sehepunkte 7 (2007), Nr. 10

Carol Jacobi: William Holman Hunt

William Holman Hunt (1827-1910) ist - trotz des anhaltenden Booms in der viktorianischen Kunst- und Literaturgeschichte - nicht gerade ein "überforschter" Künstler. Rossettis Frauenbildnisse haben mehr Sexappeal, Millais' Portraits strahlen eine nicht unelegante bürgerliche Gediegenheit aus - im Vergleich mit seinen präraffaelitischen Mitbrüdern wirken Hunts religiös inspirierte Gemälde meist eher sperrig. Letztlich steht Hunt wohl auch aus diesem Grund im bibliografischen Schatten seiner Kollegen. Dass neben dem lang erwarteten, inzwischen von Judith Bronkhurst vorgelegten Werkverzeichnis der Gemälde Hunts [1] nun auch nach langer Zeit wieder eine neue Monografie zum Künstler vorliegt, ist deshalb schon für sich nicht nur bemerkens-, sondern auch begrüßenswert. [2]

Carol Jacobi gliedert ihre Studie - die überarbeitete Fassung ihrer 1997 am Birkbeck College angenommenen Dissertation - in neun Kapitel, die sich mit dem Problem der Autobiografie, den religiösen Vorstellungen Hunts, seiner Selbstdarstellung als Kind und Prophet, dem Thema des Todes, Hunts Arbeitsweise, seinen Vorstellungen zu Bildfunktionen und Symbolik sowie schließlich der Körperlichkeit bzw. Materialität befassen. Jacobi stellt bereits in der Einleitung klar, dass sie weder ikonographische noch biografische Fragestellungen verfolgt. Sie diagnostiziert, dass Hunts Autobiografie [3] den Blick auf viele Aspekte seines Werks durch eine Selbstmythologisierung effektiv verstellt habe. Der parataktische Untertitel ihrer Studie, "painter painting paint", folgt in seiner Anspielung auf Materialität aktuellen Wissenschaftsmoden, doch lässt sich Jacobis eigenes Interesse präzisieren: Ihre Haupthypothese ist die Beschreibung von Hunts grundlegendem künstlerischem Projekt als Versuch, die Synthese dreier Ebenen zu kontrollieren: Glauben/Religion, Mimesis sowie Material/Technik (156). Jacobi stellt fest, dass Hunt für diese Synthese auf den "prophetischen Blick" auf die abzubildende Natur angewiesen ist. Er nimmt diese Propheten-Rolle auch in seiner Autobiografie für sich in Anspruch, kann aber das Verhältnis zwischen optischem und spirituellem Blick letztlich nicht auflösen (163). Jacobi zeigt das grundlegende Problem auf, dass Hunts überwältigender Detailrealismus die Wahrnehmungskräfte des Betrachters so sehr bindet, dass die inhaltlich bedeutendere Heilsbotschaft überlagert und eine entsprechende Interpretation verhindert wird (75ff.).

Bereits Landow [4] hat auf der ikonographischen Ebene Aspekte der Symbolsprache Hunts untersucht. Jacobi unternimmt es nun, den Synthesebestrebungen des Künstlers auf der individuell-bildsprachlichen Ebene mit einem Rückgriff auf die Peircesche Triade aus Ikon, Symbol und Index auf die Spur zu kommen (183ff.), wobei ihr bewusst ist, dass sich diese drei semiotischen Funktionen in beinahe allen Bildelementen überlappen (191). Sie stellt mithilfe der Betrachtung von vorbereitenden Skizzen und Zeichnungen fest, dass Hunt seine mimetische Darstellungsarbeit erst beginnt, nachdem er Sujet, Ikonographie und Komposition (als Peircesche Symbole) bereits festgelegt hat. Schließlich weist Jacobi nach, dass Hunt nicht nach der Natur malt, sondern nach ausgewählten Elementen der Natur, die er als mit Bedeutung versehene Versatzstücke einsetzt.

In die so angelegten Strukturen einer theologisch legitimierten semiotischen Ordnung setzt Hunt in einem zweiten Schritt die mimetisch modulierten Objekte ein - für Jacobi das Gegenstück zu den unmittelbar optisch entschlüsselbaren Peirceschen Ikonen. Nach ihrer Analyse ordnet Hunt auf diese Weise den Realismus / die Mimesis einem letztlich textlich verankerten symbolischen Layout unter. Das Privatsprachenargument liegt nicht fern und erklärt die Notwendigkeit, diese Sprache durch Erläuterungen auf den Bilderrahmen und in Pamphleten dem Publikum zu vermitteln. Die Aufgabenteilung zwischen beiden (der vergoldete Bilderrahmen verstärkte den spirituellen, der gedruckte Begleittext den realistisch-narrativen Aspekt) nimmt wiederum Hunts Absichten auf, beide Ebenen zu verschmelzen.

Jacobis Zwei-Stufen-Modell eignet sich zur Erklärung, weshalb der Bildraum bei Hunt oft uneindeutig wirkt. Diesem Modell folgend setzt das mimetische Bestreben als Lokaloberflächeneffekt beim einzelnen Objekt an, das nicht in einem einheitlichen Bildraum verankert ist, sondern innerhalb eines narrativen Symbolgerüsts. Jedes Element hat deshalb seinen eigenen Bildraum, und die Gesamtheit wirkt heterogen. Das schlug sich bereits in zeitgenössischen Bildbeschreibungen nieder: Hier wurden oft die einzelnen Objekte im Bild nacheinander abgehandelt (209ff.). Jacobi spricht von einer Fragmentarisierung des Blicks, die wiederum in vielen von Hunts Gemälden umgesetzt wird, wenn die Blicke der dargestellten Figuren isoliert bleiben.

