sehepunkte 7 (2007), Nr. 12

Islamische Welten

Einführung

Von Stephan Conermann

In diesem Forum "Islamische Welten" findet man eine Reihe wichtiger Bücher besprochen, die insgesamt gesehen wieder das breite Spektrum der gegenwärtigen Islamwissenschaft abbilden. Dabei gilt es, auch die osteuropäische Orientalistik stärker in den fachinternen Diskurs einzubeziehen. Gerade die polnischen wie auch die russischen Kollegen leisten sehr gute Arbeit. Vor allem wenn es um die Auswertung von Archivalien geht, muss man etwa den Historikern aus Polen großen Respekt zollen. (Purnaqcheband über Szlanta). Die russischsprachige Orientalistik ist bisher leider nur sehr schlecht aufgearbeitet, obgleich Persönlichkeiten wie V. R. Rozen, V.V. Grigor'ev, A. E. Krymskij und V. V. Bartol'd in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts sicher zu den bedeutendsten Islamforschern weltweit zählten. Hochinteressant, wenngleich nicht beim ersten Lesedurchgang zugänglich, ist auch das Werk von Mark Abramovič Batunskij (gestorben 1997). In einer dreibändigen, aus dem Nachlass herausgegebenen Monographie liefert er einen faszinierenden historischen Überblick über das Verhältnis von Russen zu Muslimen im eigenen Land. Darüber hinaus bezieht er im dritten Band seiner Darstellung dezidiert Stellung zu den Leistungen der russischsprachigen Orientalistik an der Wende vom 19. zum 20. Säkulum. (Farkhshatov über Batunskij).

Wenn es um Quellen geht, scheint die Beschäftigung mit der oral tradierten epischen Volksliteratur bisher eher vernachlässigt worden zu sein. Dass dies ein großer Fehler ist, zeigt sich, wenn man sich beispielsweise den Baibarsroman ("Sīrat Baibar") aus dem 14. Jahrhundert genauer anschaut. (Reinfandt über Herzog). Zwar ist die Urfassung schwer zu rekonstruieren, da die Verschriftlichung der Texte in erster Linie aus mnemotechnischen Gründen erfolgte. Analysiert man den Roman aber unter mentalitätsgeschichtlichen Aspekten, ist es durchaus möglich, an die Vorstellungswelten der bildungsfernen Schichten heranzukommen. Ja, man kann sogar sowohl einen Wandel des Imaginaire herauskristallisieren wie auch die gesellschaftliche Funktion der Epen bestimmen.

Ein zentrales Gebiet der Islamwissenschaft deckt die Orientalische Kunstgeschichte ab. Ihre Gegenstände sind mannigfaltig und bisweilen sehr unterschiedlich. So stellen zum Beispiel Olifanten ein sehr seltenes, aber lohnenswertes Studienobjekt dar. (Redlinger über Shalem). Nur 75 Objekte sind bekannt, die größtenteils aus der Zeit vom 11. bis zum 13. Jahrhundert, stammen und entweder im fatimidischen oder normannischen Umfeld angefertigt wurden. Auftraggeber waren nicht selten europäische Herrscher oder Kirchenfürsten.

Geht es um den gegenwärtigen Islam, so ist der Iran stets eine trendbildende Gesellschaft. (Amirpur über Alavi). Die iranische Jugend macht momentan über 25% der Bevölkerung des Landes aus. So ist es kein Wunder, dass Weblogs ein von iranischen Studenten intensiv genutztes Medium sind, individuelle Gedanken, Wünsche und Analysen anonym zu veröffentlichen. Die formlosen Einträge auf privaten Web-Sites geben uns Auskunft über die Befindlichkeit der iranischen Gesellschaft. Gab es 2001 ca. 200 iranische Blogs, so sind es heute mehr als 100.000.

Aber nicht nur in Iran, sondern auch in der arabischen Gesellschaft hat sich in den letzten Jahren eine Öffentlichkeit im Habermasschen Sinne etablieren können. (Amroune über Lynch). Der 1996 gegründete Nachrichtensender al-Jazeera bot die Gelegenheit für wirklich kontroverse Diskussionen im Sinne westlicher Pressefreiheit. Allerdings behagte dieser innerarabische Meinungspluralismus den Amerikanern während des Irakkrieges überhaupt nicht, da ihre Militärpolitik auf die totale Kontrolle aller Medien abzielte. Sie diffamierten den Sender, wo sie nur konnten. Die amerikanische Politik genoss in der arabischen Öffentlichkeit keine Glaubwürdigkeit. Letzten Endes waren Al-Jazeeras Berichte viel genauer und unabhängiger als die der kriegführenden Parteien.

