sehepunkte 14 (2014), Nr. 7/8

Thomas Biskup: Friedrichs Größe

2012 jährte sich zum dreihundertsten Male der Geburtstag Friedrichs des Großen. Im Umfeld dieses Ereignisses erschien eine Flut von Publikationen, die sich mit dieser zentralen Figur der deutschen Geschichte auseinandersetzen. Manche Autoren beschränken sich auf die Wiederholung von Vertrautem, andere suchen Neuland zu betreten. Zu letzteren zählt Thomas Biskup mit seiner Studie Friedrichs Grösse. Inszenierungen des Preußenkönigs in Fest und Zeremoniell 1740-1815. Biskup schreibt ohne Frage in revisionistischer Absicht. Nicht mehr Staat und Stände, Militär und Bürokratie sind die Fixsterne seiner Auseinandersetzung mit Friedrich, vielmehr versucht er, sich dem preußischen König vorrangig aus kulturgeschichtlicher Perspektive zu nähern. Konkret meint dies: Er will zeigen, wie in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts und zu Beginn des 19. Jahrhunderts "Friedrichs »Größe« konstruiert und inszeniert wurde" (10). Diesen Prozess analysiert Biskup auf zwei Ebenen: Zum einen geht es um Friedrichs Ambition, "seinen Rang unter Europas Herrschern zu behaupten und sich zugleich einen Platz unter den »Großen« der Geschichte zu sichern" (ebd.). Zum zweiten nimmt er die kulturellen Praktiken ins Visier, mit denen Zeitgenossen den Preußenkönig zu "Friedrich dem Großen" werden ließen. Es geht hier also nicht um die letztlich müßige und kaum analytische Kraft habende Frage, ob Friedrich seinen Beinamen zu Recht trägt.

Den Auftakt des Biskupschen Unternehmens - sieht man von der etwas weitschweifig geratenen Einleitung ab - bildet ein Kapitel über den Hof Friedrichs des Großen. Es ist wohlbekannt, dass der preußische Monarch während der ersten Hälfte seines Regimentes höfisches Leben in unterschiedlichen Formen (Theater, Oper, Bälle, Maskeraden, Soupes etc.) kultivierte. Biskup macht nun aber deutlich, dass entgegen der gängigen Vorstellung auch noch nach dem Siebenjährigen Krieg der Aufwand für die Hofhaltung beträchtlich war. Vor allem aber arbeitet er die strukturellen Merkmale der friderizianischen Hofkultur heraus. Er spricht in diesem Zusammenhang von einer "pluralistischen Hoflandschaft", will heißen, es gab in Berlin eine ganze Reihe von Höfen, die um die verschiedenen Mitglieder der Dynastie herum organisiert waren (so etwa den der Königin Elisabeth Christine). Auffallend ist zudem die zentrale Rolle, die Friedrich bei der Administrierung dieser Höfe spielte. Biskup geht es nicht nur darum, das Klischee vom antihöfischem Habitus des preußischen Monarchen zu unterminieren, er will vor allem auch die Motivlage entschlüsseln, aus der Friedrichs Interesse an Hof und Zeremoniell erwuchs. Dies geschieht u. a. im zweiten Kapitel, das das sogenannte Carrousel von 1750 zum Gegenstand hat. Das Carrousel war ein öffentliches Ritterspiel, an dem prominente Mitglieder des Berliner Hofes mitwirkten und der spektakuläre Höhepunkt der Festivitäten, die Friedrich im August 1750 anlässlich des Besuches seiner Schwester Wilhelmine und ihres Gemahls, des Markgrafen von Bayreuth, in Szene setzte. Biskups subtile Analyse dieses Ereignisses lässt erkennen, dass sich Friedrich mit dem Carrousel als "großer" König in der Nachfolge Ludwigs XIV. inszenierte und dass er nach dem Sieg über Habsburg in den schlesischen Kriegen auf eine Geste des Triumphes zielte.

Wenn es um Friedrichs "Größe" geht, sind die Selbstinszenierungen des preußischen Monarchen die eine Seite der Medaille, die andere Seite sind die Anstrengungen, mit denen Zeitgenossen diese Figur würdigten. Sie sind das Thema eines materialreichen Kapitels, das den Titel trägt "Der Geist der Größe: Friedrich und Preußen". Das Spektrum der Gegenstände, die hier behandelt werden, reicht von der patriotischen Literatur im Umfeld des Siebenjährigen Krieges über die Bestattung des preußischen Königs bis hin zu den Wettbewerben für ein Friedrich-Monument im ausgehenden 18. Jahrhundert. Manches ist bekannt, manches neu. Deutlich wird in Biskups Ausführungen, dass die Figur Friedrichs zur Projektionsfläche höchst unterschiedlicher Vorstellungen und Ambitionen wurde. Sein "Geist" konnte etwa beschworen werden, um Kritik am postfriderizianischen Regime zu üben; er konnte aber ebenso zum Vehikel werden, um protonationalistischen Vorstellungen Ausdruck zu verleihen.

