sehepunkte 15 (2015), Nr. 2

William Thomas Allison: The Gulf War, 1990-91

Als der irakische Diktator Saddam Hussein im August 1990 versuchte, das Emirat Kuwait zu annektieren, gab es weltweit einen empörten Aufschrei. Einerseits waren durch die Invasion die Souveränitätsrechte eines Staates auf das Sträflichste verletzt worden, anderseits waren und sind viele Länder in hohem Maße von den Erdölvorkommen der Golfregion abhängig und fühlten sich durch die irakische Invasion bedroht. Die US-amerikanische Regierung unter George Bush Sr. musste in dieser Situation schnell reagieren, da eine Destabilisierung der Region aus verschiedenen Gründen für Washington zu einem schwerwiegenden Problem hätte werden können. Nachdem der Versuch gescheitert war, die irakische Führung zunächst mit der UN-Sicherheitsratsresolution 662 und wenig später mit multilateralem diplomatischem Druck zum Rückzug aus Kuwait zu bewegen, fiel es US-Präsident Bush leicht, eine Koalition von 34 Staaten zu formen, die bereit waren, das Emirat von seinen Usurpatoren zu befreien.

Die politischen und gesellschaftlichen Widerstände des sich gerade im Einigungsprozess befindlichen Deutschland gegen eine Beteiligung am hierzulande so genannten Zweiten Golfkrieg sind ebenso hinlänglich bekannt [1], wie der schnelle Sieg, den die alliierte Streitmacht im Rahmen der "Operation Desert Storm" erreichte. Das Emirat Kuwait wurde befreit und die Herrscherfamilie wieder eingesetzt. Aber auch Saddam Hussein blieb - wenn auch politisch geschwächt - irakischer Präsident. Eine bewusste Entscheidung der Koalition [2], die Bush Sr. im Nachhinein bereut hat und die erst durch seinen Sohn, George W. Bush, rund zwölf Jahre später im Rahmen des Dritten Golfkriegs revidiert wurde.

Dass es in den Ländern der Koalitionsstreitkräfte eine weniger kritische Sichtweise auf diesen Krieg gibt, als z.B. in dem militärisch nicht daran beteiligten Deutschland, ist nachvollziehbar. Gleichwohl ist es erstaunlich, dass es immer wieder Publikationen von renommierten angelsächsischen Verlagen gibt, die mit ausreichend zeitlichem Abstand zu den Ereignissen erscheinen und eine vergleichsweise einseitige, US-amerikanische Nabelschau betreiben.

Das vorliegende Buch ist in einer Reihe von "Textbooks" des britischen Verlages Palgrave Macmillan über die bedeutendsten Kriege des 20. Jahrhunderts veröffentlicht worden. In Großbritannien erfreuen sich derartige Bücher, die prägnant eine konkrete historische Periode oder ein Ereignis beleuchten ("concise history"), seit einigen Jahren einer großen Beliebtheit. Verfasst wurde der Band von William Thomas Allison. Der gebürtige Texaner ist derzeit Professor für Militärgeschichte an der naturwissenschaftlich ausgerichteten und eher konservativen Georgia Southern University und hat bisher primär den Vietnamkrieg erforscht (3).

Das gut 200 Seiten umfassende Taschenbuch erhebt den Anspruch, auf Basis der neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse die Entstehung des Krieges, seinen Verlauf und seine Nachwirkung bis in die Gegenwart hinein aufzuzeigen. Ein ambitioniertes Vorhaben für ein Lehrbuch, das sich vornehmlich an Studenten und militärgeschichtlich interessierte Laien wendet. Dabei folgt seine Darstellung der in den USA stark verbreiteten positivistischen Vorgehensweise. Und genau hier liegt die Schwäche des Bandes. Der Autor will zu viel, reißt zahlreiche Themen ohne die notwendige Tiefe an - so streut er z. B. holzschnittartige, einseitige Kurzbiografien über die handelnden Personen ein - und beschreibt den gesamten Konflikt nur aus US-amerikanischer Sicht. Dies zeigt sich am Ende des Buches dann noch einmal in der kleinen Auswahlbibliografie, die nur aus angelsächsischer, zumeist sogar US-amerikanischer Literatur besteht und keine Internethinweise gibt.

