sehepunkte 16 (2016), Nr. 10

Michaela Vocelka / Karl Vocelka: Franz Joseph I.

Nach der 2014 erschienenen Biographie Elisabeths [1] widmen sich Michaela und Karl Vocelka, nun pünktlich zur 100. Wiederkehr des Todestages dem stets im Schatten "Sisis" stehenden Franz Joseph I. Karl Vocelka, langjähriger Vorstand des Instituts für Geschichte der Universität Wien, zeichnet auch für die große Wiener Ausstellung anlässlich des "Kaiserjahres" 2016 verantwortlich. [2] Die sehr gut lesbare und klar aufgebaute Arbeit führt dabei den aktuellen Forschungsstand zusammen und bietet so - eingebettet in die politische Geschichte der Habsburgermonarchie - einen guten Einblick in das Leben des wohl populärsten österreichischen Kaisers.

Die beiden Autoren der vorliegenden Biographie, die durch einen umfassenden Anmerkungsapparat, ein Literaturverzeichnis (eine ausführliche Bibliografie ist online abrufbar) sowie ein Stammbaum abgerundet wird, wollen "die Persönlichkeit [Franz Josephs] in den Mittelpunkt stellen" und entscheiden sich daher bewusst für eine "Fokussierung auf besonders charakteristische Höhepunkte" (14) im Leben des Monarchen. Die Arbeit ist dabei chronologisch aufgebaut. Nach einer kurzen, gelungenen Einleitung, in der auf das konstruierte Image und den Mythos des Monarchen und seiner Regierungszeit eingegangen wird - das nostalgische Bild des greisen Herrschers bzw. die "gute alte Zeit" dienten nach 1945 auch der Konstruktion einer österreichischen Identität und fanden durch die Heimatfilme der 1950er bzw. 1960er Verbreitung - wird in 13 sehr unterschiedlich gewichteten Kapiteln der biografische Bogen gespannt. Dabei finden die ersten 37 Lebensjahre besondere Beleuchtung. Sehr ausführlich beschreiben die beiden Autoren die Kindheit und Jugend "Franzis", die durch Briefe des Jungen - Franz Joseph konnte bereits im zarten Alter von vier Jahren schreiben - sowie Briefe und Tagebücher der Mutter, Stundenpläne und Jugendtagebücher sehr gut belegt und bereits erforscht sind. Sie zeugen von einem straffen Erziehungsplan, der zwischen Unterricht, sportlicher Betätigung und gesellschaftlichen Verpflichtungen kaum Zeit für eine altersgemäße Persönlichkeitsentwicklung ließ. Als einzige soziale Kontakte zu Gleichaltrigen blieben ihm neben seinen Brüdern und anderen Mitgliedern der erweiterten Familie die Söhne seiner Erzieher, denen er verbunden blieb und die später Karriere machten: Julius Graf von Falkenhayn, wurde später Ackerbauminister, sein Bruder Ladislaus Flügeladjutant des Kaisers, Richard Fürst von Metternich Diplomat und Eduard Graf Taaffe Ministerpräsident.

Die konservativen, antikonstitutionellen und religiösen Haltungen am Hofe bzw. seiner Mutter und Metternichs sollten den Rahmen der politischen Sozialisierung Franz Josephs bilden, der Einfluss sollte sich auch nach der Thronbesteigung 1848 halten. Diese konservative Haltung machte sich auch technischen Neuerungen gegenüber bemerkbar, denen er sein Leben lang skeptisch gegenüber blieb. Eine Ausnahme bildete die Nutzung der Eisenbahn. Während sich das Bild eines einsamen, stets in Uniform gekleideten, Backenbart tragenden Monarchen, der Wien nur selten verließ, (besonders nach 1945) festschrieb, zeichnet die vorliegende Arbeit ein anderes Bild: ob Reisen - zuerst noch mit Pferdekutschen - zu den jährlich abgehaltenen Manövern, Bildungsreisen (etwa um sein Herrschaftsgebiet kennenzulernen), Staatsbesuchen oder privaten Aufenthalten an der französischen Riviera, Franz Joseph nutzte die ihm zur Verfügung stehenden modernen Reisemöglichkeiten, auch um sich der Öffentlichkeit - nicht nur in Wien - zu präsentieren. Anlässlich der Eröffnung des Suezkanals 1869 führte ihn etwa eine fast dreimonatige Reise auch nach Konstantinopel, Athen, Kairo und Palästina. Eine seiner letzten Reisen führte den bereits gesundheitlich angeschlagenen Franz Joseph 1909 anlässlich der Jahrhundertfeier nach Tirol.

