sehepunkte 18 (2018), Nr. 6

Agnieszka Pufelska: Der bessere Nachbar?

Die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts war für Polen-Litauen durchaus dramatisch: So fallen in diese Zeit die drei Teilungen von 1772, 1793 und 1795, mit denen der Unionsstaat für lange Zeit als staatliche Entität von der politischen Landkarte Europas getilgt wurde. Parallel zu den Prozessen, die zu den Teilungen führten, fanden allerdings in der Öffentlichkeit des Unionsstaats auch rege, von aufklärerischem Gedankengut inspirierte Diskurse statt. Sie zielten u.a. auf eine Reformierung des Staatsverbandes, um ihn im Verhältnis zu seinen Nachbarn zu stärken. Diese Bemühungen erwiesen sich letztlich als erfolglos, wie die Aufteilung Polen-Litauens zwischen Preußen, Österreich und Russland zeigte. Die Teilungen wie auch die Entwicklungen, die zu ihnen führten, wurden in der Fachwissenschaft über lange Zeit nicht als ein zentrales Ereignis der europäischen Geschichte wahrgenommen. In der preußisch-deutschen sowie in der polnischen Historiografie wurden sie unter sich wandelnden politischen Vorzeichen und staatlichen Rahmenbedingungen über lange Zeit kontrovers diskutiert: Der positiven Bewertung Friedrichs II. und seiner Politik, der Rechtfertigung preußischer Staatsraison und der Betonung von Aufbauleistungen in den durch die Teilungen erworbenen Gebieten standen ein von der polnischen Historiografie entworfenes, negatives Bild preußisch-deutscher Politik und insbesondere die Stilisierung Friedrichs II. als eines Vertreters des "deutschen Drangs nach Osten" par excellence gegenüber. Ein Ergebnis dieser Betrachtungsweisen deutsch-polnischer Beziehungsgeschichte war eine Reduktion, die der Vielschichtigkeit und Verwobenheit der deutsch-polnischen bzw. preußisch-polnischen Beziehungen keineswegs gerecht werden konnte. Im Zuge der methodischen Differenzierungen in den nationalen Historiografien und den stark veränderten Rahmenbedingungen, unter denen ihre Vertreterinnen und Vertreter mittlerweile arbeiten können, ist diese, vor allem an politischer Ereignisgeschichte ausgerichtete Sicht sukzessive einer Neubewertung unterzogen und vor allem durch neue, kulturwissenschaftlich inspirierte Ansätze aufgebrochen worden.

In diese allgemeinen, hier nur sehr knapp zu skizzierenden Entwicklungen der letzten Jahre schreibt sich die Arbeit von Agnieszka Pufelska ein, mit der die Verfasserin 2014 am Historischen Institut der Universität Potsdam habilitiert worden ist. Ihr zentrales Anliegen ist es, das komplexe Wechselverhältnis zwischen der preußischen Monarchie und Polen-Litauen eingehender zu beleuchten. Zu diesem Zweck möchte sie die Wahrnehmung Preußens und seiner Herrscher - hier vor allem Friedrichs II. - während der Herrschaft des letzten Königs Stanisław II. August Poniatowski rekonstruieren, um den Bildern von Preußen und seinem König auf die Spur zu kommen, die in der zeitgenössischen polnischen Gesellschaft existierten und die auf die wechselseitigen Kontakte und die Handlungen der polnischen Protagonisten in Kultur und Politik zurückwirkten: "Die vergessenen bzw. vernachlässigten Interferenzen des Kulturellen mit dem Poltischen stehen im Mittelpunkt der Untersuchung." (9)

Im ersten Teil ihrer Untersuchung analysiert Pufelska die spezifischen politischen Rahmenbedingungen, innerhalb derer es zu preußisch-polnischen Kontakten kommen konnte, und skizziert knapp, welche Rolle insbesondere die Politik Russlands in diesem Kontext spielte. Der auf russischen Rückhalt zählende Stanisław August Poniatowski wird von der Verfasserin in diesem Zusammenhang als ein König vorgestellt, der zwar die Notwendigkeit von Reformen für sein Reich erkannt habe. In seinem Bemühungen, diese in Gang zu setzen, sei er allerdings nicht nur von Kräften innerhalb seines Reiches, wie der Konföderation von Bar - einem Zusammenschluss von Kleinadligen zur Verteidigung der "Goldenen Freiheit" gegen die Modernisierungsabsichten ihres Staatsoberhauptes - behindert worden, sondern auch von Seiten des als aufgeklärt wahrgenommenen Preußen. Besondere Aufmerksamkeit widmet die Verfasserin der Rolle der preußenfreundlichen Gräfin Skórzewska, die den Preußenkönig für die Sache der Konföderierten von Bar gewinnen sollte. Die Gräfin, der Friedrich II. sehr gewogen war, glänzte ebenso auf gesellschaftlichem Parkett wie in wissenschaftlichen Debatten; nach ihrem frühen Tod 1773 wurde sie in Berlin in der noch nicht ganz fertiggestellten katholischen St. Hedwigs-Kathedrale beigesetzt.

