Rezension über:

Christine Fischer / Ulrich Steltner (Hgg.): Polnische Dramen in Deutschland. Übersetzungen und Aufführungen als deutsch-deutsche Rezeptionsgeschichte 1945-1995 (= Bausteine zur Slavischen Philologie und Kulturgeschichte. Reihe A: Slavistische Forschungen. Neue Folge; 71), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2011, 297 S., ISBN 978-3-412-20669-7, EUR 39,90
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Rezension von:
Reinhard Ibler
Justus-Liebig-Universität, Gießen
Redaktionelle Betreuung:
Christoph Schutte
Empfohlene Zitierweise:
Reinhard Ibler: Rezension von: Christine Fischer / Ulrich Steltner (Hgg.): Polnische Dramen in Deutschland. Übersetzungen und Aufführungen als deutsch-deutsche Rezeptionsgeschichte 1945-1995, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2011, in: sehepunkte 13 (2013), Nr. 2 [15.02.2013], URL: https://www.sehepunkte.de
/2013/02/22980.html


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Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.

Christine Fischer / Ulrich Steltner (Hgg.): Polnische Dramen in Deutschland

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Mit ihrer bescheiden als "Beitrag zu einer literaturbezogenen Kulturgeschichte" (9) bezeichneten Monografie verfolgen die beiden Jenaer Slawisten Christine Fischer und Ulrich Steltner letztlich eine doppelte Zielrichtung. Einerseits geht es mit der zentralen Themenstellung, der Rezeption polnischer Dramatik in Deutschland seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs, um ein wichtiges Kapitel aus dem Bereich der deutsch-polnischen Kulturbeziehungen. Da andererseits aber die Rezeption dieser Werke in Ost- und Westdeutschland auf Grund der stark voneinander abweichenden gesellschaftlichen und kulturpolitischen Voraussetzungen zu einem beträchtlichen Teil unterschiedlich verlief, gelangt die Untersuchung, in der die Gegenüberstellung der Gemeinsamkeiten und Differenzen dieser Rezeptionsprozesse breiten Raum einnimmt, auch zu wertvollen Einsichten in die Funktionsweise der beiden deutschen Kultursysteme.

Mit ihrer akribischen, sehr differenzierten Herangehensweise können die Verfasser gleichwohl zeigen, dass nicht alle Unterschiede zwischen östlicher und westlicher Rezeption auf politische Gegensätze reduziert werden dürfen und dass es, im Gegenteil, immer wieder auch erstaunliche systemübergreifende Parallelen und Überschneidungen zu verzeichnen gibt. Das polnische Drama und Theater bietet sich insofern als interessanter Untersuchungs- und Bezugsgegenstand an, als es nicht nur auf den ostdeutschen Bühnen gut vertreten war, sondern auch im Westen einen vergleichsweise hohen Stellenwert innehatte. Die Autoren des Buches, das die Ergebnisse eines in den Jahren 1999 bis 2001 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekts präsentiert, können an eine Reihe bereits vorliegender Beiträge zur Problematik anknüpfen und sich somit auf bislang weniger beachtete Aspekte konzentrieren: "Neben der Inszenierung polnischer Dramen auf deutschen Bühnen geht es um den (vorzugsweise ost-westdeutschen) Übersetzungsvergleich jener knapp 40 Dramentexte, die in mehreren deutschen Fassungen vorliegen" (9).

Zu den Vorzügen der Arbeit gehört ihre konsequente methodisch-theoretische Positionierung, insbesondere in der phänomenologischen Konzeption Roman Ingardens. Das arbeitsteilige Vorgehen und die Aufgliederung des Vorhabens in mehrere weitgehend in sich abgeschlossene Teilstudien bringen es mit sich, dass mit Ausnahme der Einleitung und des in die Gesamtproblematik einführenden ersten Kapitels die weiteren Abschnitte von jeweils einem der beiden Verfasser geschrieben wurden. Kapitel 1 ("Rezeptionsverlauf") vermittelt allgemeine, statistisch untermauerte Informationen zum Vorliegen von Doppelübersetzungen polnischer Dramen, zu den in Deutschland bevorzugt aufgeführten Dramatikern und zur Rezeptionssituation in den verschiedenen Phasen des behandelten Zeitraums, der konsequenterweise auch die ersten Jahre nach der Wiedervereinigung (bis 1995) erfasst. Außerdem wird in diesem Zusammenhang auf die bemerkenswerte Rolle polnischer Regisseure hingewiesen, die an deutschen Theatern inszenierten.