Am Image des Monarchen wurde bereits zeitgenössisch gearbeitet. Als öffentliche Figur stand er im Mittelpunkt des Interesses: Lithographien, später verstärkt Fotografien, zuhauf in den Illustrierten der Zeit veröffentlicht sowie auf Bildpostkarten abgebildet, prägten das Bild bzw. den Kult des Kaisers mit. Der Herrscher wurde gerne als genüg-, arbeits- vor allem aber sparsam inszeniert - auch wenn, wie die beiden Autoren nachzeichnen, mehr als zwölf Bedienstete für alltägliche Belange zur Verfügung standen und bei Empfängen keine Kosten gescheut wurden. Einen ersten großen Höhepunkt erfuhr der Kult um Franz Joseph anlässlich seines 50jährigen Thronjubiläums 1898. Bei den Feierlichkeiten zehn Jahre später huldigten Vertreter deutscher Fürstenhäuser unter Führung von Wilhelm II. dem österreichisch-ungarischen Monarchen. Entsprechend bediente Franz Joseph auch seine sozialen und politischen Netzwerke. So führten ihn frühe Reisen nicht nur zu Bündnispartnern, er wurde auch häufig von anderen Herrschern besucht bzw. zu einigen, wie etwa Umberto I., Edward VII. oder Karol I. von Rumänien pflegte er enge Kontakte.

Das erklärte Ziel der Autoren, nämlich die private Seite des fast 68 Jahre regierenden Monarchen zu beleuchten, gelingt etwa durch die verstärkte Behandlung des sozialen Beziehungsgeflechtes. Hier stehen vor allem die Schicksalsschläge, Tragödien und Liebschaften (Kap. 9 und 10) im Fokus. So wird die bisher der breiten Öffentlichkeit weniger bekannte Beziehung zu Anna Nahowski eingehend beschrieben. Wenig Raum werden den letzten Lebensjahren eingeräumt, die Ereignisse in Sarajewo, die Julikrise und gegenseitigen Kriegserklärungen und ersten Auseinandersetzungen 1914 werden kurz und sehr gerafft abgehandelt (Kap. 12). Hingegen erfährt der Leser einiges über den Gesundheitszustand des über 85jährigen, der während des Ersten Weltkrieges kaum mehr an die Öffentlichkeit trat und keine Audienzen abhielt, wenig jedoch über seinen "Kriegsalltag". Den Abschluss bildet die Schilderung des letzten Lebenstages des zum ersten Beamten des Reiches stilisierten Monarchen (der sich auch selbst so sah), der nach einem Arbeitstag in Wien verstarb.

Das Leben Franz Josephs ist von politischen Niederlagen, militärischen und privaten Rückschlägen gekennzeichnet, welche die Autoren durch gezielte Schwerpunktsetzung entsprechend würdigen. Einige wichtige Aspekte wie etwa die Nationalitätenkonflikte kommen dabei zu kurz, und die Chance einer Dekonstruktion des Mythos - in der Einleitung angedeutet - wird nicht wahrgenommen.

Abschließend wäre ein resümierendes Kapitel oder Bilanz über diesen Monarchen, den Bled als "Herrscher, den keine besonderen Gaben auszeichneten" [3] beschrieb, wünschenswert gewesen. Insgesamt ist den beiden Autoren jedoch eine sehr umfangreiche, sehr gut lesbare, kurzweilige Biografie gelungen, die für ein breiteres Publikum als Einführung geeignet ist.


Anmerkungen:

[1] Michaela und Karl Vocelka: Sisi. Leben und Legende einer Kaiserin, München 2014.

[2] http://www.franzjoseph2016.at/?gclid=CJ_XufGHsM8CFWYq0wod6g0Iyg

[3] Jean-Paul Bled: Franz Joseph. Der letzte Monarch der alten Schule, Wien 1988, 564.

Rezension über:

Michaela Vocelka / Karl Vocelka: Franz Joseph I. Kaiser von Österreich und König von Ungarn, München: C.H.Beck 2015, 458 S., 13 Farb-, 28 s/w-Abb., ISBN 978-3-406-68286-5, EUR 26,95

Rezension von:
Nicole-Melanie Goll
Institut für Geschichte, Karl-Franzens-Universität, Graz
Empfohlene Zitierweise:
Nicole-Melanie Goll: Rezension von: Michaela Vocelka / Karl Vocelka: Franz Joseph I. Kaiser von Österreich und König von Ungarn, München: C.H.Beck 2015, in: sehepunkte 16 (2016), Nr. 10 [15.10.2016], URL: https://www.sehepunkte.de/2016/10/27366.html


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