sehepunkte 9 (2009), Nr. 10

Mark Greengrass: Governing Passions

Heinrich III. hatte in der Historiographie lange Zeit einen ausgesprochen schlechten Ruf. Zerrissen zwischen höfischer Pracht und ostentativ unterwürfiger Frömmigkeit, umgeben von zahllosen speichelleckerischen Höflingen, seinen mignons, politisch hilflos gegenüber der komplexen konfessionellen Lage im Königreich Frankreich und vor allem beratungsresistent, kurz: ein überforderter Monarch, während dessen Regierungszeit die französischen Religionskriege eskalierten und das Land im Chaos versank - so das Klischee, das seit Rankes Französischer Geschichte stets von neuem widerlegt werden will. An Rehabilitierungsversuchen mangelt es gleichwohl nicht: der "roi shakespearien" (Pierre Chevallier) erscheint in neueren Würdigungen als subtiler Mäzen, als Rechtskodifikator und mehr und mehr auch als politischer Reformer, der am Bohren der dicksten Bretter seiner Zeit tragisch scheiterte. Mark Greengrass' großartige Studie zu Heinrichs Friedens- und Reforminitiativen zwischen dem Edikt von Beaulieu (1576) und dem von Nemours (1585) stellt ein weiteres beeindruckendes Beispiel für solche Neubewertungen der Regierung Heinrichs III. dar.

Greengrass verfolgt dabei zwei Ziele. Zum einen schließt er eine bemerkenswerte Forschungslücke, wusste man doch über die Zeit zwischen dem Ende der "protestantischen" Phase der Religionskriege, abgeschlossen durch die erste Belagerung von La Rochelle 1574, und dem Beginn der "katholischen" Phase Mitte der 1580er Jahre vergleichsweise wenig. Vielfach erscheint diese Zeit als eine Art Inkubationszeit der Krise der Ligue, in welcher der notorisch protestantenfreundliche paix de Monsieur 1576 den Anlass für die Bildung einer radikal-katholischen Oppositionsbewegung bot. Greengrass diagnostiziert dagegen schon um die Mitte der 1570er Jahre einen umfassenden Reformstau in allen Bereichen von Politik, Gesellschaft und Verwaltung.

Ein Großteil seines Buches ist dem Versuch des Königs gewidmet, Auswege aus den politischen, konfessionellen und vor allem finanziellen Sackgassen zu finden, in welchen das Frankreich der Religionskriege steckte. Friedensstiftung und politische Strukturveränderungen - peace and reform - gingen bei seinen Initiativen stets Hand in Hand. Greengrass zeichnet minutiös die Chancen, Risiken und Hindernisse dieser königlichen Doppelstrategie zwischen den Generalständen von Blois 1576 und der Notabelnversammlung von 1583/84 nach. Augenfällig ist hierbei vor allem die Diskrepanz zwischen einem hochfahrenden, idealistischen und durchaus radikalen Reformanspruch an Haupt und Gliedern des Reiches und seiner Verwässerung und Verhinderung in der höchst kleinteiligen Umsetzungspraxis in den Provinzen. Zu groß waren die notwendigen Rücksichten auf lokale Befindlichkeiten, zu abhängig war die königliche Macht vom Wohlwollen und der Kooperation mit den Eliten vor Ort, zu verschieden die individuellen Interessen, die koordiniert, ausgeglichen und berücksichtigt werden mussten. Greengrass erzählt von der frustrierenden Praxis zentralistischer Reformpolitik und ihrem Scheitern. Radikale Bewegungen wie die Ligues versprachen dagegen endgültige Lösungen für die Probleme der Religionskriege. Die Kultur des ewigen Gesprächs und der politischen Umsicht erwies sich als zusehends dysfunktional.

Dass sich der König aber der Mühe unterzog, ein Jahrzehnt lang seinen Reformplan zäh und unermüdlich zu verfolgen, wirft ein Licht auf die spezifische politische Kultur, die seinen Bemühungen zugrunde lag. Hier liegt denn auch der zweite, entscheidende Akzent des Buches. Greengrass identifiziert eine "culture of persuasion" (368), gegründet einerseits auf dem politischen Ideal einer konsultativen Monarchie, welche die beratenden Stimmen der maßgeblichen Stände des Reiches berücksichtigt, andererseits auf der enormen Wertschätzung politischer Rhetorik im Prozess der Entscheidungsfindung. Die Generalstände von Blois werden von Greengrass folglich als ein Ereignis analysiert, in welchem symbolische und politisch-pragmatische Kommunikation untrennbar verknüpft waren. Strategisches Regierungshandeln und Reformpolitik waren im Rahmen der konsultativen Monarchie nur durch mühselige Überzeugungsarbeit und zugleich durch die Performanz königlicher grandeur denkbar.

