Rezension über:

Martin Jürgens: Staat und Reich bei Ernst Rudolf Huber. Sein Leben und Werk bis 1945 aus rechtsgeschichtlicher Sicht (= Rechtshistorische Reihe; Bd. 306), Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2005, XIV + 327 S., ISBN 978-3-631-53322-2, EUR 56,50
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Rezension von:
David von Mayenburg
Universität Bonn
Redaktionelle Betreuung:
Nils Freytag
Empfohlene Zitierweise:
David von Mayenburg: Rezension von: Martin Jürgens: Staat und Reich bei Ernst Rudolf Huber. Sein Leben und Werk bis 1945 aus rechtsgeschichtlicher Sicht, Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2005, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 11 [15.11.2007], URL: https://www.sehepunkte.de
/2007/11/12761.html


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Martin Jürgens: Staat und Reich bei Ernst Rudolf Huber

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Bereits zu Lebzeiten wurden dem konservativen Staatsrechtler und Verfassungshistoriker Ernst Rudolf Huber (1903-1990) erste biografische Würdigungen zuteil, und das Interesse an Person und Werk Hubers scheint noch immer ungebrochen. [1] Vor diesem Hintergrund erwartet man von einer weiteren Studie zu Hubers Staatslehre zumindest ein innovatives Deutungsangebot. Um es vorwegzunehmen: Dieser Erwartung wird Martin Jürgens' Saarbrücker Dissertation kaum gerecht.

Nach einer äußerst knappen Einführung, unter Verzicht auf einen Literaturbericht und eine Erläuterung des methodischen Zugriffs, beginnt Jürgens seine Arbeit mit einer etwa 50seitigen Darstellung der wichtigsten Lebensstationen Hubers. Aufgrund einer fleißigen Auswertung des vorhandenen Quellenmaterials schildert er dessen Anfänge im Nerother Wandervogel und seine bis 1945 geradlinige Karriere als Staatsrechtler. Ausführlich würdigt er dann die schließlich 1957 auch erfolgreiche Bemühung Hubers, den Malus der Kompromittierung im 'Dritten Reich' abzustreifen und wieder auf einen Lehrstuhl berufen zu werden.

Knapp 100 Seiten widmet Jürgens dann der Verortung Hubers in der Staatsrechtslehre der Weimarer Republik. Er verdeutlicht dessen staatsphilosophischen Hintergrund und verweist überzeugend auf die prägenden Einflüsse Hegels, Lorenz von Steins und vor allem seines Bonner Lehrers Carl Schmitt für Hubers gegen Weimar gerichtetes, antiliberales und interventionistisches Staatsverständnis. Darauf aufbauend folgt die Einordnung der Positionen Hubers in den Methoden- und Richtungsstreit der Weimarer Staatsrechtslehre, in dessen Spätphase sich der junge Staatsrechtler, auch hier wohl Carl Schmitt folgend, nicht explizit einem Lager anschloss. Vielmehr sei es gerade sein "Methodenpluralismus", der Hubers Frühwerk besonders kennzeichne. Jürgens exemplifiziert dann Hubers verfassungsrechtliche Position anhand einiger ausgewählter Beispiele aus der Weimarer Verfassungsdiskussion, nämlich der Bedeutung der Grundrechte, der Debatte um den Parteienstaat, sowie der verfassungsrechtlichen Stellung des Reichspräsidenten. Es wird deutlich, wie die diffuse Vorstellung eines überindividuell und überzeitlich gedachten, vorpositiven Staates Huber als Projektionsfläche diente, um die konkreten Institutionen der demokratisch-liberalen Weimarer Verfassung zu denunzieren. Auch in der Weimarer Endphase erwies sich Huber als treuer Schüler Schmitts, zeigte jedoch vor 1933 trotz einiger ideologischer Parallelen keine offene Sympathie für den Nationalsozialismus.

Der größte Teil der Studie behandelt Hubers staatsrechtliche Position im Nationalsozialismus und seinen letztlich vergeblichen Versuch, das "nationalsozialistische Staatsrecht in eine Ordnung zu bringen" (141). Jürgens verfolgt den Weg dieser Idee von ersten Ansätzen 1934 bis zu Hubers 1939 erschienenem "Verfassungsrecht des Großdeutschen Reiches". So sah der inzwischen der NSDAP beigetretene Staatsrechtslehrer im so genannten "Ermächtigungsgesetz" vom 24.3.1933 nicht etwa eine weitere, aus der Not geborene Verfassungsdurchbrechung, sondern den Grundstein für eine neue, nationalsozialistische Verfassung. Nach 1933 habe Huber dann sowohl verfassungstheoretisch als auch wissenschaftspolitisch eine von vornherein aussichtslose Vermittlerrolle zwischen überkommenem Positivismus und einer völlig vom Recht gelösten Politik eingenommen. Abschließend werden Hubers Zentralbegriffe "Volk", "Führer" und "Bewegung", sowie sein in der Endphase des 'Dritten Reichs' ins Zentrum tretendes Verständnis vom "Reich" erläutert.

