Rezension über:

James T. Palmer: Anglo-Saxons in a Frankish World, 690-900 (= Studies in the Early Middle Ages; Vol. 19), Turnhout: Brepols 2009, XII + 324 S., 2 Kt., ISBN 978-2-503-51911-1, EUR 85,00
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Rezension von:
Sören Kaschke
King's College, London
Redaktionelle Betreuung:
Andreas Fischer
Empfohlene Zitierweise:
Sören Kaschke: Rezension von: James T. Palmer: Anglo-Saxons in a Frankish World, 690-900, Turnhout: Brepols 2009, in: sehepunkte 12 (2012), Nr. 9 [15.09.2012], URL: https://www.sehepunkte.de
/2012/09/21041.html


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James T. Palmer: Anglo-Saxons in a Frankish World, 690-900

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Im Zentrum dieser auf einer im Jahr 2004 bei Sarah Foot eingereichten Dissertation beruhenden Monographie steht vor allem die frühe Phase der Aktivität angelsächsischer Missionare im Frankenreich, oder genauer: in Friesland, Sachsen, Hessen und Bayern, sowie deren rückblickende Ver- und Überarbeitung in der Hagiographie des 8. und 9. Jahrhunderts. Zu Recht merkt Palmer dabei eingangs kritisch an, dass die bisherige Forschung in ihrer Behandlung der auf dem Festland tätigen angelsächsischen Missionare etwas widersprüchlich erscheinen kann. Einerseits werde deren Bedeutung für die Entwicklung der fränkischen Kirche, ja des christlichen Europas insgesamt, sehr hoch eingeschätzt, andererseits aber aus der Masse der Akteure oft nur Willibrord und Bonifatius, also praktisch die erste Generation der Angelsachsen, intensiver behandelt. Figuren wie Lul, Willibald, Wunibald und Walburga, Hugeburg, Willehad, Burchard oder Lioba dagegen fanden und finden vergleichsweise wenig Beachtung.

Diesem Missstand will die vorliegende Arbeit abhelfen. In 7 Kapiteln sowie der umfangreichen Einleitung (mit Forschungsüberblick) wird dem Wirken der Angelsachsen sowie dessen beständiger Interpretation und Reinterpretation nachgegangen. Palmer verfährt dabei nicht chronologisch erzählend, sondern nähert sich der selbstgestellten Aufgabe in thematischen Blöcken, die vorzugsweise bei den beliebten Stereotypen "des" angelsächsischen Missionars ansetzen.

Am Anfang steht so im 1. Kapitel die vermeintlich große Sorge der Angelsachsen um das Seelenheil ihrer festländischen "sächsischen Blutsverwandten". Überzeugend wird die Annahme eines pangermanischen Bewusstseins demontiert und die gentile Vielfalt der zu Bekehrenden betont. Vielleicht hätte hier jedoch auch die leicht irreführende Terminologie "der" Angelsachsen stärker in den Blick genommen werden sollen, die sich schließlich trotz Bedas "Englischer Kirchengeschichte" keineswegs ausschließlich als "Angli" verstanden, sondern noch bis ins 10. Jahrhundert auch Merzier, Westsachsen oder Nordhumbrier blieben. Die weitgehende Ausblendung der gleichzeitig tätigen iro-schottischen Missionare, arbeitstechnisch zweifellos sinnvoll, hätte vor diesem Hintergrund ebenfalls noch etwas eingehender behandelt werden können.

Weitere klassische Themen folgen, so die angelsächsische Kooperation mit den aufstrebenden Karolingern - aber eben auch mit anderen fränkischen Familiennetzwerken (Kapitel 2), der symbolträchtige Kampf gegen ein zum Teil mehr imaginiertes als reales Heidentum, versinnbildlicht in dem beliebten Topos des allerlei heilige Bäume und Idole zerlegenden todesmutigen Missionars (Kapitel 3), oder die entsagungsvolle Weltabgeschiedenheit in von christlicher Mission vermeintlich nie zuvor berührten Gebieten (Kapitel 4). Dabei arbeitet Palmer in umsichtiger Quellenkritik heraus, wie derartige Erzählungen etwa im letztgenannten Fall weniger als Tatsachenberichte denn vor dem Hintergrund einer Konkurrenz zu früheren Missionaren (Bayern, Friesland) bzw. der Verteidigung von nach 843 bedrohten Positionen (Sachsen und das Missionserzbistum Hamburg-Bremen) zu lesen sind.

