KOMMENTAR ZU

Wolfgang Gruber: Rezension von: Walter Demel / Hans-Ulrich Thamer (Hgg.): WBG Weltgeschichte. Band V: Entstehung der Moderne. 1700 bis 1914, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2010, in: sehepunkte 11 (2011), Nr. 4 [15.04.2011], URL: http://www.sehepunkte.de/2011/04/17399.html


Von Walter Demel

Wolfgang Gruber M.A., Lektor am Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Wien hat eine geradezu vernichtende Kritik zu dem von mir mitherausgegebenen Werk geschrieben. Das nötigt mich zu einem Kommentar.

Auch ich sehe durchaus Schwächen bzw. Defizite in unserem Werk. Dass etwa der Gender-Aspekt zu kurz gekommen ist, würde ich einräumen. Ob das damit zu tun hat, dass "unter 11 Autorinnen und Autoren lediglich eine Frau zu Worte kommt", soll dahingestellt bleiben - eine frauenfeindliche Absicht der zugegebenermaßen durchweg männlichen Herausgeber lag diesem geringen Anteil jedenfalls nicht zugrunde (etwa in Bd. III haben fünf Autorinnen Beiträge geliefert). Aber die Hauptkritikpunkte des Rezensenten kann ich jedenfalls nicht teilen. Dieser schreibt: "Die Fokussierung auf den Kontinent Europa und die darin stattfindenden Entwicklungen ziehen [sic !] sich durch das gesamte Buch und lassen sich einer klassischen Weltgeschichtsschreibung zuordnen. Die LeserInnen werden zum einen mit einer Fülle an Faktenwissen konfrontiert (welches in vielen Fällen nicht den derzeitigen wissenschaftlichen Forschungsstand abbildet) und zum anderen haben sie kaum Möglichkeiten, sich direkt weiterführend zu informieren."

Zunächst zur "Fokussierung auf Europa", deren von mir in der Einleitung zu Bd. 5 gegebene Begründung nach Meinung des Rezensenten "die LeserInnen mit einem unbefriedigten Gefühl zurücklässt". Warum sollte das der Fall sein? Entweder wird die Rolle Europas im langen 19. Jahrhundert überbewertet, dann müsste konkret gesagt werden, welche Gegebenheiten der außereuropäischen Geschichte zu kurz gekommen oder völlig vernachlässigt worden sind. Oder aber, die Fokussierung auf Europa ist in diesem Band berechtigt (Ich selbst habe in meinen Beiträgen zu Band IV Europa einen viel geringeren Platz eingeräumt als in meinem Beitrag zu Bd. V). Dazu nur ein Zitat aus dem vom Rezensenten hochgelobten Werk Jürgen Osterhammels: Er sagt, es wäre "Ausdruck kapriziöser Willkür, eine Geschichte ausgerechnet des 19. Jahrhunderts zu entwerfen, die von der Zentralität Europas absähe. Kein anderes Jahrhundert war in einem auch nur annähernden Maße eine Epoche Europas" (ders., Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts, 2.Aufl., München 2009, 20).

Zur angeblichen Ferne vom aktuellen Forschungsstand. Der Rezensent zitiert, übrigens mit falscher Seitenangabe, meine Aussage, dass die Überseekompanien, "zuletzt 1858 die EIC", aufgelöst und ihre kolonialen Herrschaftsräume verstaatlicht wurden, mit der Bemerkung, es reiche wohl, "auf die Hudson Bay Company zu verweisen, welche erst 1869 große Teile ihres Gebietes an Kanada abtrat ... Die Aussage von Demel greift also viel zu kurz." Schön, das "zuletzt" war (m)ein Fehler, aber dass die Hudson Bay Company noch ein paar Jahre länger Rupertsland besaß, wird auf Seite 331 erwähnt. Der Vorwurf, ich hätte in Bezug auf "Ayutthaya/Siam/Thailand ... den derzeitigen aktuellen Forschungsdiskurs, wie dieser beispielsweise von Sven Trakulhun gut beschrieben wird, in Bezug auf den tatsächlichen Einfluss der 'Europäer'" nicht einbezogen, verwundert mich in doppelter Hinsicht. Zum einen behandelt das zweifellos verdienstvolle Buch von Trakulhun, wie es im Untertitel heißt, "das Königreich Ayutthaya in westlichen Berichten 1500-1670", keineswegs aber das 19. Jahrhundert - im Gegensatz etwa zu Andreas Stoffers' Dissertation "Im Lande des weißen Elefanten" (1995), bei der ich Zweitgutachter war. Zum anderen werden die europäischen Einflüsse von mir in Bd. IV (157f.) und Bd. V (315) angesprochen - nur sollte man für das 19. Jahrhundert nur von Siam, dagegen weder von "Ayutthaya" sprechen, nachdem die Stadt 1767 von den Burmesen fast vollständig zerstört und eine neue Hauptstadt Bangkok gegründet worden war, noch von "Thailand", denn diese Staatsbezeichnung existiert erst seit den 1930er Jahren.

