sehepunkte 6 (2006), Nr. 11

Judd Stitziel: Fashioning Socialism

In der zweiten Hälfte der 1990er-Jahre entstand in den USA eine Reihe von Ph.D.-Arbeiten, die sich mit dem privaten Konsum in der DDR und seinen verschiedenen Facetten befassten. Diese erscheinen jetzt nach und nach - wie in Amerika nicht unüblich - mit erheblicher Verzögerung und meist leider stark gekürzt in gedruckter Form. Mit der vorliegenden Arbeit erwarb Judd Stitziel im Jahr 2001 an der Johns Hopkins University Baltimore den Grad eines Ph.D. Ihm geht es darum, die Entstehung und Entwicklung der charakteristischen Konsumkultur und -politik der DDR anhand eines Typs von Verbrauchsgut, nämlich der Bekleidung, darzustellen. Dabei sollen die Spannungen und Konflikte innerhalb des Regimes zwischen den verschiedenen Herrschafts- und Lenkungsinstanzen ebenso wie mit und in der allgemeinen Öffentlichkeit aufgezeigt werden. Neben der Ideologie und den politischen Kalkülen der SED-Spitze geht das Buch auf das alltägliche Handeln in den Bürokratien, der Industrie und dem Handel ein und stellt die Interaktion zwischen dem Staat und seinen Bürgern in den Mittelpunkt. Die Bekleidung bietet in ihrer funktionalen Ambivalenz zwischen einem (zumindest in Mitteleuropa) dem Grundbedarf zuzurechnenden und einem als Distinktionsmittel eingesetzten oder als "Luxus" betrachteten Gut einen besonders günstigen Ansatzpunkt für eine solche Untersuchung. Zudem können am Beispiel der Bekleidung und der Mode verschiedenste Diskurse, wie zu Grundbedarf und "Luxusgütern", zu "sozialistischem Konsumentenverhalten" und zu Frauen als Konsumenten aufgezeigt werden. Zugleich wird die Analyse der DDR-Entwicklungen in die Beziehungsgeschichte zwischen West und Ost eingeordnet und so der transnationale Charakter vieler kultureller Phänomene herausgearbeitet. Grundlage der Untersuchung sind die Unterlagen zentraler und regionaler Institutionen im Bundesarchiv und in ausgewählten Landesarchiven sowie in einem breiten Umfang zeitgenössische Periodika. Die Analyse konzentriert sich auf die 1950er- und 1960er-Jahre und ist in sieben Kapiteln systematisch gegliedert. Dadurch werden die langen Linien der Entwicklung hervorgehoben und schließlich die Zäsur des Mauerbaus relativiert.

Das erste Kapitel widmet sich dem diskursiven und wirtschaftlichen Rahmen für die Konsumpolitik, wobei die ihr zugrunde liegende Ideologie und die kommunistische Utopie ("Jedem nach seinen Bedürfnissen") in den Mittelpunkt rücken, um die innerhalb der staatlichen und Parteiinstitutionen sowie zwischen Regime und Bevölkerung gerungen wurde, wobei erstere aber letztlich bestimmend blieben. Im zweiten Kapitel geht Stitziel auf die der Produktion, Verteilung und Planung innewohnenden Logik ein, wie sie sich vornehmlich in der "Tonnenideologie" niederschlug. Damit erklärt er das schlechte Angebot und die zunehmende Uniformität von Bekleidung. Das folgende Kapitel beleuchtet die Versuche, eine sozialistische Alternative zur westlichen Konsumkultur zu schaffen, wenngleich man weiter nach Paris oder Düsseldorf schielte. Die Mode sollte stärker entsprechend wirtschaftlichen Zielen gestaltet werden, indem man sie standardisieren wollte - freilich ein Widerspruch in sich. Anschließend wird die Preispolitik für Bekleidung thematisiert. Das fünfte Kapitel widmet Stitziel den Reaktionen des Regimes auf die zunehmenden unverkäuflichen Bestände an Bekleidung ("Überplanbestände"): Um diese doch abzusetzen, wurden Preise reduziert, spezielle Billig-Waren-Läden ("Biwi") geschaffen und Schlussverkäufe durchgeführt, ohne dass sich an dem Problem grundsätzlich etwas änderte. Auf der anderen Seite - und das ist der Gegenstand des sechsten Kapitels - sollten mit höheren Preisen Anreize geschaffen werden, damit mehr höherwertige und modische Kleidung produziert und angeboten würde. Die dazu seit 1961 geschaffene "Exquisit"-Ladenkette und die dafür erforderliche Fertigung zogen vielfältige praktische und politische Probleme nach sich. Aufbauend auf die Ergebnisse der vorhergehenden Kapitel wird im abschließenden die Praxis des Konsumierens von Bekleidung in der DDR anhand von Einkaufen, Selbstnähen, das Ausnutzen von "Beziehungen" sowie Eingaben und Beschwerden beleuchtet. Dabei überzeugen die letzten drei Kapitel besonders: So detailliert wurden die behandelten Probleme bisher noch nicht dargestellt. Nach einem Epilog wird der Band mit einem Literaturverzeichnis, was bei amerikanischen Verlagen inzwischen hervorgehoben werden muss, und einem Register abgerundet.

Insgesamt fällt an dieser Arbeit positiv auf, dass sie anders als vergleichbare Studien darauf verzichtet, den Gegenstand in einen der DDR nicht immer angemessenen theoretischen Rahmen zu pressen. Gleichwohl wird der historische Prozess auch hier theoretisch reflektiert. Allerdings wird in dem vorliegenden Band nur sparsam auf die vorliegende Literatur zur Konsum- und Wirtschaftsgeschichte der DDR Bezug genommen. Manches, was hier, mit archivalischen Quellen belegt, als neu erscheint, war auch schon woanders zu lesen, wenngleich mit anderen Akten nachgewiesen. Nichtsdestoweniger hat Stitziel einen gelungenen Beitrag zur Konsumgeschichte der DDR vorgelegt, der sich erfolgreich zwischen Wirtschafts- und Sozialgeschichte auf der einen Seite sowie Kultur- und Diskursgeschichte auf der anderen Seite bewegt.

Rezension über:

Judd Stitziel: Fashioning Socialism. Clothing, Politics and Consumer Culture in East Germany, Oxford: Berg Publishers 2005, XII + 260 S., ISBN 978-1-84520-282-8, GBP 17,99

Rezension von:
André Steiner
Zentrum für Zeithistorische Forschung, Potsdam
Empfohlene Zitierweise:
André Steiner: Rezension von: Judd Stitziel: Fashioning Socialism. Clothing, Politics and Consumer Culture in East Germany, Oxford: Berg Publishers 2005, in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 11 [15.11.2006], URL: https://www.sehepunkte.de/2006/11/9626.html


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