sehepunkte 10 (2010), Nr. 3

Susan Shifrin (ed.): Re-framing Representations of Women

"La femme n'existe pas" hatte Jacques Lacan 1970 in seinem Seminar XVIII ausgerufen und damit bekanntlich viele vor den Kopf gestoßen. Dabei könnte man sein Diktum durchaus auch in der Linie des feministischen Denkens verstehen. So hatte schon Simone de Beauvoir festgestellt, dass man nicht als Frau geboren, sondern erst dazu gemacht wird: "On ne naît pas femme, on le devient", schrieb sie 1949 in "Das andere Geschlecht". Das Konstrukt "Frau" werde erst in Abhängigkeit zum Mann definiert, so Beauvoir. Demgegenüber ist Lacans Ansatz dem weiblichen Geschlecht fast schon freundlich gesonnen, wenn er nicht mehr den Mann, sondern das gesamte Ensemble der kulturellen Bilder und Phantasmen als ein Imaginäres definiert, aus dem die Frau ihre eigentlich unmögliche Identität zu definieren sucht.

Auch heutige Forschungsansätze berufen sich noch auf seine Argumentation: Eine Frau muss sich immer wieder spiegeln, darstellen und abbilden. Nur im Gegenüber des Bildes erfährt sie sich, und ob sie sich findet, bleibt fraglich. Gefangen in der Tautologie des Narziss - das heißt selbstverliebt, aber ohne Selbsterkenntnis - muss sie diesen Mangel immer wieder beheben, durch möglichst viel Inszenierung an Körper, Haar und Kleid.

Simone de Beauvoir hätte natürlich entgegengehalten, dass es sehr wohl möglich ist, sich über eine feministische Praxis bzw. durch ein bewusst gelebtes Leben aus diesen Zwängen und Vorgaben zu befreien. Nur bleibt die Frage, ob sie selbst dies nicht auch mit Hilfe eines inszenierten Körpers tun musste? Denn sie war stets modisch gekleidet, trug Schmuck, gestaltete eigenwillige Kopfbedeckungen und Frisuren. Auch sie prägte einen Look, schuf ein Bild von sich und wurde zum Bild. Daher ist es heute umso notwendiger, die Bildtheorie in die Forschung zur Geschlechterreflexion mit einzubeziehen. Und dies stellt wiederum neue Fragen an die kunstwissenschaftlichen Disziplinen: Wie werden Geschlechter durch Bilder konstruiert? Welchen Beitrag leisten sie zur Möglichkeit bzw. Unmöglichkeit von Identität? Welche "anderen" Praktiken im Umgang mit Bildern sind denkbar?

"Re-framing Representations of Women" verspricht hier Antworten. Der Untertitel "Figuring, Fashioning, Portraiting and Telling in the 'Picturing' Women Project" deutet an, dass die Bildprozesse in einem intermedialen Kontext betrachtet werden sollen. Über die Disziplinen- und Epochengrenzen hinweg will das Buch Geschlechter-Repräsentationen untersuchen, ohne die althergebrachten Kategorien der klassischen Kunstgeschichtsschreibung zu bemühen; Kunst- und Alltagsproduktion werden bewusst gemischt. Als Zielgruppe des Buchs werden laut Vorwort Wissenschaftler und Schüler, Künstler und Erzähler, Feministinnen und Modeliebhaber und alle dazwischen anvisiert. Ein höchst sympathisches Vorhaben, nur lässt sich solch ein Versprechen auch einlösen?

Das "Picturing Women"-Projekt geht zurück auf eine Ausstellung, die 2004 in Philadelphia aus der Zusammenarbeit mehrerer Institutionen hervorgegangen war. Das Buch ist jedoch mehr als der Katalog dazu. Es versammelt acht weiterführende Aufsätze und eine CD-Rom, die den pädagogischen Ansatz im Umgang mit den Exponaten dokumentieren soll. Das Konzept kommt also mit hohem Anspruch daher, es will wissenschaftlicher Text, Dokumentation der Exponate und Museumspädagogik in einem sein. Jedes Element für sich mag dabei durchaus Qualität haben, ein tatsächlicher Zusammenhalt ergibt sich bei der Lektüre jedoch nicht.

