Rezension über:

Rainer Pöppinghege (Hg.): Geschichte lehren an der Hochschule. Reformansätze, Methoden, Praxisbeispiele, Schwalbach: Wochenschau-Verlag 2007, 213 S., ISBN 978-3-89974294-7, EUR 24,80
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Rezension von:
Anna Katharina Frings
Institut für Altertumskunde, Universität zu Köln
Redaktionelle Betreuung:
Michael Kaiser
Empfohlene Zitierweise:
Anna Katharina Frings: Rezension von: Rainer Pöppinghege (Hg.): Geschichte lehren an der Hochschule. Reformansätze, Methoden, Praxisbeispiele, Schwalbach: Wochenschau-Verlag 2007, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 10 [15.10.2007], URL: https://www.sehepunkte.de
/2007/10/12550.html


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Forum:
Diese Rezension ist Teil des Forums "Geschichtsdidaktik" in Ausgabe 7 (2007), Nr. 10

Rainer Pöppinghege (Hg.): Geschichte lehren an der Hochschule

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Dieser Band widmet sich einem Phantom: eine Hochschulfachdidaktik Geschichte gibt es (noch) nicht - eine Baustelle also, auf der in vorliegendem Band von verschiedenen Seiten aus gearbeitet wird. Das Humboldtsche Ideal der Einheit von Forschung und Lehre auf der einen Seite, verschulte kleinschrittig voranschreitende Lehrveranstaltungen mit genau abgezirkeltem studentischen workload auf der anderen Seite, das sind die Pole, zwischen denen sich die gegenwärtigen Vorstellungen zur Hochschullehre bewegen. Dem idealen Bild des naturwüchsig so gut forschenden wie lehrenden Professors entspricht das des hoch motivierten, selbstständig arbeitenden, eine akademische Laufbahn anstrebenden Vollzeitstudenten. Jahrzehntelang sah die Realität sicher teilweise anders aus: Ermüdende Seminare und überfüllte Lehrveranstaltungen von bleierner Passivität, in denen sich ein Referat an das andere reiht.

Die Hochschule ist im Umbruch: Bologna-Prozess, modularisierte Bachelor- und Master-Studiengänge, credit points, Hochschulrankings, Studiengebühren, die Überlegung, reine Lehrprofessuren mit deutlich erhöhtem Stundendeputat einzuführen - das sind die Stichworte des Wandels der deutschen und europäischen Hochschullandschaft. Mit der schon vollzogenen oder überall geplanten Einführung gestufter Studiengänge wird auch zunehmend bewusst, dass Studierende der Geschichte für ganz unterschiedliche Berufsfelder (aus)gebildet werden; die Schule ist nur eines davon, wenn auch ein wichtiges. Wie dieser Wandel zu bewerten ist, darüber besteht keine Einigkeit, und diese Pluralität spiegelt auch der vorliegende Band wider.

Obwohl die Geschichtsdidaktik sich als eine Wissenschaft versteht, die Bildungsprozesse an und durch Geschichte erforscht, befasst sie sich doch schwerpunktmäßig mit schulischem Geschichtsunterricht. Andererseits gehen Publikationen zur Hochschuldidaktik nicht spezifisch auf das Fach Geschichte ein; insofern schließt das vorliegende Buch eine Lücke.

Als Herausgeber fungiert Rainer Pöppinghege, der an der Universität Paderborn Geschichte lehrt, der Band fußt auf den Ergebnissen einer Paderborner Tagung im September 2005. Im Untertitel werden Reformansätze, Methoden und Praxisbeispiele annonciert. Die Beiträge werden unter den Kapiteln "Hochschulreform und Hochschuldidaktik", "Hochschuldidaktische Lehrformate", "Methoden" und "Neue Medien und Geschichtsstudium" subsumiert.

