Geschenktipps zu Weihnachten

Achim Landwehr, Düsseldorf


Die weihnachtliche 'Zeit der Besinnung' kann ja durchaus unterschiedlich verstanden werden. Ohne die religiöse Komponente gänzlich außen vor zu lassen, bringen es einerseits gewisse berufliche Deformationen, andererseits der spezifische Publikationsort der folgenden Hinweise mit sich, 'Besinnung' hier mit Blick auf die Profession der/des Historiker/in zu verstehen. Wenn man also während der winterlichen Feiertage ein wenig Zeit erübrigen kann, um sich über das eigene Tun und Lassen Gedanken zu machen, mit welchen - auch als Geschenken tauglichen - Mitteln ließe sich das bewerkstelligen?

1. Alexander Kraus/Birte Kohtz (Hgg.): Geschichte als Passion. Über das Entdecken und Erzählen der Vergangenheit. Zehn Gespräche, Frankfurt a.M./New York 2011.

Vorbildliche geschichtswissenschaftliche Untersuchungen kämen für eine solche Form der Besinnung natürlich in Frage, sind aber als Weihnachtsgeschenke eher spröde und zuweilen auch weniger unterhaltsam. Als Ausweg bietet sich der flüssig zu lesende und einen interessanten Ansatz verfolgende Band über "Geschichte als Passion" an. Allein der Titel verspricht schon ausreichend jahresendzeitliche Selbstreflexion, die der Inhalt auch einhält. Man darf bei zehn Historikerinnen und Historikern gewissermaßen durchs Schlüsselloch schauen - um ihnen beim Arbeiten zuzusehen. Das Buch zeigt, wie es denn die anderen so machen, und man wird unweigerlich angeregt, über sein eigenes Arbeiten nachzudenken. Schreibtischfotos inklusive!

2. Claude Simon: Georgica, Reinbek bei Hamburg 1992 / W.G. Sebald: Die Ringe des Saturn. Eine englische Wallfahrt, Frankfurt a.M. 1997.

Umwege erweitern die Ortskenntnis, wie schon Tucholsky wusste. Für mich stellt es sich immer als hilfreich heraus, über die Ränder auf das eigene Tun zuzugehen. Belletristische Annäherungen sind dabei nicht nur hilfreich, sie können einem zuweilen auch vor Augen führen, wie gute Geschichtsschreibung aussehen könnte. Dies ist nicht nur in einem darstellerischen, sondern auch in einem geschichtstheoretischen Sinn gemeint. Zwei Beispiele aus vielen möglichen sind Claude Simons "Georgica" und W.G. Sebalds "Die Ringe des Saturn". Moderne Klassiker in beiden Fällen, die aber all denjenigen, die diese Bücher noch nicht gelesen haben sollten, Möglichkeiten und Probleme des Herstellens von Geschichte vor Augen führen, indem sie beispielsweise kunstvoll auf unterschiedlichen Zeitebenen operieren, wie Simon, und damit unsere gewohnten chronologischen Reihungen in Frage stellen, oder indem sie, wie Sebald, die am Wegesrand vorfindlichen Fundstücke zum Anlass detaillierter Miniaturen nehmen, um die Verbindungen zu beleuchten, die eine Gegenwart mit 'ihrer' Vergangenheit herstellt.

3. Fred McDowell: The Alan Lomax Recordings, Mississippi/Global Jukebox 2011.

Noch ein Umweg, diesmal über die Ohren: Die jüngst erfolgte Veröffentlichung der Aufnahmen des Bluesmusikers Fred McDowell, die Alan Lomax 1959 gemacht hat, laden dazu ein, über das Zustandekommen historischer Überlieferung zu sinnieren. Denn Alan Lomax hat sich, wie bereits sein Vater John A. Lomax, mit einem Tonbandgerät ausgestattet der Lebensaufgabe verschrieben, weltweit die unterschiedlichen Formen traditioneller Musik aufzunehmen und zu bewahren. Angewachsen ist dabei ein schier unerschöpfliches Archiv von Tonbandaufzeichnungen - mit all seinen Vor- und Nachteilen. Vater und Sohn Lomax haben ohne Zweifel festgehalten, was ohne ihr Bemühen wohl unwiederbringlich verloren gegangen wäre, sie haben aber zugleich, wie jedes Archiv, eine Kanonisierung etabliert, die Erkenntnismöglichkeiten nicht nur ermöglicht, sondern zugleich einschränkt. Und nicht zuletzt wussten die Musiker selbst die Situation für sich zu nutzen. Fred McDowell war ein 55-jähriger Baumwollfarmer als er hörte, dass Alan Lomax sich bei einem Nachbarn eingerichtet hatte, um Musikaufnahmen zu machen. Er schulterte seine Gitarre und wanderte zur Nachbarfarm, um Teil dieser Überlieferung zu werden. Mit Erfolg, denn in den 1960er Jahren startete der Spätberufene dank der Hilfe von Lomax eine beachtliche Musikerkarriere. Nicht zu vergessen: Auch ohne metahistorische Reflexionen handelt es sich um eine CD mit sehr gutem Delta-Blues!

4. Alex Ross: The Rest is Noise. Das 20. Jahrhundert hören, München 2009.

Bleiben wir bei der Musik, allerdings der lesbaren. Ich habe das Buch erst vor wenigen Wochen für mich entdeckt und kann die Begeisterung vieler anderer teilen. Es handelt sich nicht nur um einen kenntnisreichen Gang durch die Musikgeschichte (vor allem klassischer Provenienz) des vergangenen Jahrhunderts, und damit um einen guten Zugang zur "Neuen Musik" für all diejenigen, die mit diesen Stilrichtungen ansonsten eher wenig anfangen können; es handelt sich auch um eine Geschichte des 20. Jahrhunderts, geschrieben anhand seiner Komponisten, Opern, Symphonien und anderen musikalischen Werke. Die Kriege, die Katastrophen, die Ideologien, die Revolutionen, die Hoffnungen sowie die ergriffenen und verpassten Möglichkeiten dieses Säkulums werden auf gekonnte und überzeugende Weise mit der Musik verknüpft. Zahlreiche Hörbeispiele finden sich im Netz (www.therestisnoise.com).