Rezension über:

Julian Swann / Joel Félix (eds.): The Crisis of the Absolute Monarchy. France from Old Regime to Revolution, Oxford: Oxford University Press 2013, XIV + 337 S., ISBN 978-0-19-726538-3, GBP 70,00
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Rezension von:
Bernd Klesmann
Historisches Institut, Universität zu Köln
Redaktionelle Betreuung:
Johannes Wischmeyer
Empfohlene Zitierweise:
Bernd Klesmann: Rezension von: Julian Swann / Joel Félix (eds.): The Crisis of the Absolute Monarchy. France from Old Regime to Revolution, Oxford: Oxford University Press 2013, in: sehepunkte 15 (2015), Nr. 4 [15.04.2015], URL: https://www.sehepunkte.de
/2015/04/25167.html


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Julian Swann / Joel Félix (eds.): The Crisis of the Absolute Monarchy

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Prominente Vertreter der britischen, französischen und US-amerikanischen Forschung zur Geschichte des späteren 18. Jahrhunderts in Frankreich legen mit dem anzuzeigenden Sammelband ein außerordentlich gehaltvolles Buch vor. Im freundschaftlichen Gewand einer Festschrift für William Doyle steckt ein hochverdichtetes Korpus von insgesamt 16 Beiträgen, die sich überwiegend aus der sogenannten revisionistischen Strömung der Revolutionsforschung herleiten. Mit Ausnahme eines - zweifellos auch sehr informativen - Aufsatzes zur Geschichte Savoyen-Piemont-Sardiniens (Michael Broers) sowie einer Zusammenfassung jüngerer Thesen zur Totalisierung des Krieges seit den 1790er Jahren (David Bell) geht es in allen Texten mehr oder weniger explizit um die klassische Frage nach den Ursachen der Französischen Revolution und ihrer näheren und ferneren Vorgeschichte.

In einer ambitionierten Einleitung legt Julian Swann dar, wie die aktuelle Forschung nach "Marxism", "Revisionism" (6-11) und "post-Revisionism" (11-17) eine dem Gegenstand angemessene Pluralisierung etabliert habe (dass wirtschaftsgeschichtliche Fragestellungen und das Problem der Staatsfinanzen keineswegs zu den Akten gelegt werden, zeigen insbesondere die Beiträge von Olivier Chaline und Joël Félix). Als etwas versteckt platzierte Kernthese der neu verhandelten Ursachenanalyse wird das Bild vom "collapse" (17), vom "breakdown" (18) oder der Implosion der Monarchie, eben ihrer "crisis", den älteren Annahmen einer langfristigen und zukunftsweisenden Dynamik sozialer, wirtschaftlicher und kultureller Faktoren - also der vielfach attackierten "Teleologie" unterschiedlicher Färbung - entgegengesetzt: "the French monarchy was not overthrown, but imploded" (20). Jean-Pierre Poussou unterstreicht dieses Bild in seiner Diskussion der Anwendbarkeit des Krisenbegriffs auf die Entwicklung der 1780er Jahre und identifiziert neben einer politischen und finanziellen Krise ein fatales "power vacuum" in Mai und Juni 1789 (34). Streng wird mit der von Ernest Labrousse diagnostizierten ökonomischen Krise des französischen 18. Jahrhunderts abgerechnet, von der laut Poussou keine Rede sein könne: sogar der berüchtigte Handelsvertrag mit England von 1786 habe sich allenfalls in Teilen der Normandie negativ ausgewirkt, während für Südfrankreich der Levantehandel entscheidend gewesen sei und darüber hinaus Textil- und Luxuswaren nach wie vor mit großem Erfolg vertrieben worden seien, z.B. aus den Manufakturen von Jouy-en-Josas bei Versailles, aus Sedan, Saint-Quentin, Annonay (Ardèche) und Lyon (40-41). Die berühmten Cahiers de doléances von Anfang 1789 jedenfalls hätten ökonomische Probleme nur marginal thematisiert.

Julian Swann sieht in seinem Beitrag zum "breakdown of personal monarchy" eine im Wortsinn zentrale Ursache der Revolution in den mangelnden Führungsqualitäten des überforderten Louis XVI und identifiziert die Einberufung der Notabelnversammlung als kardinale Fehlentscheidung, die überhaupt erst Necker als langjährigen Rivalen des amtierenden Calonne wieder ins Gespräch gebracht habe. Einen wohlinformierten Beobachter dieser Geschehnisse begleitet Munro Price in Gestalt des Maréchal de Castries (u.a. Marineminister von 1780 bis Herbst 1787). In einer erstmaligen Auswertung persönlicher Aufzeichnungen der Jahre 1788/89 kann Price zeigen, wie Castries als Befürworter einer konstitutionell reformierten Monarchie den Vorstößen des Tiers gleichwohl scharf entgegentrat und zum Schattenminister der Emigration wurde. Auch Castries hielt Ludwig XVI. schlicht für persönlich nicht fähig, in die übergroßen Fußstapfen des Sonnenkönigs zu treten und eine Regierung ohne nationale Ständevertretung fortzusetzen.