Die breiteste theoretische Reflexion von hochschulpolitischer Brisanz über das Thema leisten dabei sicher die Beiträge im ersten Kapitel, die auch einen Blick zurück werfen, wie Johannes Wildt (15-28) auf Friedrich Paulsen: der Historiker beschäftigte sich auch theoretisch mit der Lehre und lehnte Hochschuldidaktik als eigene Disziplin vehement ab, ganz der Vertreter der wilhelminischen Universität, in der Professoren das Lehren (und nicht das Initiieren von Lernprozessen) durch Lehren lernten. Wildt ist auch der einzige Autor, der nicht spezifisch das Fach Geschichte vertritt, sondern allgemeine Hochschuldidaktik (er leitet das Hochschuldidaktische Zentrum der Universität Dortmund und lehrt dort Soziologie und Erziehungswissenschaft). In seinem Beitrag werden auch hochschulpolitische Fragen angeschnitten, wie die Frage nach dem Verhältnis von allgemeiner Hochschuldidaktik und Fachdidaktiken, der Gestaltung der gestuften Lehrerbildung und der möglichen Entkoppelung von Forschung und Lehre. Hier plädiert Wildt für eine Kooperation zwischen Fachdidaktiken und allgemeiner Hochschuldidaktik. Michael Stolle (29-46) nimmt den Greifswalder Historiker und Geschichtsdidaktiker Ernst Bernheim in den Blick, der am Ende des 19. Jahrhunderts vor einer ähnlichen Umbruchsituation der Universität, wie das heute der Fall ist, stand und fachspezifische Reformvorschläge für die Lehre machte. Die Reformansätze des Historikers Walther Peter Fuchs in den 1950er- und 60er Jahren wurden nicht so rezipiert, wie sie es verdient hätten - in Stolles Beitrag wird deutlich, dass es bedenkenswerte fachspezifische Ansätze schon gegeben hat, an die man anknüpfen kann. Stolle skizziert eine Hochschulfachdidaktik Geschichte, die der Kardinalfrage "Wie lässt sich Geschichte lehren?" (46) verpflichtet, vor allem pragmatisch ausgerichtet ist und empirisch arbeitet.

Neben diesem Rückbezug auf historische Vorbilder werden auch Erkenntnisse der Lernpsychologie nutzbar gemacht, wie vor allem von Bärbel Völkel (47-69) in ihrem Beitrag zur Reflexion und Verantwortungsübernahme von Studierenden für ihren eigenen Lernerfolg. Völkel geht von eigenen Erfahrungen sowohl an der Hochschule als auch in der zweiten Phase der Lehrerbildung aus; sie schlägt als Angebot zum Erwerb eines Leistungsnachweises statt einer Klausur oder Hausarbeit das Führen eines Seminartagebuchs vor; ein allgemeiner Leitfaden steht neben konkreten Erfahrungen von Studierenden mit dem Seminartagebuch. In diesen Beiträgen wird der Grundtenor besonders deutlich, der sich durch den gesamten Band zieht: in der (nicht nur) auf das historische Lernen bezogenen Hochschuldidaktik geht es nicht nur um verbesserte Kommunikation und optimierte rhetorische Fähigkeiten, sondern um einen Perspektivwechsel von den Lehrenden zu den Lernenden: "[...] Wandel von einer dozenten- zu einer studentenzentrierten Lehr-Lernkultur" (20 f.) - das heißt, dass die Lernenden Verantwortung übernehmen für ihren eigenen Lernerfolg, wie auch die Lehrenden für die Effektivität ihrer Lehrveranstaltungen. Auch indem die Dozenten sich darauf einrichten, "zunächst das Vorwissen der Studierenden zu aktivieren und Fehlkonstruktionen zu moderieren" (40). An dieser Stelle kommt auch die zentrale, vielfach elaborierte Kategorie der Geschichtsdidaktik ins Spiel, das Geschichtsbewusstsein nämlich, das alle Studierenden mitbringen.