Politik erscheint zugleich als ideengeleitet, als "branch of a moral philosophy" (1), in welcher der Bändigung persönlicher wie politischer Leidenschaften durch rhetorische Kontrolle höchste Priorität zugemessen wurde. Gerade in dieser Hinsicht war Heinrich III. alles andere als beratungsresistent. Greengrass rekonstruiert die Aktivitäten der académie du palais, eines neostoisch inspirierten Thinktanks, bestehend aus den führenden Vertretern der aktuellen Moralphilosophie und Poetik wie Claude Doron, Guy du Faur de Pibrac und sogar Pierre Ronsard. Von Januar 1576 an ließ sich der König im Privatissimum über philosophische Maximen und historische Exempla unterrichten und gewann eine intellektuelle Legitimation seiner auf Überzeugungsarbeit ausgerichteten Reformpolitik. Durch die Verzahnung der nur oberflächlich konventionellen Darstellung der gescheiterten Reform mit dieser geistes- und rhetorikgeschichtlichen Ebene ergeben sich faszinierende Einblicke in den historisch spezifischen Zusammenhang zwischen politischen Ideen und politischer Praxis. Besonders plastisch wird dies am Beispiel der Friedensmission der Königinmutter Katharina de Medici und der Schwester des Königs Marguerite de Valois nach Nérac zum widerspenstigen Heinrich von Navarra im Jahre 1579. Hier wird die politische Macht und das strategische Potential der Überzeugungsrhetorik besonders sinnfällig: Verhandlungen fanden in Gärten statt, der weibliche Hofstaat umgarnte die anwesenden Adligen, neoplatonische Philosophie der Liebe und des Friedens begründete eine erotisch aufgeheizte, "sexed up" (203) Atmosphäre des Friedens und der Harmonie.

Mark Greengrass' "Governing Passions" ist ein Meilenstein in der Geschichte der französischen Religionskriege. Es rekonstruiert nicht nur die politische Geschichte eines vernachlässigten Jahrzehnts, sondern erzählt vom konzeptionellen Scheitern einer ganzen politischen Kultur. Die konsultative, persuasive und rhetorische Strategie Heinrichs III. war im Verlauf der 1580er Jahre immer weniger in der Lage, die konfessionellen und politischen Spannungen und Leidenschaften im Königreich zu beherrschen. Mit der Krise der Ligue, den Königsmorden an Heinrich III. und seinem Nachfolger und der konfessionellen Homogenisierung des Landes in den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts weicht die "culture of persuasion" in der politischen Kultur Frankreichs der Idee der Absoluten Monarchie.

Ein letzter Punkt sei angefügt: Mark Greengrass ist einer der besten Kenner und etabliertesten Forscher zur französischen Geschichte der frühen Neuzeit, Autor nicht nur zahlloser Artikel zu Spezialfragen der Religionskriegsforschung, sondern auch einschlägiger Überblicksdarstellungen. "Governing Passions" ist hingegen vollständig aus den archivalischen Quellen gearbeitet und erschließt historiographisches Neuland. Eine solche Grundlagenforschung wäre in ihrer Faktur im deutschsprachigen Wissenschaftsraum jenseits von Dissertation und Habilitation leider wohl unmöglich. Es scheint daher auch einer spezifisch angelsächsischen Wissenschaftskultur geschuldet zu sein, dass Mark Greengrass Zeit, Muße und Begeisterung fand, dieses wichtige Buch zu schreiben.

Rezension über:

Mark Greengrass: Governing Passions. Peace and Reform in the French Kingdom, 1576-1585, Oxford: Oxford University Press 2007, XV + 423 S., ISBN 978-0-19-921490-7, GBP 65,00

Rezension von:
Jan-Friedrich Missfelder
Historisches Seminar, Universität Zürich
Empfohlene Zitierweise:
Jan-Friedrich Missfelder: Rezension von: Mark Greengrass: Governing Passions. Peace and Reform in the French Kingdom, 1576-1585, Oxford: Oxford University Press 2007, in: sehepunkte 9 (2009), Nr. 10 [15.10.2009], URL: https://www.sehepunkte.de/2009/10/14738.html


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