Ein anderes untersuchenswertes Forschungsfeld sind Räume und Raumfunktionen in der islamischen Welt. Welche Auswirkungen auf ein urbanes Raumgefüge haben zum Beispiel Kriege? Schaut man sich etwa ein Wohnviertel in Beirut an, so lässt sich ein Wandel in der Nachkriegszeit konstatieren, der dann natürlich durch den Bürgerkrieg von 1975-1990 erheblich beschleunigt wurde. (Peskes über Gephart/Sack). Solche Raumstudien erfordern einen mikrohistorischen und vor allem interdisziplinären Ansatz. Nicht selten sind Geographen, Stadtplaner, Architekten, Sozialanthropologen, Islamwissenschaftler und Sozialhistoriker an diesbezüglichen Forschungsprojekten beteiligt.

Geht es um gegenwartsbezogene Themen, so gleicht das Palästinenserproblem einem roten Faden, der sich durch die Geschichte des Nahen Ostens seit 1948 zieht. Betroffen ist vor allem Jordanien, wo die 4,7 Millionen palästinensischen Flüchtlinge über 40% der Gesamtbevölkerung darstellen. (Heibach über Al-Dabbas). Die sozialen und gesellschaftlichen Auswirkungen auf das Land sind enorm. Obgleich die meisten Palästinenser mittlerweile einen jordanischen Pass besitzen, ist ihre Lebenssituation in der Regel recht erbärmlich.

Arabische Intellektuelle diskutieren derweil lieber über einen angeblich im Islam grundsätzlich angelegten Rationalismus. (Eichner über Hildebrandt). Die westliche Rezeption der Mu'tazila, also einer theologischen Richtung, die seit dem 2. Jahrhundert maßgeblich an der Herausbildung einer argumentativ orientierten islamischen Dogmatik beteiligt gewesen ist, führte am Ende des 19. Jahrhunderts dazu, dass man eine Gruppe arabischer Gelehrter als Neo-Mu'taziliten bezeichnete. Bemerkenswerterweise wurde diese Zuschreibung in der Folgezeit von muslimischen Gehrten selbst übernommen, so dass heutzutage arabische Intellektuelle die historische Rolle der Mu'tazila ausführlich diskutieren und sie als Projektionsfläche eigener Gedankengänge benutzen.

Aber auch die 'klassische' Islamwissenschaft ist in diesem Forum vertreten. Ein 1316 von einem anonymen Autor verfasster "Brief der Leute von Zypern" eröffnet einen faszinierenden Einblick in vormoderne muslimisch-christliche theologische Auseinandersetzungen. (Conermann über Ebied/Thomas). Das Schreiben ging an zwei Damszener Gelehrte, die beide lange Repliken verfassten. Ein ganz anderes, aber nicht minder wichtiges Genre der so genannten islamischen Wissenschaften sind Korankommentare. (Conermann über Saleh). Die Texte sind leider bisher nur ansatzweise erforscht worden. Hunderte von Werken liegen allein in Manuskriptform vor. Das Subgenre "Kommentarliteratur", d.h. Kommentare und Superkommentare zu den Grundtexten, hat zudem noch überhaupt keine wissenschaftliche Behandlung erfahren.

Schließlich vernetzen sich Islamwissenschaftler mit einer speziellen Ausrichtung zusehends. (Conermann über Newman). So hat sich neben einer Mamluken-, Abbasiden-, Osmanen- oder Mogulforschung auch eine Safavidenkunde etabliert. Internationale Konferenzen dienen den Interessierten als Forum für einen substantiellen Meinungsaustausch und für eine Verständigung über den jeweiligen Forschungsstand. Speziell zu den Safaviden gab es bisher vier solcher Rundgespräche (1989, 1993, 1998 und 2003), deren Beiträge in Sammelbänden publiziert werden.

Wie man sieht, bietet das "Islamische Forum" viele neue Einsichten und Erkenntnisse aus unserem Fachgebiet. Ich wünsche allen eine anregende Lektüre!

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