KOMMENTAR ZU

Erwin Pokorny: Rezension von: Stefan Fischer: Hieronymus Bosch. Malerei als Vision, Lehrbild und Kunstwerk, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2009, in: sehepunkte 11 (2011), Nr. 10 [15.10.2011], URL: http://www.sehepunkte.de/2011/10/17556.html


Von Peter Dinzelbacher

Obwohl ich Pokornys grundsätzlich positiver Einschätzung dieser Dissertation durchaus zustimme, wäre es doch wünschenswert, dass eine Reihe von Kritikpunkten nicht völlig übergangen wird: Leider zeigt auch Fischer öfters die für Mittelalter-Kunsthistoriker offensichtlich obligatorische Schlampigkeit beim Übersetzen der altsprachlichen Quellen. Ein lateinischer Satz (S. 156), der mit "Utinam" beginnt, kann kein Konditionalsatz sein, es handelt sich um einen irrealen Wunsch ("wenn doch...")! Der mittelniederländische Satz S. 251 ist falsch übersetzt, da "ghelijc" nicht "sogleich" heißt, sondern "ebenso wie"; mnld. "quam" ist Imperfekt, nicht Präsens (270); S. 317 ist ein Teil des Zitates nicht übertragen usf. Angenommen, das Wort auf dem Buch des Dämons im Antonius-Triptichon bedeute wirklich "protestatio" (311) - was mir paläographisch nicht so sicher erscheint - dann ist dies jedenfalls kein Verb und kann weder grammatikalisch noch semantisch "ich klage an" heißen.

Einige Informationen sind einfach falsch, so die dass der "Dialogus" des Caesarius von Heisterbach etwas wie eine Naturenzyklopädie sei (148) oder Bernhard von Clairvaux Visionen als "Autorität tragende Mittel" betrachtet hätte (285) " gerade seine Einstellung war solchen Phänomenen gegenüber recht skeptisch! Viele der Detail-Interpretationen wird man mit Zustimmung lesen, manche allerdings erscheinen überzogen, so die "Themen und Elemente der Mystik", die selbst "in kleineren Werken ausgeprägt" seien (48), denn mit Motiven der theoretischen Mystik à la Ruusbroec hat Bosch überhaupt nichts im Sinn, und mit denen der praktischen à la Hadewijch schon gar nicht. Kaum ein Betrachter wird "die Forderung nach der Keuschheit" erkennen, die Boschs Bilder " auch im Garten der Lüste " erfüllt haben sollen (133), welcher eine "moraltheologisch ausgerichtete Ehelehre" zum Vorwurf hätte (269). Schon gar nicht sind Boschs Teufelsmischwesen "grundsätzlich als lesbar" konzipiert (235).

Die Literaturliste ist reichhaltig, aber dass die 2006 zugleich auf Amerikanisch, Französisch und Deutsch publizierte große Monographie von Larry Silver in einem drei Jahre später gedruckten Buch überhaupt nicht berücksichtigt wurde, lässt sich kaum verteidigen, und gar nicht das Fehlen des gründlich gearbeiteten Werkverzeichnisses von Buzzati/Contini (Milano 1966). Da Fischer immer wieder auf die allgemeinen Zeitumstände und v.a. die Religiosität des 15. Jahrhunderts rekurriert, irritiert die Unkenntnis von grundlegenden Werken, nicht nur der "Herfstij" Huizinga's, sondern auch des "Dictionnaire de spiritualité" und des "Handbuchs der Religionsgeschichte im deutschsprachigen Raum: Hoch- und Spätmittelalter" (wo ja die Niederlande mit berücksichtigt sind).

Doch nochmals, den von Pokorny vermerkten positiven Aspekten ist zuzustimmen, besonders dann, wenn man den Mut respektiert, dass ein derartig überforschter Maler zum Thema einer Doktorarbeit gewählt wurde.

Anmerkung der Redaktion: Erwin Pokorny hat auf eine Replik verzichtet.