Weitere Vorschläge zur Aktivierung von Studierenden sind das "problemlösende Seminar" (Esther-Beate Körber, 71-81), Projektarbeit (Karl Heinrich Pohl, 82-95) und das "modulare Blockseminar" (Simone Lässig, 96-116). Um ein problemlösendes Seminar durchzuführen, bedarf es vor allem eines Umdenkens und des Überwindens kultureller Widerstände von Seiten der Lehrenden: Fragen und Nichtwissen zuzulassen und das Seminar nicht als "Ort und Zeit der Vorstellung von Ergebnissen, sondern als Ort und Zeit der Besprechung von Problemen" (73) aufzufassen. Die hier vorgestellte Seminarform ist auf alle Gruppengrößen und Lehrveranstaltungen im Grund- und Hauptstudium auch in modularisierten Studiengängen anwendbar. Das Für und Wider von Projektarbeit im Geschichtsstudium wägt Pohl ab und kommt zu dem Schluss, dass eine "gemäßigte" Form des Projekts mit relativ hoher Steuerung durch die Lehrperson zukunftsweisend ist, auch in Hinblick auf die über die fachlichen Kompetenzen hinaus zu erwerbenden Schlüsselqualifikationen. Eine Verbindung von Projekt und Seminar stellt das von Lässig vorgestellte Konzept des modularen Blockseminars dar: in der Form eines wissenschaftlichen workshops in drei Modulen organisiert, wobei das dritte Modul jeweils eine Verbindung der fachwissenschaftlichen Inhalte mit dem Bereich der Geschichtskultur umfasst.

Mit eher traditionellen Lehrformaten und auch eher konventionellen Ratschlägen beschäftigen sich die beiden folgenden Autoren: Frank Möller (117-127) mit dem Proseminar, verbunden mit einem klaren Plädoyer für die "Wissenschaftlichkeit" auch des (Bachelor-)Grundstudiums und Gunnar Grüttner (136-144), der versucht, die Perspektive von Studierenden zur Beurteilung dessen, was "gute Lehre" ist, einzunehmen. Etwas aus dem Rahmen fällt in diesem Kapitel der Beitrag von Carsten Dams (128-135) über die interdisziplinäre Implementierung des Themas Polizei im Nationalsozialismus im Curriculum der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung NRW.

Konkrete Vorschläge für aktivierende und kooperative Methoden, wie Myrle Dziak-Mahler (146-158) und Natascha Vittorelli (173-179) sie in ihren Beiträgen vorstellen, sind bewusst so gehalten, dass diese Methoden auch in üblichen Lehrveranstaltungen phasenweise eingesetzt werden können und nicht den strukturellen Rahmen universitärer Lehre sprengen. Dziak-Mahler stellt dabei auch Möglichkeiten der Kurzevaluation von Lehrveranstaltungen vor. Ausgehend von der Festlegung der Kompetenzen, die Studierende in Lehrveranstaltungen erwerben sollen, stellt Rainer Pöppinghege (159-172) ein aktivierend gestaltetes Proseminar vor; der exemplarische Seminarablauf zum Thema der deutschen Kolonialgeschichte 1848-1918 (tabellarisch 172) umfasst auch die für ein Proseminar wichtige Propädeutik und lässt sich auf andere Inhalte übertragen. Das lässt sich von dem Beitrag über die Einbindung von e-learning in den BA/MA-Studiengang an der Ruhr-Universität Bochum (Sabine Geldsetzer und Meret Strothmann, 181-193) weniger sagen: die technischen Möglichkeiten des Learning Management System Blackboard stehen nicht überall zur Verfügung. Jan Hodel (194-210) unternimmt den fruchtbaren Versuch, aus den verschiedenen Dimensionen historischer Analyse und Definitionen der Medienkompetenz ein Modell der Historischen Online-Kompetenz zu entwickeln. Die Reflexion und Definition von Kompetenzen (statt der Festlegung von Inhalten) entspricht dem "roten Faden" des vorliegenden Buches: weg von den Lehrenden, hin zu den Lernenden. Im gesamten Bildungsbereich nehmen Kompetenzfestlegungen einen immer breiteren Raum ein, wie die Kultusministerkonferenz-Vereinbarungen zu Bildungsstandards zeigen; vom Verband der Geschichtslehrer Deutschlands sind 2006 Bildungsstandards Geschichte vorgelegt worden.

Der Band reflektiert die Umbruchsituation an den Hochschulen, mit Beiträgen, die innovative Lehr- und Lernformen vorstellen und solchen, welche traditionelle Lehrveranstaltungen optimieren wollen. Die vorgestellten Praxisbeispiele sind nur bedingt auf unterschiedliche Bedingungen übertragbar, können aber Mut machen, ausgetretene Pfade zu verlassen. Wer Geschichte an der Hochschule lehrt, kann diesem Band wichtige Anregungen entnehmen; auf dem Weg zu einer Hochschulfachdidaktik Geschichte kommt man an ihm nicht vorbei.

Anna Katharina Frings