Rezension über:

Bruno Fritzsche / Hans-Jörg Gilomen / Martina Stercken (Hgg.): Stadtplanung - Planstädte, Zürich: Chronos Verlag 2006, 222 S., ISBN 978-3-0340-0762-7, EUR 32,00
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Rezension von:
Sebastian Haumann
Historisches Seminar, Heinrich-Heine-Universität, Düsseldorf
Redaktionelle Betreuung:
Stephan Laux
Empfohlene Zitierweise:
Sebastian Haumann: Rezension von: Bruno Fritzsche / Hans-Jörg Gilomen / Martina Stercken (Hgg.): Stadtplanung - Planstädte, Zürich: Chronos Verlag 2006, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 3 [15.03.2007], URL: https://www.sehepunkte.de
/2007/03/10250.html


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Bruno Fritzsche / Hans-Jörg Gilomen / Martina Stercken (Hgg.): Stadtplanung - Planstädte

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Der Sammelband fasst die Beiträge einer Tagung zusammen, die 2004 in Zürich stattfand. Ziel der Veranstaltung war es gewesen, aktuelle Debatten über Stadtplanung um eine historische Perspektive zu erweitern, Kontinuitäten aufzuzeigen und mögliche Anknüpfungspunkte an stadtgeschichtliche Fragestellungen herauszustellen. Die Beschäftigung mit der als "Aushandeln von konsensualen Lösungen" (7) charakterisierten zeitgenössischen Planungspraxis wirft die Frage auf, wie Planung als Ausdruck einer übergeordneten Absicht einerseits und individuelle Bedürfnisse und Wünsche der Nutzer andererseits bei der Gestaltung städtischen Raumes in Einklang gebracht werden können. In historischer Perspektive interessiert, ob Stadtentwicklung durch Maßnahmen der Regierungen und Planer "von oben" durchgesetzt wurde oder ob es sich dabei um ungeplante Entwicklungen "von unten" durch Bewohner und Bauherren handelte.

Der Band ist epochenübergreifend angelegt, erhebt indes nicht den Anspruch, die Geschichte der Stadtplanung umfassend darzustellen. Vielmehr konzentriert er sich auf einen Querschnitt aktueller Forschungsfragen. Dennoch lassen sich zwei Schwerpunkte der Beiträge erkennen: Zum einen die mittelalterlichen Stadtgründungen, denen etwa die Hälfte der Aufsätze gewidmet ist, zum anderen die Entstehung und Entwicklung der modernen Stadtplanung mit ihrem Ursprung im 19. Jahrhundert über das daraus abgeleitete Konzept der "sozialistischen Stadt" in Osteuropa bis hin zu Beiträgen zur aktuellen Stadtplanung.

In der Forschung zur mittelalterlichen Planung von Städten war man in den 1960er und 1970er Jahren davon ausgegangen, dass herrschaftlicher Gestaltungswille sich in so genannten Planungsstädten verdichtet habe. Den entsprechenden Plänen schienen religiös vermittelte Idealbilder der Gesellschaft zu Grunde zu liegen, die die soziale Ordnung in der gebauten Ordnung widerspiegeln sollten. Diese Forschungsmeinung ging von einer starken Durchsetzungskraft der planenden Herrscher bzw. städtischen Eliten aus und stützte sich in ihrer Argumentation auf den Quellenwert der neuzeitlichen Stadtgrundrisse, in deren gleichförmigen Mustern stadtplanerische Prinzipien des Mittelalters erkennbar seien. Eine stärker auf die Befunde der Mittelalterarchäologie gestützte Forschungsrichtung setzte sich in den folgenden Jahrzehnten von dieser Auffassung ab und betonte das ungeplante Wachstum, das nur vermeintlich geplante Strukturen hervorgebracht habe.

Die in sämtlichen Beiträgen des Sammelbandes mehr oder weniger explizit vertretene These wird in Martina Sterckens Beitrag (15-37) programmatisch formuliert. Sie plädiert dafür, beide Forschungsperspektiven zu kombinieren und davon auszugehen, dass mittelalterliche Stadtplanung immer nur die Rahmenbedingungen für spontane Entwicklungen vorgegeben hat, bzw. gewachsene Ortschaften später überplant wurden. Die Aussage, dass Planung und ungeordnete Entwicklung ineinandergriffen, wird durch die methodisch geleiteten Überlegungen Matthias Untermanns gestützt, der darstellt, wie durch die parallele Analyse von Stadtgrundriss und archäologischen Befunden ein komplexeres Bild mittelalterlicher Stadtplanung entsteht (39-49). In einer Reihe daran anschließender Beiträge des Sammelbandes referieren die Autoren über die bisherige Forschung auf diesem Gebiet und konkretisieren im Kontext Schweizer Geschichte und breit diskutierter Beispiele Perspektiven für die zukünftige Arbeit der Stadtgeschichtsforschung.

