sehepunkte 13 (2013), Nr. 11

Andrea Ammendola: Polyphone Herrschermessen (1500-1650)

Unter dem hier eingeführten Begriff der "Herrschermesse" versteht Andrea Ammendola in diesem Buch, der Druckfassung einer Münsteraner Dissertation von 2011, solche Vertonungen des Messordinariums, "die, wie auch immer motiviert, einem oder mehreren weltlichen Herrschern dediziert sind und [in denen] sich dies auch textlich und/oder musikalisch im Werk selbst manifestiert" (25). Dies kann zum Beispiel geschehen, wenn die Messe auf einem cantus firmus beruht, der als soggetto cavato einem Herrschernamen nachgebildet ist: Gewissermaßen ein Archetypus dafür ist Josquin Desprez' Missa Hercules Dux Ferrariae, bei der die Vokale in Name, Titel und Ort mit den Vokalen von Solmisationssilber verknüpft werden, die wiederum in eine Tonfolge übersetzt werden. Eine andere Spielart der Herrschermesse sind solche Werke, in denen dem cantus firmus ein dedizierender Text unterlegt ist. Einer der wesentlichen Kontexte dafür ist, dass Herrschertum - nicht nur in der Frühen Neuzeit, um die es epochal gedacht in diesem Band geht -, das geistlich begründet ist und geistliche Musik somit auch ihren Anteil an einer Darstellung der Legitimität von Herrschertum hat.

Für seine Studie wählt Ammendola die Methode des historischen Vergleichs, die er in einem eher knapp gehaltenen Prämissenkapitel vorstellt und sodann in einem umfangreichen analytischen Kapitel, freilich in unterschiedlicher Ausführlichkeit, auf Herrschermessen anwendet, die nach Orten gruppiert sind: Ferrara, Parma und Florenz für Italien, sodann Spanien und Portugal, schließlich Jena und Graz. Dieser Ordnung, die sich vielleicht nicht spontan aufzudrängen scheint, kann man dennoch schnell folgen, denn sie richtet den Blick auf dynastische Kontexte, wo eine - möglicherweise zunächst in den Sinn kommende - Typologisierung der innermusikalischen Beziehungen etwa am Beispiel der jeweiligen Arbeit mit dem cantus firmus eher hermetisch geblieben wäre. Die sehr sorgfältigen und stimmigen Analysen zeigen dabei mit sinnfälligen Tabellen und veranschaulicht durch viele Notenbeispiele Gemeinsamkeiten und Besonderheiten der untersuchten Messkompositionen, wobei je nach Einzelfall eine innermusikalische Kommunikation (verstanden als Auseinandersetzung eines Komponisten mit dem Werk eines anderen Komponisten) ebenso zum Tragen kommt wie die auf die Herrscher hin gerichtete kommunikative Funktion der Messe. Dass hier im Grunde sehr unterschiedliche Vorstellungen von Kommunikation und Symbolizität zugrunde liegen, wird im Prämissenkapitel vorbereitet. Hervorgegangen ist die Arbeit nämlich aus dem Münsteraner Sonderforschungsbereich "Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme vom Mittelalter bis zur Französischen Revolution", dessen sehr weit gefasstes Verständnis von Symbol und Kommunikation für diese Studie adaptiert wird.

Dass mit diesen weit gefassten Begriffen eine "vielfältige interdisziplinäre Ausrichtung" (32) möglich ist, liegt auf der Hand, und dennoch ist zu fragen, inwieweit damit nicht die Methode des historischen Vergleichs in gewisser Weise konterkariert wird. Denn die Gefahr, den sprichwörtlichen Vergleich zwischen Äpfeln und Birnen zu ziehen, ist nicht nur theoretisch gegeben, zu schweigen von den Fragen nach dem eigentlichen Gegenstand und dem Adressaten der Kommunikation sowie nach dem Verstehensmodus von Symbolen.

Und so bleibt das auf sieben Seiten gegebene Resümee dieser Arbeit in mancher Hinsicht etwas blass. Betont wird die (in der Studie hinlänglich erwiesene) Vorbildhaftigkeit von Josquin Desprez' Missa Hercules Dux Ferrariae nicht allein in der Technik des soggetto cavato bei gleichzeitiger Erkenntnis, dass bei Messen ohne ein solches soggetto cavato eine Vergleichsbasis kaum gegeben sei (295). Ebenso erschöpft sich die Kontextualisierung weitgehend darin, "Erkenntnisse über die Entstehungshintergründe der Messen zu gewinnen und ggf. Aussagen über Patronageverhältnisse treffen zu können" (296); für die Symbolizität nimmt Ammendola die musikalische Funktion des cantus firmus für die jeweilige Werkgestalt in Anspruch. Dass dabei kein eng umrissenes Symbolverständnis zugrunde liegt, macht sich durchaus hinderlich bemerkbar, denn wenn in der prototypischen Missa Hercules Dux Ferrariae der Name Hercole d'Estes so mit dem musikalischen Material der Messe verschmolzen ist, wie er sich auch als Person mit einer sakralen Aura umgeben hat, beruht das auf einer schlichten semantischen Assoziation, für die ein historisch legitimierter Verstehensmodus nicht benannt wird. Und kann man das für andere Herrschermessen überhaupt anders sehen?

Schließlich macht die Methode des historischen Vergleichs nur sichtbar, was sich überhaupt vergleichen lässt: Und das basiert im Rahmen dieses Buches auf dem Notentext. Daran ist zunächst wenig auszusetzen, gleichzeitig verschenkt Ammendola damit aber auch Einiges an Potenzial für weiterführende Fragestellungen von erheblicher Brisanz. Denn inwieweit Herrschermessen, zumal im Druck verbreitete, beispielshalber im Rahmen des Diskurses über Legitimität, Anspruch und Organisation herrschaftlicher Macht verstanden worden sind, wie er gleichzeitig von Niccolò Macchiavelli angestoßen worden ist, erfährt man auf diese Weise nicht. An einen Zufall mag man aber auch nicht glauben, wenn man sich die engen historischen und geographischen Koinzidenzen zwischen der Entstehung und Rezeption von Macchiavellis Il Principe und dem Typus der Herrschermesse vor Augen führt.

Rezension über:

Andrea Ammendola: Polyphone Herrschermessen (1500-1650). Kontext und Symbolizität (= Abhandlungen zur Musikgeschichte; Bd. 26), Göttingen: V&R unipress 2013, 344 S., ISBN 978-3-89971-963-5, EUR 59,99

Rezension von:
Andreas Waczkat
Musikwissenschaftliches Seminar, Georg-August-Universität, Göttingen
Empfohlene Zitierweise:
Andreas Waczkat: Rezension von: Andrea Ammendola: Polyphone Herrschermessen (1500-1650). Kontext und Symbolizität, Göttingen: V&R unipress 2013, in: sehepunkte 13 (2013), Nr. 11 [15.11.2013], URL: https://www.sehepunkte.de/2013/11/22532.html


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