sehepunkte 18 (2018), Nr. 9

Eva Pertzel / Anna Ulrike Schütte: Schreiben in Biologie, Geschichte und Mathematik (Klasse 5/6)

Im Kontext von diversitätssensiblen Diskursen zu Unterrichtsplanung, -qualität und unterrichtlichem Handeln wird deutlich, dass Sprache und die Förderung von sprachlichen Kompetenzen im Fachunterricht an Bedeutung gewonnen haben. Sprachbildung wurde im Zuge internationaler Studien wie PISA auch in bildungspolitischen Kontexten diskutiert und schließlich als Querschnittsaufgabe für alle Fächer wahrgenommen und in den Curricula verankert. In verschiedenen Fachwissenschaften, auch in interdisziplinären Kontexten, wird zu dem Themenfeld geforscht und vermehrt entstehen auch Unterrichtsmaterialien, die konkret die sprachlichen Entwicklungspotenziale von Schülerinnen und Schülern in den Blick nehmen. Das Problembewusstsein für die Bedeutsamkeit sprachlicher Kompetenzen für den Lernerfolg im Fachunterricht scheint demnach zu steigen, jedoch scheinen viele Lehrende trotz der Anzahl von Publikationen zu dem Themenfeld weiterhin konkrete Unterrichtshinweise und beispielhafte Anwendungen zu vermissen.

Der vorliegende Praxisband von Eva Pertzel und Anna Ulrike Schütte möchte eben diesen Nachfragen entgegenkommen und konkrete Beispiele für den Ausbau von Schreibkompetenzen als Teilfertigkeit im sprachbildenden Unterricht vermitteln - aus der Praxis für die Praxis. Die Autorinnen konzentrieren sich dabei auf die Fächer Biologie, Geschichte und Mathematik. Grundlage des Bandes war eine Umfrage im Jahr 2014 unter Lehrkräften ebenso wie unter Schülerinnen und Schülern zur Bedeutsamkeit von Schreibkompetenz, die zu der oben konstatierten Erkenntnis kam, dass das Gewicht von Schriftlichkeit für Lernerfolge zwar von Lehrenden erkannt wird, jedoch konkrete Materialien mit beispielhaften Aufgaben noch nicht ausreichend zur Verfügung zu stehen scheinen. Diese Lücke wollen die Autorinnen mit ihrem Werk schließen.

In den naturwissenschaftlichen Fächern sowie im Fach Mathematik gibt es bereits eine Vielzahl von Forschungsergebnissen und ein breites Angebot an sprachsensiblen Lehr- und Lernmaterialien. Aus diesem Grund und im Kontext dieser geschichtswissenschaftlichen Plattform soll sich die vorliegende Rezension auf die methodische Einleitung und die Perspektive auf den Geschichtsunterricht konzentrieren.

Methodisch greifen Pertzel und Schütte im gesamten Band vor allem auf das Konzept des Scaffolding zurück und beschreiben in einem Methodenkapitel die Grundprinzipien anhand von Beispielen. Das Prinzip des Scaffolding unterstützt Lernende bei der Realisierung verschiedener Sprachhandlungen auf dem Kontinuum zwischen Alltags-, Bildungs- und Fachsprache. Dabei wird den Lernenden ein Unterstützungsgerüst ("Scaffold") angeboten, das ihnen an verschiedenen Punkten im Lernprozess zur Verfügung gestellt wird, um die jeweiligen Unterrichtsziele zu erreichen. Dieses Gerüst wird mit dem Erlangen weiterer Kompetenzen nach und nach abgebaut, um die Lernenden langfristig zur eigenständigen Bewältigung der Aufgaben zu befähigen. Die Autorinnen zeigen das methodische Vorgehen detailliert anhand von konkreten Arbeitsaufgaben, wie beispielsweise der Beschreibung eines Schaubildes. Allerdings wäre neben einer reinen deskriptiven Schilderung der Klassifizierung nach Gibbons (2002) und Kniffka (2010) in Makro- und Mikro-Scaffolding ein Blick auf die Herangehensweise der bilingualen Sachfachdidaktik in Input- und Output-Scaffolding gewinnbringend. [1] Beide Kategorien umfassen sowohl sprachlich-diskursive, grafisch-visuelle Verfahren sowie unterrichtsmethodische Hilfestellungen. [2]