"Es werden Stereotype, wie etwa der Niedergang und die 'Krise der islamischen Welt' (Demel, 306) oder der asiatischen Reiche wiedergegeben, die in der Forschung schon längst zu Recht relativiert wurden", schreibt Gruber. Er übersieht dabei, dass mein Beitrag, in Fortsetzung meines - in Anführungsstrichen - "Weltpolitik" betitelten Artikels in Bd. IV ausschließlich von Außen- bzw. Machtpolitik, und zwar insbesondere der Großreiche, handelt (vgl. ebd., 110). Von einem kulturellen, wirtschaftlichen oder religiösen Niedergang ist bei mir nirgends die Rede. Aber wer wollte leugnen, dass zwischen 1700 und 1914 das Osmanische Reich riesige Gebiete einbüßte, dass es ebenso wie Persien in finanzielle Abhängigkeit von europäischen Staaten geriet, und dass das Mogulreich sich, wie ich Michael Mann zitierte, "vom zentralen Reichsverband zum dezentralen Staatenbund" (Bd. V, 313) wandelte und schließlich die protestantische englische Königin Victoria formal die Nachfolge des muslimischen Mogulkaisers antrat? Dabei hatte ich gerade Indien im Auge, als ich in Bd. IV schrieb: "Manches, was aus einem bestimmten Gesichtspunkt als 'Niedergang' erscheint, stellt sich aus einem anderen als bloßer Strukturwandel dar, etwa als vielleicht sogar unumgängliche Dezentralisation von Macht" (Bd. IV, 111).

Überhaupt hätte die Lektüre von Bd. IV den Rezensenten vielleicht daran gehindert, dem Autor einen "unsensible[n] Umgang mit schwierigen Begriffen" wie der "Bezeichnung 'Indianer' ... anstatt beispielsweise ... Native Americans" vorzuwerfen. Im Vorgängerband habe ich selbst nämlich das Wort "Indianer" eine "unsinnige Bezeichnung" genannt, "die bekanntlich auf Kolumbus' Glauben, in 'Indien' gelandet zu sein, zurückgeht" (Bd. IV, 136). Aber "Native Americans" erscheint mir keineswegs sinnvoller - jedenfalls nicht für den "breiten allgemein-geschichtlichen LeserInnenkreis", den der Rezensent zu Recht als die Zielgruppe des Gesamtwerks identifiziert. Gerade dadurch, dass diese LeserInnen gezwungen sind - was eine Vorgabe des Verlags war und ist, über die auch nicht alle Herausgeber glücklich waren -, "das Gesamtkonvolut der sechs Bände zu erstehen", darf man darauf hoffen, dass sie einen solchen Begriff weniger anstößig finden als der Rezensent, der offenbar nur Bd. V gelesen hat. Damit hat der Käufer aber auch die vollständige Bibliographie in der Hand, die dann doch für einen gebildeten Laien nicht gar so dürftig erscheint, wie Wolfgang Gruber behauptet.