Die wissenschaftlichen Aufsätze, so interessant sie sind, verweisen auf historische oder heutige Einzelphänomene, die mit dem Rest der Exponate keinen Bezug aufnehmen. Sie wären in einem separaten Sammelband wohl besser aufgehoben. Der Katalog-Teil zur Ausstellung wird den Ansprüchen der historischen Dokumentation nur teilweise gerecht, da man zu den Exponaten viel zu wenig erfährt. Die Präsentation von zeitgenössischer Kunst sprengt den Kontext schließlich, da ihr noch weniger Aufmerksamkeit bzw. Erklärung gewidmet wird als dem Rest. Recht verloren kommen die Arbeiten daher, die aber immerhin passend zum Thema kuratiert wurden.

Insgesamt ergibt sich eine Art "Wunderkammer-Effekt". Die gezeigten Bilder und Artefakte sind so heterogen in ihrer Auswahl, dass kein roter Faden durchschimmern kann: Neben Allegorien und Porträts aus völlig verschiedenen Kontexten findet man anatomische Modelle des weiblichen Körpers, ein Erziehungsbuch für damenhaftes Verhalten, zahlreiche Karikaturen, ein Poesiealbum mit einer Haarsammlung, ein Möbelstück, illustrierte Frontispize und vieles mehr.

Die Kapitel-Titel "Picturing, Figuring, Fashioning, Portraiting, Telling" versuchen zwar eine Sortierung, die jedoch echte Trennschärfe nicht zu beabsichtigen scheint. Ein derart anspruchsvolles Konzept könnte nur durch eine starke These im Bereich der Theorie zusammengehalten werden, eine solche sucht man aber vergebens. Der Eindruck, dass hier mit mehr Schein als Sein gearbeitet wird, verstärkt sich, wenn man das Buch zum Beispiel an seinem Anspruch misst, auch die Mode in die Frage des inszenierten Geschlechts mit einzubeziehen. Zwar sind allerorts auf den Abbildungen bekleidete Frauen zu sehen, aber auch im Kapitel "Fashioning" erfährt man darüber nichts Eigentliches. Gezeigt werden wieder einmal das Korsett, die Hose für die Frau und das Reformkleid nebst einer Vielzahl an Karikaturen von immer demselben Zeichner - als ob sich mit dieser Episode aus der Modegeschichte die Frage nach Kleid und Körperinszenierung beantworten ließe.

Dennoch haben auch solche Wunderkammern ihren Reiz. In diesem Fall stechen vor allem die Beispiele aus der amerikanischen Kunst und Populärkultur hervor, die auch für den hiesigen Leser von Interesse sein können. Zudem findet man in den lose eingestreuten wissenschaftlichen Artikeln lesenswerte Themen angesprochen: So schreibt Carla Williams über das afro-amerikanische Künstlermodell Maudelle Bass, die für Maler und Fotografen von Diego Rivera bis Edward Weston im Rahmen der new negro art einen neuen Frauentypus darstellte. Marianne Hansen schildert die prunkvollen Paraden für das Frauenwahlrecht, auf denen die US-Bürgerrechtlerinnen im besten Sonntagskleid mit breitkrempigem Hut voller Tüll und Früchten auftraten. Susan Sidlauskas beschäftigt sich mit dem Abbilden von "nicht-schönen" Frauen, z.B. Ingres' Porträt der Comtesse de Tournon oder Cézannes Gemälden von seiner Frau, um zu zeigen, wie ein Porträt auch ohne Idealisierung auskommen kann. Weitere Texte beschreiben andere unmögliche Musen, also Frauen, die zu Bildern werden, auf denen doch wieder alles zerbricht, was als Identität, Schönheitskanon, Allegorie angelegt war. Man kann weder der Person noch der Bilder habhaft werden, entweder sie scheitert an der Macht der Bilder oder die Bilder an ihr.

Rezension über:

Susan Shifrin (ed.): Re-framing Representations of Women. Figuring, Fashioning, Portraiting and Telling the "Picturing" Women Project, Aldershot: Ashgate 2008, xii + 324 S., 1 CD-ROM, ISBN 978-0-7546-6077-4, GBP 85,00

Rezension von:
Annette Geiger
Theorie und Geschichte der Gestaltung, Hochschule für Künste, Bremen
Empfohlene Zitierweise:
Annette Geiger: Rezension von: Susan Shifrin (ed.): Re-framing Representations of Women. Figuring, Fashioning, Portraiting and Telling the "Picturing" Women Project, Aldershot: Ashgate 2008, in: sehepunkte 10 (2010), Nr. 3 [15.03.2010], URL: https://www.sehepunkte.de/2010/03/14219.html


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