Gesellschaftlich-kulturellen Kontakten, Wechselbeziehungen und Symbiosen geht die Autorin im zweiten Hauptteil ihrer Arbeit nach. Sie analysiert die Rolle und das Wirken des Bischofs und späteren Primas von Polen Ignacy Krasicki, der infolge der Teilungen preußischer Untertan wurde, und beleuchtet das durchaus positive Bild, welches sich die aufgeklärte Öffentlichkeit in Polen-Litauen von Friedrich II. als aufgeklärtem Monarchen gemacht hatte. In eigenen Unterkapiteln geht sie den preußisch-polnischen Wissenschaftskontakten sowie dem Echo der von Berlin ausgehenden jüdischen Aufklärung (Haskalah) unter polnischen Juden nach. Auch die politischen Ambitionen von preußenfreundlichen polnischen Magnatenfamilien, die wie die Familie Czartoryski dynastische Verbindungen zu einem Württemberger Neffen Friedrichs II. suchten, werden von Pufelska im Sinne ihrer Fragestellung untersucht und eingeordnet.

Im letzten Hauptteil ihrer Studie arbeitet Pufelska heraus, in welchem Maße selbst nach den ersten Teilungen bestimmte Gruppierungen polnischer Staatsleute ihre Hoffnung auf Reformen im verbliebenen Staatsgebiet auf Preußen und seinen König setzten und ein polnisch-preußisches Bündnis als aufgeklärtes Projekt in Abgrenzung zu Russland betrieben. Die in der polnischen Öffentlichkeit wirksamen Bilder von Preußen, die die Autorin aus den Quellen destilliert, vermögen dabei die Handlungen und Entscheidungen der Protagonisten aus ihrem Zeithorizont heraus zu erklären. Ihre Einschätzungen der politischen Lage oder der Motive der preußischen Staatsführung im konkreten Zeithorizont trafen freilich oftmals nicht zu und erwiesen sich eher als Illusionen.

In einem Ausblick zeichnet Pufelska die Veränderungen in der polnischen Wahrnehmung Preußens und seiner Könige nach und wie sich die sich ins Negative wandelnden Bilder zu negativen Stereotypen ausformten und verfestigten: Mit dem vergleichenden Blick auf Russland war Preußen nicht mehr der "bessere Nachbar", sondern es war allenfalls zum "besseren Feind" geworden. Dabei gelingt es der Verfasserin anhand verschiedener Akteure und Akteursgruppen, Bilder von Preußen und seiner Herrscher aus verschiedenen Perspektiven aus dem überlieferten Material herauszuarbeiten und zu differenzieren. Für ihre imagologischen Fragestellungen findet sie dabei eher Antworten, der ebenfalls beabsichtigte Nachweis eines konkreten Kulturtransfers gelingt dabei punktuell im Bereich des Wissenschaftsverkehrs und des Einflusses der Haskalah, was aber auch der Überlieferung geschuldet sein mag. In jedem Fall aber vermittelt Pufelska in ihrer Arbeit differenziertere Einsichten über zeitgenössische mentale Bilder über Preußen in der Öffentlichkeit Polen-Litauens, die in dieser Hinsicht unser Verständnis der Prozesse in der polnisch-litauischen Union in der Zeit der Teilungen wie auch der deutsch-polnischen Beziehungsgeschichte dieser Periode verfeinern.

Rezension über:

Agnieszka Pufelska: Der bessere Nachbar? Das polnische Preußenbild zwischen Politik und Kulturtransfer (1765-1795), Berlin: de Gruyter 2017, X + 439 S., ISBN 978-3-11-051833-7, EUR 74,95

Rezension von:
Maike Sach
Johannes a Lasco Bibliothek, Emden
Empfohlene Zitierweise:
Maike Sach: Rezension von: Agnieszka Pufelska: Der bessere Nachbar? Das polnische Preußenbild zwischen Politik und Kulturtransfer (1765-1795), Berlin: de Gruyter 2017, in: sehepunkte 18 (2018), Nr. 6 [15.06.2018], URL: https://www.sehepunkte.de/2018/06/30706.html


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