Ein weiteres Theoriekapitel (18-20) widmet sich den Diskursfunktionen (hier kognitiv-sprachliche Grundfunktionen genannt) denen eine Schlüsselrolle im sprachbildenden Unterricht zukommt. Die Autorinnen betonen die zentrale Stellung der Diskursfunktionen als Ansatzpunkt zum Ausbau der Schreibkompetenz, zeigen aber in dem erklärenden Kapitel wenig konkrete Maßnahmen für das unterrichtliche Handeln. Außerdem werden zwei Makrofunktionen (Aushandeln von Prozessen und Simulieren / Modellieren) nicht genannt. [3]

Auf den Praxisseiten zeigen die Autorinnen an konkreten Lernaufgaben, wie mithilfe von Sprach- und Schreibhandlungen Wissen verarbeitet, neu aufbereitet und vertieft werden kann und so sowohl fachinhaltlichen als auch sprachlichen Kompetenzausbau ermöglicht. Spannend und hilfreich erweist sich dabei besonders der Rückgriff auf authentische Schülertexte, die die Praxisorientierung noch einmal verdeutlichen. Ein wichtiger Hinweis, der möglicherweise aufgrund des Umfangs und der Ausrichtung der Publikation nicht explizit aufgegriffen wird, wäre ein Verweis auf die Förderung der Lesekompetenz. Lesen und Schreiben bedingen sich gegenseitig. Die Vermittlung und Ausbildung der beiden Teilfertigkeiten sollte also im Gleichschritt aufeinander abgestimmt und nicht isoliert erfolgen. So können Schülerinnen und Schüler beispielsweise lernen, sprachliche Mittel wie Formulierungen und Konnektoren in einem Text zu erkennen und dann selbstständig im eigenen Textprodukt anzuwenden.

Im Literaturverzeichnis sind überwiegend Überblicksdarstellungen sowie Publikationen zu sprachsensiblem Mathematikunterricht zu finden. Eine Erweiterung des Verzeichnisses um aktuelle Veröffentlichungen im Bereich der Geschichtsdidaktik wäre wünschenswert.

Eva Pertzel und Anna Ulrike Schütte verschaffen mit dieser Veröffentlichung einen guten Einblick in sprachbildende Unterrichtsprinzipien mit vielen hilfreichen, konkreten und praxisnahen Beispielen und bieten damit wichtige Bausteine für die aktuelle Diskussion um Möglichkeiten der Verzahnung von fachlichem und sprachlichem Lernen.


Anmerkungen:

[1] Pauline Gibbons: Scaffolding Language, Scaffolding Learning: Teaching Second Language Learners in the Mainstream Classroom, Portsmouth 2002, NH; Gabriele Kniffka: Scaffolding, 2010, https://www.uni-due.de/imperia/md/content/prodaz/scaffolding.pdf (zuletzt aufgerufen am 29.08.2018).

[2] Maik Böing: Comment aborder l'enseignement bilingue? Bilinguale Unterrichtsvorhaben planen und durchführen, in: Der fremdsprachliche Unterricht Französisch 45 (2011), Nr. 110, 2-8.

[3] Helmut Johannes Vollmer: Schulsprachliche Kompetenzen. Zentrale Diskursfunktionen, 2011, http://www.home.uni-osnabrueck.de/hvollmer/VollmerDF-Kurzdefinitionen.pdf (zuletzt aufgerufen am 29.08.2018).

Rezension über:

Eva Pertzel / Anna Ulrike Schütte: Schreiben in Biologie, Geschichte und Mathematik (Klasse 5/6). Schriftlichkeit im sprachsensiblen Fachunterricht (= Beiträge zur Schulentwicklung | Praxis), Münster: Waxmann 2016, 124 S., zahlr. s/w-Abb, zahlr. Tabl., ISBN 978-3-8309-3487-5, EUR 24,90

Rezension von:
Katharina Grannemann
Institut für Soziologie, Westfälische Wilhelms-Universität, Münster
Empfohlene Zitierweise:
Katharina Grannemann: Rezension von: Eva Pertzel / Anna Ulrike Schütte: Schreiben in Biologie, Geschichte und Mathematik (Klasse 5/6). Schriftlichkeit im sprachsensiblen Fachunterricht, Münster: Waxmann 2016, in: sehepunkte 18 (2018), Nr. 9 [15.09.2018], URL: https://www.sehepunkte.de/2018/09/31019.html


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