"Größe" kann, wie Biskups Arbeit in Teilen belegt, ein inspirierendes historiographisches Konzept sein; solch ein Konzept kann aber auch überdehnt werden. Dies ist tendenziell der Fall im dritten Kapitel, in dem "Größe" gleichsam ex negativo definiert wird. Es ist überschrieben "Drehpunkt Körper: Gefährdung von Größe". Hier werden all jene Phänomene ausgebreitet, die geeignet waren, Friedrichs Reputation zu beschädigen und die zu Gegenständen des zeitgenössischen Räsonnements wurden. Gemeint sind u.a. seine problematische Ehe, seine Kinderlosigkeit, seine vermutete Homosexualität, seine literarische Libertinage sowie seine Religionsfeindlichkeit. Von "Inszenierungen des Preußenkönigs in Fest und Zeremoniell", wie der Untertitel der Biskupschen Studie lautet, ist in diesem Kapitel nicht mehr die Rede, vielmehr geht es primär um einen Ausschnitt aus der öffentlichen bzw. halböffentlichen Debatte, die den Lebensweg des preußischen Monarchen begleitete. Auch andere Passagen der Arbeit wollen nicht so recht in das Gesamtkonzept des Unternehmens passen. Dies gilt etwa für die Ausführungen zur preußischen Doppelhochzeit von 1793 (158-167) oder die Huldigungsfeiern von 1798 (167-175). Beide Abschnitte sind für sich genommen interessant, aber mit "Friedrichs Größe" haben sie nur wenig zu tun.

Mit dem letzten Kapitel verlässt Biskup in gewisser Weise das Terrain der preußischen Geschichte und öffnet sich der des nachrevolutionären Frankreich. Im Zentrum steht dabei eine der aufwendigsten Zeremonien des napoleonischen Kaisertums: die feierliche Überführung des Degens Friedrichs des Großen in den Pariser Invalidendom zu Pfingsten 1807. Diesen spektakulären Akt liest Biskup vor der Folie der für die Franzosen traumatischen Niederlage von Roßbach im Jahre 1757. Zugleich wirft er einen hochinteressanten Blick auf die "Kulturpolitik", mit der Napoleon sein neu begründetes Kaisertum zu legitimieren suchte. Biskup macht nun sinnfällig, dass die Zeremonie von 1807 keineswegs, wie man nach dem Sieg von Jena und Auerstedt vermuten könnte, eine Geste des Triumphes war. Vielmehr ist die Überführung des Degens Friedrichs - so die überzeugende Deutung Biskups - als "Translation der Größe" zu begreifen, mit der sich Napoleon zum legitimen Erben Friedrichs machte.

Ohne Frage handelt es sich bei Biskups Studie um ein facettenreiches und inspirierendes Stück Kulturgeschichte der friderizianischen Ära. Gleichzeitig ist aber unübersehbar, dass es dem Unternehmen an Kohärenz und Geschlossenheit mangelt. Dies mag mit seiner Genese zusammenhängen. Einzelne Themen tauchen bereits in Biskups unveröffentlichter Dissertation auf, allerdings in einem argumentativen Zusammenhang, der nicht deckungsgleich mit dem des vorliegenden Werkes ist (The Politics of Monarchism. Royalty, Loyalty, and Patriotism in later 18th-century Prussia Cambridge PhD 2001). Und auch dort, wo Biskup auf seine eigenen älteren Aufsätze zurückgreift, fügen sich diese nicht in jeder Hinsicht nahtlos in das Projekt "Friedrichs Größe". Solche Kritik ändert allerdings nichts daran, dass wird dank dieser Studie erheblich mehr darüber wissen, wie Friedrich mit sich selbst und Zeitgenossen und Nachgeborene mit ihm umgegangen sind.

Rezension über:

Thomas Biskup: Friedrichs Größe. Inszenierungen des Preußenkönigs in Fest und Zeremoniell 1740-1815, Frankfurt/M.: Campus 2012, 316 S., ISBN 978-3-593-39484-8, EUR 34,90

Rezension von:
Eckhart Hellmuth
München
Empfohlene Zitierweise:
Eckhart Hellmuth: Rezension von: Thomas Biskup: Friedrichs Größe. Inszenierungen des Preußenkönigs in Fest und Zeremoniell 1740-1815, Frankfurt/M.: Campus 2012, in: sehepunkte 14 (2014), Nr. 7/8 [15.07.2014], URL: https://www.sehepunkte.de/2014/07/20788.html


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