Um "Die Gewichtungen innerhalb des polnischen Repertoires in Deutschland" geht es in Kapitel 2, in dem dargestellt wird, welche Stücke aus der bis in die Renaissance zurückreichenden polnischen Dramengeschichte auf ost- und westdeutschen Bühnen der Nachkriegszeit gespielt wurden. Zunächst stehen Texte aus dem Zeitraum von den Anfängen bis 1918 im Zentrum der Aufmerksamkeit, danach solche aus der Zwischenkriegszeit und schließlich die Gegenwartsdramatik, wobei hier einigen ausgewählten, in Deutschland bekannt gewordenen Dramatikern jeweils eigene Teilkapitel gewidmet werden, so unter anderem Jerzy Andrzejewski, Roman Brandstaetter, Kazimierz Moczarski und Bohdan Drozdowski.

Mit der Analyse konkreten Textmaterials beschäftigt sich Kapitel 3 ("Die Prägung des Polnischen der Texte bzw. seine Übersetzung"). Anhand exemplarischer in Doppelübersetzung vorliegender Dramen wird darin, geordnet nach Kriterien wie Themen und Motive, Intertextualität, Figurendarstellung, sprachliche Probleme und landestypische Realien, die Umsetzung spezifisch polnischer Züge in den deutschen Übertragungen untersucht.

Kapitel 4 ("Fallbeispiele (Ost vs. West)") konzentriert sich auf vier ausgewählte polnische Dramatiker der Nachkriegsliteratur, die auf Bühnen in beiden Teilen Deutschlands inszeniert wurden und deren Schaffen jeweils bestimmte Charakteristika aufweist, an denen sich die grundsätzlichen Probleme der unterschiedlichen Aufnahme in Ost und West besonders deutlich aufzeigen lassen: Bei Leon Kruczkowski ist dies der Aspekt des Politischen, bei Ireneusz Iredyński der des Religiösen, Zbigniew Herbert steht für einen stark am Hörstück orientierten Dramentypus, und Tadeusz Różewicz repräsentiert beispielhaft die Auseinandersetzung der polnischen Dramatik mit der Moderne.

Thema des letzten Kapitels 5 ist "Die Aktualisierung der Dramen durch die deutschen Theater im Echo der Kritik und deren Begründungszusammenhang". Darin wird anhand von Theaterrezensionen und anderen kritischen Texten versucht, die unter anderem in ganz eigenen nationalen Erfahrungen, Sichtweisen und künstlerischen Traditionen begründete "Andersartigkeit" polnischer Dramen und ihre Wirkung auf das deutsche Bühnengeschehen zu hinterfragen.

Zwar greift Kapitel 5 einiges von dem auf, was in den vorangehenden Studien erarbeitet wurde, und bringt es zur Synthese. Dennoch wäre es schon angesichts der übergroßen Fülle an Detailinformationen und -erkenntnissen dringend geboten gewesen, die Darstellung mit einer Zusammenfassung der wichtigsten Untersuchungsergebnisse abzurunden. Schade, dass man darauf verzichtet hat. Insgesamt bietet die Arbeit freilich viele interessante und immer wieder auch überraschende Einsichten, die für die weitere Forschung in diesem Bereich von außerordentlich hohem Wert sind. Der ausführliche Anhang mit einem Register der deutschen Inszenierungen polnischer Dramen, einem zweisprachigen Werkverzeichnis, einem Personenverzeichnis sowie schließlich einer umfassenden Auswahlbibliografie machen die Monografie darüber hinaus auch zu einem für Polonisten, Germanisten, Theaterwissenschaftler und Kulturhistoriker nützlichen Nachschlagewerk.

Reinhard Ibler