Kurzum: Auch nach der Lektüre der Rezension meine ich nicht, dass das Werk "für eine weitere kritische und wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Thema der Globalgeschichte wenig geeignet" sei. Andere Rezensenten, wie Peter Blickle in der HZ 292 (2011) oder Hartmut Leppin in der Theologischen Literaturzeitung 136 (2011) sehen das offenbar ähnlich.



REPLIK

Von Wolfgang Gruber

Diese Replik zum Kommentar von Walter Demel sieht sich ergänzend zu dem bereits in der Rezension Besprochenen. Um den LeserInnen ein differenziertes Bild der Thematiken vermitteln zu können, wird auf die einzelnen Einwände des Kommentars im folgenden Text konkret Bezug genommen.

Ein erster zu behandelnder Punkt ist dabei die angesprochene Fokussierung auf Europa. Diese wird von Demel mit zwei einzig möglichen Begründungen zur Diskussion gestellt: zum Einen die Überbewertung Europas mit der logischen Unterbewertung anderer Regionen und zum Anderen die einer rechtmäßigen Fokussierung auf Europa. Der Rezensent bietet nachfolgend eine zusätzliche Erklärung für eine Miteinbeziehung anderer Weltregionen an, die er näher erläutert.

"Weltgeschichte will "Eurozentrismus" ebenso wie jede andere Art von naiver kultureller Selbstbezogenheit überwinden. Dies geschieht nicht durch die illusionäre "Neutralität" eines allwissenden Erzählers oder die Einnahme einer vermeintlich "globalen" Beobachterposition, sondern durch ein bewusstes Spiel mit der Relativität von Sichtweisen." (Osterhammel, 19) Osterhammel vertritt dabei einen jüngeren Ansatz an Weltgeschichtsschreibung und nicht den klassischen Ansatz, wie dieser unter anderem durch Sieder und Langthaler beschrieben wurde und zutreffender für die Einordnung der WBG Weltgeschichte Band V erscheint: "Weltgeschichte vergleicht also sozial-kulturelles Leben über Jahrhunderte und zwischen Weltregionen, ist an großen Einheiten wie Zivilisationen, Reichen und Nationalstaaten interessiert und fragt, welche Entwicklungspfade diese ökologisch und ökonomisch jeweils eingeschlagen haben." (Sieder, Langthaler, 9) Ergänzend dazu ist nach Kimmerle festzustellen: "Der Kernbegriff dieser Konzeption der Weltgeschichte war der Begriff des Fortschritts." (Kimmerle, 90)" Im Gegensatz sollen GlobalhistorikerInnen nach folgender Maxime vorgehen: "Globalhistoriker bemühen sich, regional bedingte Weltsichten in ihrem jeweiligen Kontext zu verstehen." (Komlosy, 14)

Dem durch Demel angeführten Zitat von Osterhammel bezüglich der Bedeutung Europas kann inhaltlich gänzlich zugestimmt werden, denn die Relevanz Europas für die Geschichte im 19. Jahrhundert kann zweifelsohne nicht in Frage gestellt werden. Es lässt sich jedoch im vorliegenden Rezensionswerk keineswegs ein Wechsel in der Perspektive oder der Sichtweise der BuchautorInnen erkennen, wie dies durch GlobalhistorikerInnen mehrheitlich gefordert und praktiziert wird. Ein in dieser Hinsicht wissenschaftlich reflektiertes Werk stammt von Reinhard Wendt, der es in der Einführung durchaus selbstkritisch so beschreibt: "Dies ist ein eurozentrisches Buch. Sein Thema sind Interaktionen zwischen Europa und der außereuropäischen Welt. Dabei geht es jedoch nicht um Vorgänge, sondern vielmehr um Rückkoppelungen und Wechselwirkungen. Europa wird ebenso sehr als Initiator wie als Empfänger von Kontakten und Kommunikationsprozessen betrachtet. [...] Insgesamt kann der Blickwinkel dieser Darstellung als positiver Eurozentrismus klassifiziert werden. Europa stellt darin nicht mehr, aber auch nicht weniger als einen sachlichen Untersuchungsgegenstand dar." (Wendt, 11). Die von Wendt angesprochenen Wechselwirkungen sind jedoch nicht alleinig entscheidend in dieser Diskussion. Es geht auch um "eine Dekonstruktion jenes eurozentrischen Universalismus, der europäische Geschichtsverläufe als Weltgeschichte deklariert" (Komlosy, 38) und vor allem um eine Neubewertung von Zeitperiodisierungen, die Komlosy zu Recht fordert: "Eine wesentliche Voraussetzung, den eurozentrischen Universalismus zu überwinden, ist das Wahr- und Ernstnehmen der Abläufe, Rhythmen und Gliederungen der Geschichte, wie sie in anderen Weltregionen bzw. Weltkulturen stattgefunden haben. Jeder Raum hat seine Momente, Zäsuren, seine Perioden und Geschwindigkeiten." (Komlosy, 57)

