerialbüros" (347), was nicht ohne stimulierende Auswirkung auf diesen Wissenschaftszweig bleiben konnte.

Die Bedeutung des Wissenschaftszweiges der Kybernetik für die "Zukunftsforschung" der 1960er- und 70er-Jahre betont Alexander Schmidt-Gernig in seinem Beitrag zum "kybernetische[n] Zeitalter". Verdienstvoll ist hier die international vergleichende Perspektive und einleuchtend die Erklärung der spezifischen Attraktivität eines schon wegen seiner Herkunft aus der Mathematik gewissermaßen systemneutralen theoretischen Zugriffs auf eine Gesellschaft, die sich Zukunftsforscher mitunter als vollständig planbar vorstellten. Allein zur Anziehungskraft der kybernetisch inspirierten Zukunftsforschung auf Staat und Parteien hätte man sich noch vertiefende Überlegungen gewünscht. Den Band beschließt ein Beitrag von Carl Böhret, der, aus einem Rundfunkvortrag hervorgegangen, einen kurzen Streifzug durch die Jahrhunderte der Politikberatung bietet. Wenngleich dieser Aufsatz natürlich für eine gänzlich andere Textsorte als die übrigen Beiträge steht und eher impressionistische Schlaglichter auf das Verhältnis von Beratern und Beratenen wirft, so bleibt dennoch der Eindruck bestehen, als würde der in diesem Band erarbeitete Kenntnisstand mehr als einmal verfehlt und die sichtbar gewordene Komplexität des Themenfeldes unterkomplex abgehandelt.

Insgesamt bietet der Band eine gelungene Bestandsaufnahme gegenwärtiger (vorwiegend) zeithistorischer Forschungen zur wissenschaftlichen Politikberatung, die ein facettenreiches Bild möglicher Wechselverhältnisse zwischen Politik und Wissenschaft zeichnet und zugleich weitere Forschungen stimulieren kann.


Anmerkung:

[1] Eric J. Engstrom / Volker Hess / Ulrike Thoms (Hg.): Figurationen des Experten. Ambivalenzen der wissenschaftlichen Expertise im ausgehenden 18. und frühen 19. Jahrhundert (= Berliner Beiträge zur Wissenschaftsgeschichte, Bd. 7), Bern / Frankfurt a.M. 2005. Vgl. hierzu die Rezension in dieser Ausgabe; URL: http://www.sehepunkte.de/2006/06/8095.html.

Rezension über:

Stefan Fisch / Wilfried Rudloff (Hgg.): Experten und Politik. Wissenschaftliche Politikberatung in geschichtlicher Perspektive (= Schriftenreihe der Hochschule Speyer; Bd. 168), Berlin: Duncker & Humblot 2004, 384 S., ISBN 978-3-428-11565-5, EUR 98,00

Rezension von:
Michael C. Schneider
Institut für Geschichte der Medizin, Heinrich Heine-Universität, Düsseldorf
Empfohlene Zitierweise:
Michael C. Schneider: Rezension von: Stefan Fisch / Wilfried Rudloff (Hgg.): Experten und Politik. Wissenschaftliche Politikberatung in geschichtlicher Perspektive, Berlin: Duncker & Humblot 2004, in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 6 [15.06.2006], URL: https://www.sehepunkte.de/2006/06/8097.html


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