Zwar reiht Jürgens seine Argumente teilweise geschickt und streckenweise überzeugend aneinander, dennoch ist der Mangel einer Erkenntnis leitenden Fragestellung und vor allem einer originellen These offensichtlich. So wird über weite Strecken rein deskriptiv ein Stoff behandelt, der in der Literatur bereits mehrfach aufbereitet wurde. [ 2] Vor allem werden die Möglichkeiten eines biografischen Zugriffs nicht ausgeschöpft: Nur vereinzelt erklärt Jürgens Tendenzen der Staatstheorie Hubers durch konkrete individuelle Prägungen; erst recht werden diese nicht als Teil einer kollektiven biografischen Erfahrungswelt plausibel gemacht. [3] Bleibt damit im Hauptteil die Person hinter dem Staatsrechtler Huber blass, so verwundert umgekehrt in der biografischen Einleitung die nicht zu überlesende Anteilnahme für den Wunsch Hubers nach einer Rückkehr auf einen Lehrstuhl. Gerade wo Jürgens sich auf den historischen Kontext bezieht, finden sich immer wieder befremdliche Formulierungen. So etwa die Feststellung, die "Ideen" der "konservativen Revolution" hätten "berechtigterweise" gegenüber dem Nationalsozialismus eine "geistige und sittliche Überlegenheit" empfunden (140). Geradezu grotesk ist dann die These, durch die "expansive Gebietspolitik der Jahre 1938/39" sei "Deutschland auch dem inhaltlichen Anspruch des Begriffs 'Reich' wieder gerecht" geworden (243f.). Gerade bei der Auseinandersetzung mit Hubers Rolle im Nationalsozialismus macht Jürgens zu wenig deutlich, nach welchen Kriterien diese beurteilt werden soll. [4] So erscheint es am Ende auch wenig überzeugend, wenn Jürgens aus Hubers "Geschichtsverständnis" schließt, dass dieser 1933 dem Nationalsozialismus gegenüber "arglos" gewesen sei "und zu lange hoffte, dass sich das Gute durchsetzen werde" (284).

Abgesehen von einigen Details zur Biografie lernt der Leser bei Jürgens also kaum etwas Neues über das Staatsrecht der späten Weimarer Republik und des Nationalsozialismus. Bezeichnend ist, dass Jürgens wichtigste These, nämlich die Interpretation der Methode Hubers und der nationalsozialistischen Staatsrechtswissenschaft als Strategie der "Synthese [...] durch Aufhebung von Gegensätzen" (282) bereits 1994 in Oliver Lepsius' Studie zur Weimarer Methodenlehre weitaus präziser formuliert worden ist [5] - ein Buch, das Jürgens offensichtlich trotz ansonsten solider Literaturauswertung nicht zur Kenntnis genommen hat.


Anmerkungen:

[1] Vgl. nur Max-Emanuel Geis: Kulturstaat und kulturelle Freiheit, Baden-Baden 1990; Ralf Walkenhaus: Konservatives Staatsdenken. Eine wissenssoziologische Studie zu Ernst Rudolf Huber, Berlin 1997; vgl. neuerdings auch die Übersicht zum Forschungsstand bei Ewald Grothe: Zwischen Geschichte und Recht, München 2005, 172ff. m. Fn. 31.

[2] Vgl. neben der oben genannten Literatur vor allem die Darstellung bei Michael Stolleis: Geschichte des Öffentlichen Rechts in Deutschland. Weimarer Republik und Nationalsozialismus, München 2002.

[3] Eine überzeugende Interpretation in diesem Sinne findet sich bei Christoph Möllers: Der Methodenstreit als politischer Generationenkonflikt. Ein Angebot zur Deutung der Weimarer Staatsrechtslehre, in: Der Staat 43 (2004), 399-423. Ähnlich auch Grothe, a.a.O., 175.

[4] Hierzu: Oliver Lepsius: Personengebundene oder strukturorientierte Bewertungskriterien für juristisches Verhalten im Nationalsozialismus, in: Münchener rechtshistorische Studien zum Nationalsozialismus, hrsg. von Hermann Nehlsen und Georg Brun, Frankfurt/M. u. a. 1996, 63-102.

[5] Oliver Lepsius: Die gegensatzaufhebende Begriffsbildung, München 1994.

David von Mayenburg