Jacobi deutet diesen Widerspruch unter Einbeziehung der privaten Äußerungen Hunts als dessen ureigenen. Stets habe er - immer wieder scheiternd - gegen einen drohenden Kontrollverlust auf allen Ebenen angemalt. Ein Gemälde habe für Hunt eine Aussage der/seiner Unverwundbarkeit sein sollen (232). Auch diesen Aspekt setzt Jacobi wieder zu Hunts Technik in Beziehung. Diese zielte vor allem auf den Effekt eines harten, flachen Bildspiegels: leuchtkräftige Pigmente, helle Grundierungen mit einer Zink-/Bleiweißmischung, die Einarbeitung von Firnis in die zahlreichen dünnen Farbschichten und die Glättung der Leinwand mittels auf der Rückseite angebrachter Holztafeln (120ff.). Die Konzentration und Fixierung auf die Perfektion der Bildoberfläche indes weist auf die Brüchigkeit der Konstruktion - auch der künstlerischen Person - hin. Hunt sah sich und die Oberfläche seiner Gemälde oft bedroht und verfolgt, z. B. durch die Kunstkritik oder schlicht widrige äußere Umstände (242ff.). Einerseits führte er die Einheitlichkeit einer intakten, gleichsam unverwundbaren Bildoberfläche vor, andererseits unterlief er diese einheitliche Wirkung durch die Fragmentierung des Bildraums.

Gegen Ende ihrer Darstellung führt Jacobi die drei Begriffe des Untertitels ihrer Arbeit zusammen: Die Integrität des "painters" sei auf das Engste mit derjenigen "of the painting and the paint layer" verknüpft. Der Malprozess diene beidem sowohl als biografisch-psychologische wie auch als technische Klammer. Die Gemälde hingegen verrieten durch ihre semiotischen Widersprüche und bildräumliche Fragmentierungen dem Betrachter die hinter ihnen liegende Ambivalenz des Malers als künstlerische Person, bestätigt durch Briefe und Tagebücher. Das rezeptive Unwohlsein, dass Jacobi bei Kritikern und Betrachtern von Hunts Gemälden zu Beginn ihrer Studie ausgemacht hat, sieht sie schlussendlich als Folge dieser Ambivalenz, und konstatiert plakativ: "Hunt ist ein tragischer künstlerischer Frankenstein." (256).

Jacobi schreibt nicht immer elegant; oft hemmen umständliche Passivkonstruktionen den Lesefluss. Die zentralen Argumente und Beobachtungen umkreist Jacobi nicht ohne Wiederholungen. Hin und wieder hätte sie, obwohl sie die Psychologie nur als Hilfsmittel benutzen möchte (113), ihre Exkurse etwas intensiver methodisch absichern können. Doch sind dies kleinere Schönheitsfehler: Wer sich für William Holman Hunts Bildsprache interessiert, wird auf Jacobis Arbeit nicht verzichten können. Sie geht ihrer Hauptthese auf mehreren Ebenen nach und verschränkt diese miteinander. Sicher ließen sich einzelne Ergebnisse in anderen Kontexten relativieren, etwa in Bezug auf den Kunstmarkt oder auf Hunts spezielle Ausstellungsstrategien. In dieser Hinsicht bleibt Jacobi immanent, damit aber einfach innerhalb des selbst gesteckten Rahmens. Sie zeichnet das komplexe Gesamtbild der Bildsprache Hunts mit zahlreichen interessanten Ergebnissen und mit den Widersprüchen, welche letztlich eine Künstlerpersönlichkeit ausmachen. Jacobi bietet ein theoretisches Fundament an, das für die weitere Beschäftigung mit einzelnen Werken Hunts und deren Bildaussagen sehr nützlich sein dürfte.


Anmerkungen:

[1] Judith Bronkhurst: William Holman Hunt. A Catalogue Raisonné, New Haven / London 2006.

[2] Zuletzt: George P. Landow: William Holman Hunt and Typological Symbolism, New Haven / London 1979 und Jeremy Maas: Holman Hunt and The Light of the World, London / Berkeley 1984.

[3] William Holman Hunt: Pre-Raphaelitism and the Pre-Raphaelite Brotherhood. 2 Bde., London 1905 (2., erw. Aufl. 1913).

[4] George P. Landow: William Holman Hunt and Typological Symbolism, New Haven / London 1979.

Rezension über:

Carol Jacobi: William Holman Hunt. Painter, Painting, Paint, Manchester: Manchester University Press 2006, xv + 287 S., ISBN 978-0-7190-7288-8, GBP 55,00

Rezension von:
Grischka Petri
Institut für Kunstgeschichte und Archäologie, Universität Bonn / Department of History of Art, University of Glasgow
Empfohlene Zitierweise:
Grischka Petri: Rezension von: Carol Jacobi: William Holman Hunt. Painter, Painting, Paint, Manchester: Manchester University Press 2006, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 10 [15.10.2007], URL: https://www.sehepunkte.de/2007/10/10096.html


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