KOMMENTAR ZU

Christine Beese: Rezension von: Jörg Niemer: Vom Domplatz zum Schloss. Die Baugeschichte der Universität Münster von der Gründung bis zum Abschluss des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg, Münster: Aschendorff 2010, in: sehepunkte 11 (2011), Nr. 5 [15.05.2011], URL: http://www.sehepunkte.de /2011/05/19914.html


Von Jörg Niemer

Die im Mai 2011 veröffentlichte Rezension von Christine Beese betrifft die von mir 2007/08 verfasste Arbeit über die Baugeschichte der Universität Münster, die 2010 in der Reihe "Veröffentlichungen des Universitätsarchivs Münster" als Band 3 erschien. Die Studie verfolgte das Ziel einer Aufarbeitung des umfangreichen Archivmaterials sowie eine daraus resultierende baugeschichtlich-kunsthistorische Würdigung der Gebäude der Kernuniversität. Selbstverständlich ist ein ausführliches Begutachtungsverfahren seitens der Universität dem Druck des von mir verfassten Manuskripts vorausgegangen. In mehreren Abschnitten der Rezension von Frau Beese werden unrichtige Wiedergaben, unbelegte Behauptungen und demzufolge falsche Schlussfolgerungen über das Werk abgegeben. Die Kernpunkte der Kritik von Frau Beese unterstellen eine für den Leser nicht nachvollziehbare Kapitelunterteilung des Buches, seine mangelnde Stringenz, eine zu oberflächliche Quellenauswertung sowie eine fehlende Einordnung in den architekturgeschichtlichen Kontext.

Die "Baugeschichte der Universität..." suggeriere nach Meinung der Rezensentin, dass es sich "um ein einziges Gebäude und ein einziges Baukonzept" handele. Kein vernünftiger Mensch wird dieses unterstellen wollen; ein Blick in das Inhaltsverzeichnis auf S. 5/6 gibt unmittelbar Aufschluss über den Inhalt. Selbst bei einem in Folie eingeschweißten Exemplar reicht ein Blick auf die Rückseite. Bereits im dritten Satz ist dort die Rede von "Universitätsquartier". Dass als Gründungsdatum der Universität das Jahr 1780 anzusetzen ist, ist nie in Zweifel gestellt worden (vgl. Festschrift von 1980). Bereits in der Einleitung (S. 9) wird auf dieses Kerndatum verwiesen. Dass die Erbauung der wichtigsten späteren Universitätsgebäude (Schul- und Kolleggebäude) vor Universitätsgründung geschah und auf S. 17ff. bzw. S. 33ff. abgehandelt wird, dürfte legitim sein. Dass der Beginn universitärer Planungen vor 1900 liegt, mithin das Buch nicht erst 1900 ansetzt, wird durch die Kapitelüberschriften I und II klar hervorgehoben. Man muss von dem Leser derartiger Schriften immer auch die Bereitschaft zum Textverständnis, zumal der durch Kapitelüberschriften erfolgten Grobrasterung, erwarten dürfen.

Die Rezension enthält verschiedene sachliche Fehler, etwa den Begriff der "Wiedererrichtung" der Neuen Akademie; tatsächlich handelt es sich um einen Neubau. Frau Beese gibt ebenso falsche Baudaten an. Gerade Kap. I.8. (S. 43ff.) ist jedoch ein Schlüsselkapitel, beschreibt es doch die Baugeschichte des langjährigen Universitätshauptgebäudes, dessen Entwurfsplan zudem den Buchdeckel ziert. Es wird Kritik an der Kapitelunterteilung geübt, u.a. sei die Phase zwischen der Neukonstituierung der Volluniversität (1902) und 1918 "relativ kurz". Wer sich mit deutscher Architektur des 19. und 20. Jhs. auskennt, müsste wissen, dass gerade diese Zeitspanne die produktivste und von stilistischen Umbrüchen wie nie zuvor gekennzeichnete Phase ist. Eine Epochengrenze "1918" entspricht doch ebenso einer allgemein in den Geschichtswissenschaften anerkannten gesellschaftlichen wie kunst- und architekturgeschichtlichen Wendemarke.

Natürlich kann man engstirnig den Bau des Physikalischen Instituts noch in die Phase vor Erhebung zur Volluniversität einordnen, man lese hierzu S. 65ff. Tatsächlich war es ein sich über Jahre hinziehender Prozess, ein wenige Jahre zuvor errichteter Institutsneubau wirkte hierbei förderlich. Dieser steht somit in unmittelbarem Zusammenhang mit der Aufwertung. Eine erste Ausdehnung nach Westen geschah, entgegen der Angabe der Rezensentin, nicht durch Ausbau des ehem. Gardehotels (ab 1904), sondern bereits mit Errichtung des Chemischen Instituts 1880 (vgl. S. 10).

