sehepunkte 9 (2009), Nr. 4

Anja Amend / Anette Baumann / Stephan Wendehorst u.a. (Hgg.): Die Reichsstadt Frankfurt als Rechts- und Gerichtslandschaft im Römisch-Deutschen Reich

Der vorliegende Sammelband ist das Ergebnis der fünften Tagung des Netzwerkes Reichsgerichtsbarkeit, die am 1. und. 2. Dezember 2005 in Frankfurt stattfand. In der vierten Tagung ("Gerichtslandschaft Altes Reich? Reichsgerichtsbarkeit und Rechtsraum", 7.-8. April 2005 in Wetzlar) hatte man den Blick von Reichskammergericht und Reichshofrat auf das Reich gerichtet. Nachdem diese höchsten Gerichte in den vergangenen Jahren intensiv erforscht worden waren, wollte man nun den umgekehrten Weg gehen, d. h. die Vielfalt der rechtlichen Verhältnisse und Strukturen des Alten Reiches sollte aus der Perspektive eines einzelnen Reichsstandes dargestellt werden. Hierfür musste ein möglichst begrenzter, gleichzeitig aber auch aussagekräftiger Raum gefunden werden, um "die vielgestaltige Struktur und Dynamik der Rechts- und Gerichtslandschaft des Alten Reichs gleichsam in einem Mikrokosmos ab[zu]bilden." Die Veranstalter entschieden sich deshalb für die Reichsstadt Frankfurt am Main.

Der Band enthält neben einer kurzen Einleitung der Herausgeber 13 Beiträge. Die Herausgeber erkennen an, dass Frankfurt trotz seiner besonderen reichsgeschichtlichen Bedeutung (Wahl und Krönung, Messe) dem Korpus der Reichsstädte angehörte, in denen sich ganz spezifische rechtliche Phänomene ausbildeten. Deshalb sei es reizvoll, das Konzept der Rechts- und Gerichtslandschaft auf ein Kurfürstentum oder größeren Reichsstand anzuwenden und die Ergebnisse mit denen der Frankfurter Studie zu vergleichen.

Der Band ist in zwei Abteilungen gegliedert: "Gerichtsforen" und "Justiznutzung durch Einzelne oder Korporationen". In der Abteilung "Gerichtsforen" geht Gabriela Schlick-Bamberger auf die Audienzen des Jüngeren Bürgermeisters ein, die als ein für Bagatellstreitigkeiten zuständiges Untergericht das Alltagsleben der Bevölkerung widerspiegeln und bisher, wie auch die Audienzen des Älteren Bürgermeisters, in der Forschung noch keine Beachtung fanden.

Hartmut Bock behandelt anhand ausgewählter Beispiele die Praxis der Hinterlegung beglaubigter Abschriften (Insinuation) der Frankfurter Privilegien am Reichskammergericht, am Reichshofrat sowie am Hofgericht Rottweil, und stellt damit ein Mittel vor, das zum einen die Frankfurter Privilegien sichern, zum anderen das Verfahren der Abforderung von einem auswärtigen Gericht an das Frankfurter Schöffengericht erleichtern sollte. Mit den Beziehungen zwischen Frankfurt und dem Reichshofrat in Wien befasst sich der Beitrag von Eva Ortlieb, jedoch nicht aus Sicht der Stadt, sondern aus Sicht des Reichshofrates. Die systematische Auswertung der umfangreichen Aktenbestände des Haus-, Hof- und Staatsarchivs in Wien ergab, dass sich im 18. Jahrhundert ein grundlegender Wandel vollzog, der mit der innerstädtischen Verfassungsentwicklung zusammenhing.

Anja Amend untersucht die Inanspruchnahme von Juristenfakultäten in der Frankfurter Rechtssprechung durch Aktenversendung und Einholen von Gutachten. Da Frankfurt in der Frühen Neuzeit noch nicht über eine eigene Universität verfügte, mussten rechtliche Gutachten in Frankfurter Prozessen von Universitäten anderer Reichsstände eingeholt werden. Die Rolle der kaiserlichen Residenten bei innerstädtischen Konflikten in den Reichsstädten der Frühen Neuzeit ist Thema des Aufsatzes von Thomas Lau. Er vergleicht hierbei das reichsnahe Frankfurt mit dem reichsfernen norddeutschen Raum. Michael Müller untersucht Frankfurts Funktion als Hauptstadt des Kur- und Oberrheinischen Kreises im 17. und 18. Jahrhundert. Frankfurt war nicht nur in diese "herrschaftsübergreifende Rechtsordnung" eingebunden, sondern seit dem 17. Jahrhundert auch Tagungsort und Sitz wichtiger Kreisinstitutionen.

