KOMMENTAR ZU

Erwin Pokorny: Rezension von: Stefan Fischer: Hieronymus Bosch. Malerei als Vision, Lehrbild und Kunstwerk, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2009, in: sehepunkte 11 (2011), Nr. 10 [15.10.2011], URL: http://www.sehepunkte.de/2011/10/17556.html

Von Stefan Fischer

Sehr geehrte Herr Pokorny,

ich möchte auf einige Punkte eingehen, da ich mich in meinem Vorgehen und meiner Intention falsch verstanden fühle:

- "Fischers Konzept entspricht der Auffassung von Kunstgeschichte als Geistesgeschichte." Und "seiner mehr am Geist als an sichtbaren Formen interessierten Methode": Geistesgeschichtlich, nicht vom Objekt her? Ich habe 120 Seiten zum ersten Aspekt, und rund 200 Seiten intensive Bildanalyse und Interpretation mit Schwerpunkt auf einigen Werken gelegt, aber fast alle angesprochen. Das "vom Objekt her" verstehen ich eben nicht nur vom materiellen Schaffensprozess, sondern auch vom geistigen Schaffensprozess, in der Verbindung von Form und Inhalt.

- Das Jüngste Gericht Wien: beachten Sie auch die Heiligen auf den Außentafeln! Offenbar müssen nicht immer alle Angehörigen dargestellt sein, auch wenn es üblich ist: siehe Rolin-Madonna oder die Retabelflügel/das Triptychon in Brüssel von 1505/06 (Philipp und Johanna ohne die vier Kinder)!

- "Bosch hätte eine Tonsur getragen (allerdings korreliert dies nicht mit dem einzigen, nur in Kopien Überlieferten Porträt, das den in die Jahre gekommenen Maler mit langem Haar zeigt)." Tonsur-Träger sind auch die Stifter van Os und van Langel, beides Geistliche niederen Ranges (weshalb sie verheiratet sein durften) mit langem Haar! Offenbar wurde die einfache/reduzierte Tonsur niederer Weihegrade nicht erneuert (siehe Archivbefunde in der Publ. von Bichelaer!).

- "Dass Bosch das Prinzip der Drolerie aus der Buchmalerei in die Tafelmalerei Übertrug, ist schon lange bekannt." Das Prinzip des allegorischen Mischwesens ist soweit ich weiß, von keinem so konkret aufgezeigt worden, wie von mir. Damit habe ich auch das ikonographische Detail-für-Detail-Vorgehen von Bax und de Bruyn gleichsam theoretisch "unterfüttert".

- Stilistisch kann ich ihre Einschätzung des Garten der Lüste und des das Jüngste Gericht Wien nicht teilen. Wieso soll der Garten der Lüste geistesgeschichtlich noch mittelalterlich sein bzw. im Wandel zur Neuzeit stehen und muss deshalb noch von vor 1500 stammen? ("In diese Zeit fügt sich auch der Gesamtcharakter des Triptychons, dessen ungewöhnliches Konzept dem geistesgeschichtlichen Wandel vom mittelalterlichen zum neuzeitlichen Denken entspricht." Pokorny 2010)

REPLIK

Von Erwin Pokorny

Es ist sehr leicht möglich, dass ich Ihre Intention falsch verstanden habe. Ich habe nur meine Eindrücke formuliert und die mir wichtigsten Punkte angesprochen. Für mehr hätte der Platz nicht gereicht. Dem kritischen Kommentar von Peter Dinzelbacher [http://www.sehepunkte.de/2011/11/kommentar/peter-dinzelbacher-ueber-rezension-von-hieronymus-bosch-69/] ist zu entnehmen, dass ich Ihre Dissertation eher zu positiv als zu negativ bewertete. Auf die Kritik der Übersetzungen habe ich übrigens absichtlich verzichtet, nachdem ich über Ihre Guevara-Übersetzung auf Seite 11 gestolpert bin und mich wunderte, warum Sie nicht einfach die viel verständlichere Übersetzung bei Marijnissen (Köln 1999, S. 23) übernahmen.

Zum Wiener "Weltgericht": Die Heiligen der Außenseite sagen nichts über den Stifter aus. Falls der Heilige mit dem Falken tatsächlich ein verkleidetes Porträt Philipps sein sollte, würde das lediglich bedeuten, dass der Auftraggeber seinem Herzog ein Denkmal setzen wollte.
Zum Problem der einsamen Stifterfigur: Van Eycks Darstellung des Kanzlers Rolin würde ich nicht mit einer marginalen Stifterfigur vergleichen. Und Ihr zweites Beispiel bestätigt, dass sich der verheiratete Philipp nicht allein darstellen ließ.

Bezüglich Boschs Tonsur habe ich Sie missverstanden. Dass er nur kurzzeitig eine Tonsur trug, hätte ich nicht in Frage gestellt.

Zur Drolerie: Dass Sie zum Verständnis von Boschs Anknüpfung an das Prinzip der Drolerie sehr wertvolle und konkrete Beiträge lieferten, wollte ich nicht in Abrede stellen.

Was meine Datierung des "Gartens der Lüste" betrifft, haben Sie mich missverstanden. Sie unterstellen mir, dass ich aus dem Gesamtcharakter auf eine Datierung vor 1500 geschlossen hätte. Ich stützte mich aber ausschließlich auf die anerkannte Frühdatierung der Madrider "Anbetung der Könige". Der "Garten der Lüste" kann aus stilistischen wie motivischen Gründen schwerlich danach entstanden sein.