Die von Beese vorgeschlagene (Um-)benennung von Kapiteln - da sich die vorliegende auf "divergierenden Ebenen" bewege - käme einer Umetikettierung bei ansonsten gleichen Inhalten nahe. Das erste Kapitel bezieht sich mitnichten auf ein "wahlloses Datum" sondern um die bauliche Entwicklung seit Universitätsgründung 1780, der baulich die Errichtung von Jesuitenkolleg, Kirche und Schulgebäude seit 1590 vorangegangen war. Auch zielt das vierte Kapitel nicht auf "lokale universitäre Bedürfnisse" ab, was durchaus legitim bei diesem Werk über die Universität Münster wäre, sondern darüber hinaus handelt es sich doch wohl überall in kriegszerstörten deutschen Städten um die Phase des Wiederaufbaues. Einen sachlichen Mangel in der Wahl der Kapitelüberschriften kann ich als Autor, auch mit einem Zeitabstand von vier Jahren zur Manuskripterstellung, nicht erkennen. Dieser ist auch von keinem weiteren Begutachter und/oder Rezensenten festgestellt worden, es seien genannt: Sabine Happ, Jörg Martin Merz, Alwin Hanschmidt, Peter Worm u.a. Frau Beese vertritt somit eine völlig isolierte Einzelmeinung.

Als absonderliches und in keiner Weise nachvollziehbares Fehlurteil kann ich die Meinung der Frau Beese nur werten, "insgesamt fehle es der Untersuchung jedoch an einer stringenten Gliederung sowie einer analytischen Aufbereitung des umfangreichen Materials". Die Arbeit basiert auf weitestgehender Auswertung des vorhandenen Quellenmaterials aus Beständen des Landesarchivs NRW und des münsterschen Universitätsarchivs (vgl. Quellennachweis, S. 258ff.). Die knapp 500 Fußnoten, die oftmals in Zitatform bauaktliche Passagen wiedergeben, sprechen eine deutliche Sprache. Es kommt nicht von ungefähr, dass das Werk gerade in Kreisen von Archivaren höchste Anerkennung gefunden hat.

Entgegen der von Frau Christine Beese vertretenen Ansicht besitzt das Buch als baugeschichtliche Gesamtdarstellung keine "zentrale These". Hier wird willkürlich ein Satz aus der bewusst pointiert zugespitzten Zusammenfassung herausgepickt und als Leitfaden für das Verständnis des Gesamtwerkes vorgeschlagen. Auch dieses Vorgehen ist für mich ohne Beispiel.

Ein weiterer, mehrfach von Beese geäußerter Kritikpunkt ist die mangelnde "...Einbettung der verschiedenen baupolitischen Phasen in einen internationalen Kontext..." Bei der Arbeit handelt es sich um eine Auftragsarbeit und keine Dissertation mit freier Seitenwahl. Eine Arbeit "Die Universität Münster im Spiegel zeitgenössischen Universitätsbaues" ist nie intendiert worden und hätte wohl auch jeglichen vertretbaren Rahmen gesprengt. Es handelt sich stattdessen um eine Veröffentlichung des Universitätsarchivs Münster, womit bereits der kunsthistorisch-stilvergleichende Anteil einer verständlichen Limitierung unterworfen ist.

Nichtsdestoweniger werden an verschiedenen Stellen wiederholt kunstgeschichtliche Wertungen, Stilvergleiche und zeitgeschichtliche Bezüge eingebracht. Insbesondere in dem Unterkapitel zur Neuen Akademie (S. 43ff.), Universitätsbibliothek (S. 90ff.), Neubau der Universitätskliniken (S. 119ff.) werden architekturgeschichtlich-stilvergleichende Passagen eingeflochten. Zum besseren Textverständnis werden zudem neben Einleitung und Zusammenfassung, wobei die Zusammenfassung eine fast ausschließlich kunstgeschichtliche Wertung vornimmt, einleitende Passagen an Kapitelanfänge oder in Form von Unterkapiteln gesetzt, z.B. "Universitätsbau in Theorie und Praxis" (Kap. I), "Geschichtliche Entwicklung" (Kap. II) "Der Umbau des Schulgebäudes zum Staatswissenschaftlichen Institut" (Kap. III) usw. Das heißt, neben der eigentlichen Einleitung wird jedes der vier Kapitel noch einmal separat eingeleitet; zum Klinikbau wird noch ein Passus zur Entwicklung dieser Bauaufgabe vorangestellt (S. 119f.), ebenso dem Unterkapitel III.4. "Bauliche Einrichtungen für den Universitätssport" (S. 144f.). Die Institutionsgeschichte der Münsterschen Universitätsbibliothek wird auf S. 90ff. ausführlich dargestellt; nicht wenige hätten es vermutlich mit einer Fußnote bewenden lassen. Ein Mehr an Zusatzinformation zum allgemeinen Textverständnis kann man unter den gegebenen Umständen einer limitierten Seitenzahl kaum anbieten.

Die vorliegende Rezension von Christine Beese stellt keine hilfreiche Beschäftigung mit der Materie dar. Die von der Rezensentin ausgemachten Elementarfehler der fehlenden Stringenz, mangelnden Recherche der Quellen sowie deren Analyse wären wohl kaum bei einer offiziellen Universitätsschrift unbemerkt geblieben. Frau Beese kritisiert, wo kaum Verbesserungen zu erzielen wären, also im Bereich der Gliederung und Auswertung von Quellenmaterial, inhaltliche Ergänzungen respektive ein Literaturhinweis sind stattdessen nur an zwei Stellen erkennbar. Das Buch "Vom Domplatz zum Schloss" ist zweifellos mehr als ein "Einstieg" in die umfangreiche Quellenlage. Man kann nicht beliebig mit Worten des Missfallens um des Rezensieren willens um sich werfen, wenn diesen Bewertungen die Nachweiskraft fehlt.

Anmerkung der Redaktion: Christine Beese hat auf eine Replik verzichtet.