In der zweiten Abteilung "Justiznutzung durch Einzelne oder Korporationen" befassen sich drei Beiträge mit kirchlichen bzw. religiösen Aspekten: Jörg Seiler stellt die Reichshofratsprozesse des Deutschen Ordens gegen Frankfurt vor. Die Frankfurter Deutschordenskommende war ebenso wie die Stifte und Klöster nicht der städtischen Gerichtsbarkeit unterworfen, was immer wieder zu Konflikten führte. Andreas Gotzmann liefert einen wichtigen Beitrag über jüdische Gerichtsbarkeit im frühneuzeitlichen Frankfurt im Spannungsfeld externer und internen Machtfaktoren. Erstmals werden hier "grundlegende Strukturen und Problematiken der jüdischen Rechtsautonomie dargestellt". Die Frankfurter Juden befanden sich in einem komplizierten Dreiecksverhältnis mit dem Kaiser als Schutzherrn und dem Frankfurter Rat als Obrigkeit ("doppeltes Untertanenverhältnis"). "Alltag und Grenzen reformierter Selbstverwaltung in Frankfurt um 1650" behandelt Gudrun Petasch.

Vier Aufsätze führen in den Bereich der Wirtschafts- und Sozialgeschichte: Gabriele Marcussen-Gwiazda beschreibt die Liquidation der Juwelenhandlung des Daniel de Briers als "Beitrag zu konsensualen Konfliktlösungsstrategien im nordwesteuropäischen Kontext". Robert Brandt liefert "Anmerkungen zur Rechtsgeschichte des Frankfurter 'Zunfthandwerks' während der Frühen Neuzeit". Dabei steht der vom 14. bis zum 19. Jahrhundert andauernde Konflikt zwischen den Handwerksmeistern und dem vom Patriziat dominierten Rat mit seinen "weit reichenden Konsequenzen für die Überlieferung des Handwerks" im Zentrum. Weiterhin untersucht Brandt die Quellen zum Frankfurter Handwerk, insbesondere die Verhörprotokolle, im Hinblick auf ihre Aussagekraft zur Lebenswelt der Handwerker. Robert Riemer vergleicht die Städte Frankfurt und Hamburg vor dem Reichskammergericht mit besonderer Berücksichtigung von Handels- und Handwerksprozessen; abschließend stellt Michael Rothmann die Frankfurter Messegerichtsbarkeit im Mittelalter und zu Beginn der Frühen Neuzeit vor.

Der vorliegende Band kann nicht alle Aspekte der Gerichtsbarkeit in der Reichsstadt Frankfurt behandeln. So ist die Frankfurter Zivilgerichtsbarkeit nur wenig vertreten, was jedoch daran liegt, dass zwei Referenten der Tagung ihre Manuskripte nicht zum Druck brachten. Dabei handelte es sich um einen Überblick über die Frankfurter Gerichtsinstitutionen und um einen Beitrag, der die Nutzung der Frankfurter Gerichte durch einen Patrizier zu Beginn des 16. Jahrhunderts schilderte. Die vom Frankfurter Rat ausgeübte Kriminalgerichtsbarkeit wurde auf der Tagung nicht behandelt, ist jedoch zumindest für das 18. Jahrhundert durch die Arbeiten von Joachim Eibach gut erforscht. Ebenso fehlt das Verhältnis Frankfurts zu den westfälischen Freigerichten (Feme). Die Untersuchung von Richard Gimbel reicht nur bis zum Jahr 1437, während eine Untersuchung für die folgende Zeit bisher nicht vorliegt. Nicht behandelt werden konnte auch der rechtliche Status der Frankfurter Landgemeinden, deren Einwohner nicht das Bürgerrecht besaßen, sondern leibeigene Untertanen waren. Für sie war in unterster Instanz das Ackergericht des Landamtes zuständig, dessen Akten jedoch 1944 verbrannt sind. Das Fehlen der genannten Aspekte soll jedoch nicht den Wert dieses Bandes schmälern, der die Vielgestaltigkeit und die Überschneidungen der verschiedenen Rechtsverhältnisse und Gerichtsinstitutionen aufzeigt und einen wichtigen Anstoß für die Forschung liefert, sich unter dem Aspekt der "Rechts- und Gerichtslandschaft" mit weiteren Reichsstädten zu befassen, um schließlich eine vergleichende Studie vorlegen zu können.

Rezension über:

Anja Amend / Anette Baumann / Stephan Wendehorst u.a. (Hgg.): Die Reichsstadt Frankfurt als Rechts- und Gerichtslandschaft im Römisch-Deutschen Reich (= bibliothek altes Reich (baR); Bd. 3), München: Oldenbourg 2008, 303 S., ISBN 978-3-486-57910-9, EUR 39,80

Rezension von:
Michael Matthäus
Institut für Stadtgeschichte, Frankfurt/M.
Empfohlene Zitierweise:
Michael Matthäus: Rezension von: Anja Amend / Anette Baumann / Stephan Wendehorst u.a. (Hgg.): Die Reichsstadt Frankfurt als Rechts- und Gerichtslandschaft im Römisch-Deutschen Reich, München: Oldenbourg 2008, in: sehepunkte 9 (2009), Nr. 4 [15.04.2009], URL: https://www.sehepunkte.de/2009/04/14088.html


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