Wie sich die Sichtweise auf die Angelsachsen im Laufe der Jahrzehnte änderte, demonstriert Palmer in Kapitel 5 am Beispiel von deren Klosterorganisation, insbesondere hinsichtlich der dort scheinbar vorbildlich umgesetzten Benediktsregel. Diese Vorbildfunktion wurde jedoch bereits während der mit Benedikt von Aniane einsetzenden Reformwelle keineswegs mehr als gegeben erachtet. Kapitel 6 nimmt sich des vielleicht bekanntesten Charakteristikums an: der besonderen angelsächsischen Papsttreue. Bei sorgfältiger Lektüre der Quellen ergeben sich hier ebenfalls klare Differenzierungen. Weder war das Frankenreich vor Ankunft der Angelsachsen so papstvergessen wie gelegentlich postuliert, noch zog allein die päpstliche Autorität die angelsächsischen Pilger nach Rom, vielmehr übten bereits die Apostel- und Märtyrergräber dort eine beträchtliche Anziehungskraft aus.

Etwas sperrig fügt sich schließlich das siebte und letzte Kapitel in die Thematik ein. Im Kern handelt es sich um eine Studie des in der Vita Willibaldi enthaltenen Berichts über dessen Pilgerfahrt nach Jersualem und Konstantinopel im Umfeld muslimischer Expansion und des neu aufflammenden Bilderstreits. Wenngleich die Rolle dieser und ähnlicher Texte (etwa Adomnáns De locis sanctis) für die Bibelexegese überzeugend herausgearbeitet wird, gilt dies nicht in gleichem Maße für die weitergehenden Thesen zur Bedeutung des Textes für Willibalds Gemeinde in Eichstätt.

Ein kombiniertes 6-seitiges Personen-, Orts- und Sachregister hilft bei der Erschließung des Bandes und erfasst dankenswerterweise auch die wesentlichen Quellen. Die Bibliographie bietet auf 28 Seiten eine beeindruckende Zusammenstellung der ausgewerteten Quellen sowie der wichtigeren bzw. mehrfach zitierten Titel. Einige Quellen werden jedoch in veralteten Editionen benutzt, so die Urkunden der Arnulfinger, die Translatio s. Alexandri und das Chronicon Laurissense breve (hier in der verfehlten, die Chronik zu einem Annalenwerk - "Annales Laurissenses minores" - ummodelnden Ausgabe in MGH SS 1).

Angesichts der im Text demonstrierten guten Vertrautheit des Verfassers gerade auch mit der deutschen Forschung überraschen einige Lücken in der Bibliographie. So findet sich etwa zu Sachsen, immerhin einem der wichtigsten Betätigungsfelder angelsächsischer Missionare (und deren späterer Verehrung), weder ein Titel von Matthias Becher noch von Matthias Springer.[1] Ein technischer Fehler scheint zudem dafür gesorgt zu haben, dass die Titel von Donald Bullough und Heinrich Büttner miteinander vermengt und ausschließlich letzterem zugeschrieben wurden. Schließlich finden sich regelmäßig kleinere Ungenauigkeiten wie etwa die anglisierende Vertauschung von "ie" mit "ei" (z.B. "Neiderrhein") in deutschsprachigen Titeln.

Dies kann den Gesamteindruck der Lektüre jedoch nicht trüben. Palmer hat eine auch für den methodischen Umgang mit frühmittelalterlicher Hagiographie wertvolle Arbeit vorgelegt. Unter souveräner Berücksichtigung der verschiedenen nationalen Forschungstraditionen differenziert er stets umsichtig zwischen der Doppelrolle angelsächsischer Missionare und Heiliger im Frankenreich: als historische Akteure im Bereich von Politik und Kirchenreform, aber eben auch als beliebte Leinwand für eine permanente "réécriture" im Dienste gewandelter Zeitumstände. Seine Darstellung wird mit Gewinn bei jeder künftigen Beschäftigung mit dem Themenkomplex heranzuziehen sein.


Anmerkung:

[1] Genannt seien hier nur exemplarisch die beiden Monographien von Matthias Becher: Rex, Dux und Gens. Untersuchungen zur Entstehung des sächsischen Herzogtums im 9. und 10. Jahrhundert, Husum 1996 und Matthias Springer: Die Sachsen, Stuttgart 2004 in denen zentrale Punkte der älteren Forschung zur Entwicklung einer sächsischen Identität einer kritischen Revision unterworfen werden. Für Bayern fehlen zudem die Arbeiten von Maximilian Diesenberger zur dortigen Hagiographie.

Sören Kaschke