Zunächst führt der Autor in die Thematik ein, indem er das Konfliktpotential der Region historisch herleitet und die Schuld für die komplizierte Situation zu Beginn der 1990er Jahre den jahrhundertealten innermuslimischen Auseinandersetzungen und der gescheiterten Kolonialpolitik der Europäer zuordnet. Die Machtergreifung und der Machterhalt Saddam Husseins werden als eine Folge seines Machtwillens und seiner Gewaltbereitschaft geschildert. Der Autor vergleicht die Vorgehensweise Husseins mit der Politik Stalins: "[...] that would have made Joseph Stalin envious of his efficiency thoroughness and brutality." (30) Als Grund für den Angriff auf das Emirat Kuwait werden primär die wirtschafts-, finanz-, und innenpolitischen Probleme des Irak in Folge des ersten Golfkriegs gegen den Iran (1980-88) angeführt. Dabei vergisst der Autor zu erwähnen, welche Rolle die US-Administration in diesem Konflikt gespielt hat. Dies ist leider kein Einzelfall. Im Laufe der Lektüre des Buchs wird dem aufmerksamen Leser wiederholt auffallen, dass der Autor die Tatsachen im Zweifelsfall durch Auslassung oder gefälliger Interpretation ganz im Sinne der US-Regierungen darstellt. Trotzdem ist die Argumentationsführung von Allison stringent: Am Ende der Kette konnte die Bush-Administration aus seiner Sicht gar nicht anders handeln als mit einer von ihr geführten Koalition Kuwait von den irakischen Invasoren zu befreien. Dies war aber auch von Beginn an nicht anders zu erwarten, denn bereits in der Einleitung weist er den Leser darauf hin, dass er Clausewitz Kriegsphilosophie folgt, wenn er feststellt: "Unique circumstances converge to persuade a nation-state to war on another in the hope of achieving a crucial political objective that leaders determine they cannot obtain by other means." (vii)

Einzig in der Retrospektive, in den in Amerika so beliebten "lessons learned", geht Allison ein wenig kritisch mit den US-amerikanischen Entscheidungsträgern um. Aber auch hier weist er am Ende der Diskussion darauf hin, dass sich gerade in diesen Jahren im Militär einige Dinge explosionsartig entwickelten ("Revolution of Military Affairs", 160f.), und dass die US-Streitkräfte immer noch das "Vietnam-Syndrom" (153f.) überwinden mussten. Folglich sind für Allison die aufgezeigten Probleme eine logische Konsequenz der Imponderabilien des "corpus militaris" - selbst beim sonst von ihm so hochgelobten US-Militär. Am Ende schließt Allison mit einer Anleihe bei Clausewitz als dem Kronzeugen des perfekten Militärs: "It [der Zweite Golfkrieg] may have as well banished the ghosts of Vietnam by bringing together [...] the Clausewitzian trinity of people, government and military in 1991 that had eluded the United States from 1965 to 1973." (165) Vor dem Hintergrund der anhaltenden öffentlichen Diskussionen in den USA über den Afghanistan-Einsatz scheint diese These jedoch gewagt.

Somit erfüllt dieses Buch zwar die Erwartung, "concise" ein historisches Ereignis zu beleuchten. Leider ist es dabei sehr häufig nicht "precise" genug, um es einem breiteren Leserkreis empfehlen zu können.


Anmerkungen:

[1] Siehe hierzu exemplarisch: Jörn Böhme: Der Golfkrieg, Israel und die deutsche Friedensbewegung. Dokumentation einer Kontroverse, Frankfurt a. M., 2. Aufl. 1991 und http://www.spiegel.de/einestages/golfkrieg-1991-a-949072.html (aufgerufen 19. Dezember 2014).

[2] Siehe hierzu u.a.: George H. W. Bush / Brent Scowcroft: A World Transformed, New York 1998.

[3] Siehe hierzu u.a.: William Thomas Allison: My Lai: An American Atrocity in the Vietnam War. Baltimore 2012; ders.: Military Justice in Vietnam: The Rule of Law in an American War, Lawrence 2007.

Rezension über:

William Thomas Allison: The Gulf War, 1990-91 (= Twentieth-Century Wars), Basingstoke: Palgrave Macmillan 2012, XII + 208 S., 7 Abb., 1 Karte, ISBN 978-0-230-20265-8, GBP 16,99

Rezension von:
Dieter H. Kollmer
Potsdam
Empfohlene Zitierweise:
Dieter H. Kollmer: Rezension von: William Thomas Allison: The Gulf War, 1990-91, Basingstoke: Palgrave Macmillan 2012, in: sehepunkte 15 (2015), Nr. 2 [15.02.2015], URL: https://www.sehepunkte.de/2015/02/24693.html


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