Walter Demel scheint weiters eine Richtigstellung bezüglich der Aktualität des Forschungsstandes wichtig zu sein. Der in der Rezension zu Demels Werk vertretene Standpunkt soll daher durch folgende Ausführungen weiter verdeutlicht werden.

In herkömmlichen Bahnen gedacht präsentiert sich der Hinweis auf die starke staatsbildende Kraft der Dschihad-Bewegungen im Subsaharabereich nach 1800. (Demel, 318) Eine genauere Analyse betont aber unter anderem auch den bedeutenden Einfluss von Händlergemeinschaften nicht nur im Subsaharabereich, wobei keineswegs die wichtige Wechselwirkung von Religion und Handel minimiert werden soll. (Curtin, 49) Curtin schreibt dazu: "After about 1850 and especially after the 1870s, African traders began to turn themselves into rulers, even as the European traders had done in parts of Asia almost a century earlier." (Curtin, 234) Derselbe Autor beschäftigt sich auch mit einem von Demels angeführten Beispielen (Rabih Fadlallah) und verleiht der beinahe monokausalen Religionsbegründung von Seiten Demels neue Tiefe. (Curtin, 235f.)

Eine zweite Anmerkung betrifft die beiden Behauptungen, dass die Idee des Nationalstaates neu war und aus Europa gekommen sei sowie dass der moderne Staat eine europäische Erfindung gewesen sei (Demel, 285). Obwohl Demel vor allem zweiteres tendenziell abschwächt und auch anderen Regionen eine gewisse Staatlichkeit, bezüglich der "von einer Zentrale ausgehenden bürokratischen Durchdringung, fiskalischen Erfassung und polizeilich-militärischen Kontrolle" (Demel, 285) zuspricht, muss beiden Bemerkungen entschieden widersprochen werden, da diese die eurozentrische entwicklungstheoretische Seite der europäischen Expansion weiter befördern würden. Sowohl Rothermund als auch Mann sind sich bei der Beurteilung, dass Europa nicht der alleinige Ausgangspunkt des Nationalismus bzw. der modernen Staatsbildung war, einig: "Der Nationalismus ist ein universales Phänomen, das sich aber der Natur der Sache stets auf partikulare Nationen bezieht." (Rothermund, 171) Weiters dazu Mann: "Unübersehbar ist, dass der Nationalstaat im 19. Jahrhundert langsam zum weltweiten Organisationsmuster von Staaten und Reichen avancierte. Allerdings trat er nicht allein von Europa aus seinen dann globalen Siegeszug an, vielmehr sind Formen von Patriotismus und Protonationalismus bis hin zu Nationalismus auch in anderen Regionen der Welt zu finden." (Mann, 20)

