KOMMENTAR ZU

Alheydis Plassmann: Rezension von: Kordula Wolf: Troja - Metamorphosen eines Mythos. Französische, englische und italienische Überlieferungen des 12. Jahrhunderts im Vergleich, Berlin: Akademie Verlag 2009, in: sehepunkte 10 (2010), Nr. 3 [15.03.2010], URL: http://www.sehepunkte.de/2010/03/16055.html


Von Kordula Wolf

Wissenschaftliche Rezensionen haben u.a. die Aufgabe, Forschungsergebnisse eines neu erschienenen Buches bekannt zu machen und auf ihre argumentative Stringenz hin kritisch in den Blick zu nehmen. Neben Richtigstellungen oder weiterführenden Ergänzungen und Anregungen ist vor allem die Diskussion über den Ertrag eines Buches bereichernd, und zwar besonders dann, wenn diese von unterschiedlichen Standpunkten aus geführt wird. Bisweilen kann durch verknappte Darstellungen oder bestimmte Formulierungen beim Leser aber auch ein verzerrtes Bild entstehen. Letzteres hat mich veranlasst, hier auf drei Punkte in der Besprechung meines Buches durch Alheydis Plassmann noch einmal näher einzugehen.

1) Wenn die Rezensentin schreibt, dass ich meinen Mythos-Begriff nicht als Göttererzählung, sondern "als Teil des kulturellen Gedächtnisses nach Jan Assmann (56ff.) verstanden haben möchte", so erweckt dies den Eindruck, ich würde meiner Arbeit Assmanns Mythenauffassung zu Grunde legen. Wer allerdings Seite 56 aufschlägt, wird dort am Ende eines "Mythos und kulturelles Gedächtnis" betitelten Unterkapitels ein etwas anderes Fazit lesen: "Ohne diese und andere erinnerungstheoretische Ansätze im Folgenden zu applizieren, lohnte es, sich in einem anderen Rahmen mit dem Verhältnis von Mythos und Gedächtnis intensiver auseinanderzusetzen. Denn mit Assmann, Fried und anderen Theoretikern des kollektiven Gedächtnisses ließen sich Mythen sowohl im engeren Sinne als Herkunfts- und Gründungserzählungen als auch in einem erweiterten Verständnis, wie es dieser Studie zu Grunde gelegt wird, als eine Form kultureller Erinnerung auffassen." (im Übrigen findet sich dann auf den Seiten 56f. ein Unterkapitel zum Vergleich als Methode, und ab Seite 58 beginnt ein neues Kapitel, das nichts mehr mit Mythostheorie zu tun hat). Werden also an der zitierten Stelle Anschlussmöglichkeiten meines Ansatzes an Gedächtnistheorien aufgezeigt, so hätte doch zumindest in einem Nebensatz angedeutet werden können, auf welchem Mythenverständnis meine Analyse denn nun eigentlich basiert, nämlich dass ich die in der Geschichtswissenschaft gängige Gleichsetzung von Mythen mit Herkunfts- und Gründungsnarrationen nicht vornehme, sondern stattdessen den Troja-Mythos auf der Grundlage eines "offenen", "aspektiven" Zugangs untersuche, wodurch fundierende Erzählungen als ein "Mythem" unter vielen anderen aufgefasst werden können.

2) Als roter Faden zieht sich durch die Rezension der Vorwurf, es fehle meinerseits eine Auseinandersetzung mit der Frage nach der causa scribendi. Das legt den Schluss nahe, ich hätte mich nicht mit dem wichtigen Aspekt auseinander gesetzt, was einen Autor zu einer bestimmten Zeit an einem konkreten Ort dazu veranlasste, ein Werk bzw. eine Erzählung genau so und nicht anders durch Selektion vorhandener und Ergänzung zusätzlicher Informationen in einer jeweils speziellen Art und Weise aufzuschreiben. Für die drei von mir exemplarisch untersuchten Autoren habe ich versucht, mich einer Antwort auf diese Frage aus verschiedenen Richtungen in allen drei Hauptabschnitten anzunähern. Dass ich dies nicht auch für weitere (oder gar alle von mir erwähnten?) Quellen getan habe, mag man mir gern vorwerfen, sollte dann aber vielleicht deutlicher machen, welcher Erkenntnisgewinn mit Blick auf das Gesamtkonzept und/oder im Einzelfall zu erwarten gewesen wäre.

3) Desweiteren wird mir ein "methodischer Fehler" angelastet, weil ich "von der Relevanz und Wirkung der Autoren auf die Funktion des Textes" schlösse und durch meine Infragestellung der [über die Texte hinausgehenden, K.W.] identitätsstiftenden und herrschaftslegitimierenden Funktion von Herkunftserzählungen "den Verfassern die Intention zur Legitimierung und Identitätsstiftung aufgrund mangelnder sichtbarer Instrumentalisierung des Trojamythos durch die Zeitgenossen (abspreche)". Hier muss offenbar ein Missverständnis vorliegen, das ich mir nur durch eine divergierende Auffassung des Begriffs "Funktion" erklären kann. Angesichts meines Anliegens, zwischen textimmanenten Funktionen, Intentionen des Autors sowie der Rezeption und Wirkung der Erzählung bzw. des gesamten Werks (bes. mit Blick auf das Selbstverständnis der darin angesprochenen Gruppen) zu differenzieren, sei dieses Missverständnis prägnant und ohne ins Detail zu gehen mit einem Satz ausgeräumt, der das große Kapitel "Relevanz" abschließt: "Ohne der mittelalterlichen Dichtung und Geschichtsschreibung ihren in vielen Fällen legitimatorischen Charakter absprechen zu wollen, sind doch politische Implikationen weder eins zu eins vom Gesamtwerk auf die in ihm enthaltenen Troja-Erzählungen übertragbar, noch können diese von den Texten ohne Weiteres in die Wirklichkeit projiziert werden." (284)

Anmerkung der Redaktion: Alheydis Plassmann hat auf eine Replik verzichtet.