In den Beiträgen, die sich mit der modernen Stadtplanung befassen, ist das Augenmerk zunächst auf die Professionalisierung der Planung durch Architekten und Soziologen gerichtet. Gemeinsam entwickelten sie um die Wende zum 20. Jahrhundert, gestützt auf ihr Expertenwissen, eine "Planungsmacht". In der Kooperation zwischen Architektur und Soziologie entstand die Idee, dass Stadtplanung gesellschaftsformend wirken könne. Als einen wichtigen Ausgangspunkt dieser Tendenz identifiziert Rainer Egloff die Weltausstellung von 1893 in Chicago (125-140). Während im Chicago der Jahrhundertwende eine Mischung aus bürgerlicher Reformbewegung und Kapitalinteressen die Stadtplanung vorantrieb, waren es im Minsk der zweiten Jahrhunderthälfte das Ideal der "sozialistischen Stadt" und das Interesse der Sowjetunion, durch die Bereitstellung von Wohnungen ihren Staatsapparat zu stützen (Thomas M. Bohn: Das "Phänomen Minsk". Sozialistische Stadtplanung in Theorie und Praxis, 141-155). Allerdings lässt sich am Beispiel Minsk auch zeigen, wie die Planung von ungeordneter Stadtentwicklung durch eine massive, zum Teil illegale Zuwanderung konterkariert wurde. In der daraus resultierenden dörflich geprägten Lebenswelt der Millionenstadt manifestierte sich wie die Gewohnheiten und Bedürfnisse der Nutzer die Planungen des Sowjetregimes unterliefen. Ähnliches konstatiert Monica Rüthers für die sowjetische Wohnungspolitik in Moskau (157-180).

In der aktuellen Planung, wie Tina und Patric Unruh an Hand der Planung des Novartis-Campus in Basel demonstrieren (193-222), werden die für die mittelalterliche Stadtplanung festgestellten Prinzipien zum Ineinandergreifen von Planung und spontanem Wachstum wieder aufgegriffen. Das zuständige Architektenteam erstellte eine grobe Rahmenplanung, die die Verortung von Gebäudetypen auf dem Industrieareal festlegt. Die Umsetzung des Planes erfolgt dagegen durch eine im Konkreten zu verhandelnde Ausgestaltung der Gebäude. Dennoch zeigt dieses Beispiel auch, dass Skepsis geboten ist, historische Erkenntnisse unreflektiert in die heutige Zeit zu übernehmen, herrscht doch auf dem geplanten Novartis Campus die atypische Voraussetzung, dass Planungsinstanz und Bauherr letztendlich identisch sind.

Insgesamt geht der Sammelband konsequent auf die zentrale Frage nach dem Verhältnis von geplanter und ungeplanter Stadtentwicklung ein. Die Auseinandersetzung mit dieser Fragestellung ist unumgänglich, will man den Stand aktueller Kontroversen über Stadtplanung einschätzen. Die Bereicherung entsprechender Debatten um ihre historische Dimension ist den Autoren und Herausgebern gelungen. Insbesondere die Beiträge zur mittelalterlichen Stadt werden dem Anspruch gerecht, Planung und spontane Stadtentwicklung differenziert zueinander in Beziehung zu setzen. Auffällig ist, dass der Sammelband in zwei Teile zerfällt. Während der erste Teil, der dem Mittelalter gewidmet ist, sehr kohärent ist, ergeben die übrigen Aufsätze ein weniger geschlossenes Bild. Dies macht sich auch in der Qualität der beiden Teile bemerkbar. Die Beiträge des ersten Teils orientieren sich stringenter an der programmatischen Vorgabe des Sammelbandes und sind daher im Gesamtbild überzeugender. Sie vermögen es außerdem, Forschungsperspektiven aufzuzeigen, die im zweiten, der Neuzeit gewidmeten Teil, wesentlich weniger deutlich werden.

Sebastian Haumann