Von Demel wird den LeserInnen, Bezug nehmend auf die Handelskompanien, der Eindruck vermittelt, dass diese um die Mitte des 19. Jahrhunderts ihre Bedeutung verlieren (Demel, 290). Dem kann jedoch eindeutig nicht zugestimmt werden, da gerade in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine neue Welle der Gründung von privilegierten Kompanien (South Manchuria Railway Company 1906, British South Africa Company 1889, usw.) erkennbar ist und der Einflussnahme dieser Gesellschaften auf die internationale Politik und Wirtschaft hohe Bedeutung zukommt. Die Konzerne des 19. Jahrhunderts sind als Nachfolger der frühen Handelskompanien und als Vorläufer der heutigen multinationalen Konzerne zu betrachten, und daher ist auch eine direkte Kontinuität eindeutig erkennbar. Siehe dazu Carlos und Nicholas: "[...]the early trading companies shared important characteristics with today's modern multinationals. Although at first glance the nineteenth-century multinational looks much more like its late-twentieth-century counterpart than do the charter companies, appearances are misleading. The three business structures all developed in the same way. Nineteenth-century international firms began as trading multinationals when they replaced merchant houses and agents with sales branches abroad. The charter companies also began as trading companies with sales branches, but many established production plants abroad early in their existence." (Carlos, Nicholas, 399)

Die bereits in der Rezension angemerkte Stereotypisierung der islamischen Welt kann durch mehrere Verweise auf Stellen im Text Demels belegt werden und es muss betont werden, dass Demel, trotz eigenen Dafürhaltens im Kommentar zur Rezension, sich keineswegs nur auf politische Ereignisbeschreibungen bezüglich des Niedergangs bezieht: "Wirtschaftlich schwach entwickelt, von einer anfangs ineffizienten Bürokratie regiert, litt das Reich darunter, dass die Entscheidungen stark von der Person des Sultans abhingen." (Demel, 307). Im selben Kontext sind auch folgende Textpassagen Demels zu verstehen, welche die althergebrachten "klassischen" Eigenschaften eines orientalischen Despoten beschreiben: "Mit brutaler Härte modernisierte der selbsternannte Khedive [...] unter hinterhältiger Massakrierung der Mamlukenführer." (Demel, 308) Der Rezensent teilt dabei die Ansicht von Fleming, der diese Generalisierung von osmanischen Machthabern (im von Fleming beschrieben Fall von Ali Pasha von Ioannina) ebenso verurteilt: "In accounts of Ali and other Ottoman rulers, this depiction of the Oriental as genetically depraved, treacherous, and cruel corroborates Western assumptions of the essentially different, inferior Oriental vis-à-vis his European counterpart." (Fleming, 131) Mann konstatiert dazu Folgendes: "Neuerdings wird argumentiert, dass der wissenschaftlich-technologische Vorsprung Europas keinesfalls eine seit der Renaissance [...] einzigartige Entwicklung dieses Erdteils ist, sondern dass verschiedene Weltregionen bis zum Ende des 18. Jahrhunderts eine durchaus vergleichbare und gleichwertige Entwicklung erfahren haben [...] Sie geht, und das ist entscheidend, von einer polyzentrischen Welt aus. Erst zur Mitte des 19. Jahrhunderts, so die momentane Erkenntnis, wurden die Weichen für die großen Divergenzen gestellt, auf denen die ubiquitären Stereotypen vom "dynamischen Westen" und "stagnierenden Osten" beruhen." (Mann, 26) Die islamische Welt und auch die asiatische Welt sind zumindest bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts nicht der politische und wirtschaftliche Spielball europäischer Mächte, wie dies bisher vereinfachend gerne festgestellt worden ist.

Ein zweites, allgemeineres Problem stellt folgende auch von Demel thematisierte Tatsache dar. Demel entscheidet dabei in Eigenregie für den breiten allgemein-geschichtlich interessierten LeserInnenkreis, dass ein sensiblerer Umgang mit gewissen Begrifflichkeiten keinesfalls sinnvoller sei. Dem muss widersprochen werden. Die fehlerhafte Einschätzung von Kolumbus (und die daraus abgeleitete Bezeichnung Indianer) ist dabei keineswegs das Thema, sondern es geht um das Recht der im konkreten Fall angesprochenen Gruppe auf Eigenbezeichnungen (zusätzlich zu einer unangebrachten Homogenisierung von nicht zusammengehörigen indigenen Gruppen) und nicht auf die fortlaufende Tradierung althergebrachter kolonialer Fremdbezeichnungen. Worte und Bezeichnungen haben große Macht und es geht hierbei auch um Respekt gegenüber angesprochenen Gemeinschaften. Gerade auch ein breiter, historisch interessierter LeserInnenkreis sollte für diese Thematik sensibilisiert sein. WissenschaftlerInnen sollten ihre Verantwortung gegenüber ihren RezipientInnen dahingehend sehr ernst nehmen.