Joël Félix, einer der wenigen lebenden Dixhuitiemisten mit breiter finanzhistorischer Expertise, kontextualisiert Neckers berühmtes Compte rendu von 1781 und stellt zunächst klar, dass vergleichbare Texte immer wieder auch von den Amtsvorgängern erstellt worden waren (Silhouette, Bertin, L'Averdy, Maynon d'Invault, Terray). Doch wurden sie - wenn überhaupt - erst Jahre später publiziert, während andererseits Informationen über den Staatshaushalt Frankreichs seit etwa 1740 durchaus zunehmend "durchsickerten" und vereinzelt sogar gedruckt nachzulesen waren, etwa in den Loisirs du chevalier d'Eon (Amsterdam 1774). Die eigentliche Leistung des Compte rendu sieht Félix weniger in der öffentlichkeitswirksamen Erläuterung der Anleihepolitik, sondern v.a. in einem indirekten Plädoyer für neue Steuern, das schließlich Neckers Sturz aufgrund interner Widerstände verursacht habe (125). Die in diesen Debatten allgegenwärtige Vergleichsperspektive mit Großbritannien analysiert Nigel Aston in seinem Beitrag über Neckers Kontakte nach London und insbesondere zu Stormont, dem späteren Earl of Mansfield (1727-1796) und langjährigen britischen Gesandten in Versailles.

Thomas E. Kaiser, Hamish Scott und Guy Rowlands stellen in selbstständigen und ausführlichen Beiträgen den Rückgang des außenpolitischen Einflusses Frankreichs in den Jahren vor der Revolution und die ungünstigen Auswirkungen des österreichischen Bündnisses bzw. einschneidender Sparmaßnahmen im königlichen Militärhaushalt dar, die v.a. die hofnahen adeligen Elitetruppen trafen und durch ein "grotesque mismanagement" (272) dauerhaft entfremdeten. Wie dramatisch andererseits die Kosten für den Aufbau einer Handels- und Kriegsmarine gerade in den Friedensjahren ab 1783 explodierten, belegt umfassend Olivier Chaline. U.a. aufgrund mangelnder Abstimmung zwischen Finanz- und Marineminister trugen diese Maßnahmen jedoch keineswegs zu einer Stärkung der französischen Kolonialmacht bei, sondern führten durch Überdehnung der Kreditfinanzierung und auch durch steigende Kosten des Schiffbaus zu Konkursen wichtiger Investoren, so dass der zurückliegende Sieg über Großbritannien nicht genutzt werden konnte: "It was no longer Neptune triumphant but Chronos devouring its own children." (217) Dass im Zuge dieser Krisenerscheinungen die überseeischen Ambitionen Frankreichs erhebliche Rückschläge erlitten, zeigt Mike Rapport anhand einer Analyse des Schriftverkehrs der Kolonisten von Pondichéry mit dem fernen und zunehmend investitionsscheuen Mutterland.

Demographischen Rückgang, Aufspaltung in konträre Interessensgruppen sowie wachsende Identitätskrise des französischen Adels im späteren 18. Jahrhundert konstatiert Michel Figeac. Die Unterstützung auch des höheren Adels für die bekannten Entwicklungen der révolte nobiliaire wird hier als eine Art Dekadenzphänomen gedeutet und gipfelt in Chateaubriands Verdammung einer frivolen Leichtfertigkeit zahlreicher Standesgenossen, die schließlich ihrerseits der anfänglich bejubelten Revolution zum Opfer fallen sollten. Methodisch besonders innovativ geht Clarisse Coulomb in einer vergleichenden Analyse städtischer Geschichtsschreibung des 18. Jahrhunderts vor. Die teilweise obrigkeitlich zurückgehaltenen Texte eines Anquetil (Reims), Abbé Pernetti (Lyon) oder Rozoi/Durosoy (Toulouse), die mitunter auch langfristige Rivalitäten mit dem Adel darstellten, verherrlichten überwiegend bürgerlichen Handelsgeist und Republikanismus, gewissermaßen im Sinne eines historiographischen "Stadtluft macht frei", und bereiteten so auf eigene Weise den Boden für die Diskussionen von 1788/89 um Ständestaat und parlamentarische Repräsentation.

Tim Blanning würdigt abschließend das Lebenswerk Doyles aus der Perspektive des akademischen Weggefährten. Neben einer Fülle weiterer Gesichtspunkte, die er zuletzt in seinem Buch über die Constituante vertieft hat, hebt auch Blanning die Bedeutung politisch-militärischer Zusammenhänge hervor und sieht - mit Rivarol - in der "defection of the army" (319) nicht nur den Hauptfaktor der Französischen, sondern überhaupt aller Revolutionen. Die Frage allerdings, wie es dazu kommen konnte, kann im Rahmen des Einzelbeitrages nicht umfassend diskutiert werden und muss auf weitere Literatur zur Revolutionsgeschichte verweisen, zu der mit dem vorliegenden Band ein neuer, substanzieller Beitrag geleistet wurde. Zwei weitere Fragen würden allerdings den überzogenen Gestus des Triumphs über das vermeintlich veraltete Modell der "bürgerlichen Revolution" betreffen (312-313): lässt sich aus der schwerlich zu bestreitenden Tatsache, dass die Frühphase der Revolution maßgeblich von Adeligen geprägt wurde, wirklich folgern, dass es sich daher nicht um eine Revolution gegen den Adel gehandelt haben kann? Seine historisch beispiellose Abschaffung durch die Constituante 1790 passt hier schlecht ins Bild und wird in der begrifflichen Wundertüte eines "prevalence of paradox" eher entsorgt als erklärt (319-321). Und: ist die Tatsache, dass der Adel als Institution ab 1808 und endgültig ab 1814/15 fröhliche Urständ feierte, wirklich ein Beweis dafür, dass die Revolution in dieser Hinsicht nahezu folgenlos blieb (323)? Zeigen nicht gerade die Beiträge von Figeac und Coulomb in diesem Band, dass die Infragestellung adeliger Machtansprüche einen langfristig entscheidenden Faktor darstellte? Die Diskussion über diese und andere Fragen dürfte sich fortsetzen.

Bernd Klesmann