Da Herr Demel des öfteren auf das Gesamtkonvolut der Reihe verweist und diesbezüglich auch Defizite des Rezensionswerkes Band V mit anderen Bänden der Reihe erklären will, sei hier nur kurz angemerkt. Die LeserInnen sind, wie Demel in seinem Kommentar behauptet, keineswegs gezwungen die gesamte Bandreihe zu erstehen (es ist auch möglich, im Handel einzelne Bände zu kaufen). Unbestritten bleibt, dass dadurch die Rechte an einer besseren Bibliographie erworben werden. Es bleibt jedoch weiterhin ein Faktum, dass die mangelhafte Nachvollziehbarkeit und Belegung von Argumenten der AutorInnen mittels Zitaten nicht für wissenschaftliche Qualität stehen kann, sondern dass diese Publikation ausschließlich für eine populärwissenschaftliche Beschäftigung gedacht ist. Die von Demel in seinem Kommentar als positiv angeführte Rezension von Peter Blickle in der HZ 292 (2011) bezieht sich auf Band IV und kann daher keine Geltung für Band V besitzen. Die zweite angeführte Rezension von Hartmut Leppin in der Theologischen Literaturzeitung 136 (2011) beschäftigt sich mit der gesamten Reihe und hat daher auch einen viel besseren Überblick, doch auch er ortet verschiedene Kritikpunkte: "Der Leser gewinnt durch diese Bücher kein umfassendes Nachschlagewerk zur Weltgeschichte, er gewinnt auch keine grundlegende nach konsistenten Gesichtspunkten erarbeitete Neudeutung." (Leppin)

Der Rezensent kommt nach wie vor zu dem Schluss, dass sich Band V der WBG Weltgeschichte aufgrund der oben angeführten Kritikpunkte als Nachschlagewerk für eine reflektierte globalgeschichtliche Beschäftigung im wissenschaftlichen Kontext wenig eignet.

Zitierte Literatur:
[1] Osterhammel Jürgen: Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts. München 2009.
[2] Sieder, Reinhard, Langthaler, Ernst (Hg.): Globalgeschichte 1800-2010. Wien 2010.
[3] Kimmerle, Heinz: Die interkulturelle Dimension im Dialog zwischen afrikanischen und westlichen Philosophien. Seite 90-110. in: Brocker, Manfred, Nau, Heino Heinrich (Hg.): Ethnozentrismus. Möglichkeiten und Grenzen des interkulturellen Dialogs. Darmstadt 1997.
[4] Komlosy, Andrea: Globalgeschichte. Methoden und Theorien. Wien 2011. [5] Wendt Reinhard: Vom Kolonialismus zur Globalisierung. Europa und die Welt seit 1500. Paderborn 2007.
[6] Curtin, Philip D.: Cross Cultural Trade in World History. Cambridge 1984.
[7] Rothermund Dietmar: Konstruktionen nationaler Solidarität in Asien. Universalismus und Traditionalismus. Seite 170-190. in: Brocker, Manfred, Nau, Heino Heinrich (Hg.): Ethnozentrismus. Möglichkeiten und Grenzen des interkulturellen Dialogs. Darmstadt 1997.
[8] Mann, Michael (Hg.): Einleitende Bemerkungen. Die Welt im 19. Jahrhundert. (Globalgeschichte. Die Welt 1000-2000; Band 6), Wien 2009.
[9] Carlos, Ann M., Nicholas, Stephen: Giants of an Earlier Capitalism: The chartered Trading Companies as Modern Multinationals. Seite 398-419. in: The Business History Review. Vol 62, No 3. (Autumn 1988).
[10] Fleming, K.E.: The Muslim Bonaparte. Diplomacy and Orientalism in Ali Pasha´s Greece. Princeton 1999.