Geschenktipps (nicht nur) zu Weihnachten

Annette Tietenberg, Braunschweig


Anselm Franke / Tom Holert (Hgg.): Neolithische Kindheit. Kunst in der falschen Gegenwart, ca. 1930, Berlin 2018.
Gemeinsamer Ausgangspunkt der Beiträge aus Kunst, Kunstgeschichte, Archäologie, Psychologie und Ethnologie, die in der Anthologie versammelt sind, ist Carl Einsteins Aufsatz "Neolithische Kindheit" aus dem Jahr 1930. Den Kern bildet ein Glossar, das Carl Einsteins Vokabular reflektiert und die damit verbundenen Begriffe wie Autonomie, Formalismus, Funktion, Geste, Halluzination, Metamorphose, Primitivismen, Totalität historisch verortet. Der Band ist mehr experimenteller Aufbruch als retrospektive Selbstvergewisserung. Er legt Fährten aus und versteht sich als wagemutiger Versuch, eine "Funktionsgeschichte der Weltkunst" zu denken, die keiner Chronologie, keiner Zentren bedarf und sich von Festschreibungen wie Ursprung und Herkunft verabschiedet hat.

Peter von Matt: Sieben Küsse. Glück und Unglück in der Literatur, München 2017.
"Weil die Literatur immer konkret ist", schreibt der Germanist Peter von Matt, "denkt sie nicht in Begriffen, sondern in Szenen." Sieben Kuss-Szenen, die dem Verlauf der jeweiligen Erzählung eine entscheidende Wendung geben, geht Peter von Matt in seinem Buch nach. So stellt er Clarissa vor, der Virginia Woolf in ihrem Roman "Mrs. Dalloway" das Glück gönnte, noch 30 Jahre später von jenem Kuss zu zehren, den sie einst von ihrer Freundin Sally empfangen hat. Oder er erinnert daran, dass "Der arme Spielmann" von Franz Grillparzer durch die Verlockungen der Musik zur begehrten Frau geführt wurde, die er schließlich küsste - wenn auch nur ein einziges Mal und leider nur durch die Glasscheibe einer verschlossenen Tür. Glücks- und Unglückserfahrungen, die aus dem Reich des Imaginären aufsteigen, finden ihren Widerhall in Kunst, Politik und Theologie.

Iris Därmann / Thomas Macho (Hgg.): Unter die Haut. Tätowierungen als Logo- und Piktogramme, Paderborn 2017.
In seiner 1771 veröffentlichten "Voyage autour du monde" fühlte sich Louis-Antoine de Bougainville angesichts der tahitianischen Tätowierungen an die Pikten, die tätowierten Einwohner Britanniens, erinnert, von denen Caesar in "De Bello Gallico" berichtet hatte. Die europäische Begegnung mit Tätowierungen in der Südsee wurde so zu einer Wiederentdeckung vergessener antiker Markierungspraktiken - und zum Ausgangspunkt für die koloniale Unterwerfung von Körpern und Kontinenten. Die im Band versammelten Beiträge interpretieren Tätowierungen als kulturell changierende Zeichen identitätsstiftender Zugehörigkeit, als Indiz für Stigmatisierung und Selbst-Stigmatisierung, vor allem aber als Signale, die Aufschluss geben über Besitz- und Machtverhältnisse, die sich am Körper und unter der Haut zeigen.

Andreas Zeising: Radio Kunstgeschichte. Bildende Kunst und Kunstvermittlung im frühen Rundfunk der 1920er und 1930er Jahre, Köln / Weimar / Wien 2018.
Die Geschichte des frühen Rundfunks ist auch eine Geschichte der Popularisierung der Kunstgeschichte. Neben das tradierte Format des kunsthistorischen Vortrags traten populärwissenschaftliche Formen der Kunstvermittlung, die statt des Sehsinns den Hörsinn adressierten. "Mit den Ohren sehen", lautete die Devise. Andreas Zeising widmet sich einer bislang marginalisierten Medienpraxis der Kunstgeschichte, indem er der bildungspolitischen Dimension, der Ausrichtung der Rundfunkbeiräte und den Strategien der Protagonisten der 1920er und 1930er Jahre nachgeht, darunter Paul Westheim, Helmut Jaro Jaretzki, William Wauer und Hugo Landgraf. Bereits 1932 schlugen die Ideen von Teilhabe und Volkserziehung in eine völkische Ideologie um.

Joulian Voloj / Thomas Campi: Joe Shuster. Vater der Superhelden, Hamburg 2018.
Dem Autor Julian Volojs fielen vor einigen Jahren Briefe des ehemaligen Comiczeichners Joe Shuster in die Hände, in denen dieser seine alten Freunde um Geld anbettelt. Diese Dokumente bilden die Grundlage für Volojs hervorragend recherchierte Comic-Biografie. Erzählt wird die Geschichte eines dreisten Diebstahls. Shuster hatte in den 1930er Jahren gemeinsam mit seinem Freund Jerry Siegel die Figur "Superman" erfunden, einem Verlag jedoch sämtliche Rechte daran für sage und schreibe 130 Dollar abgetreten. In Campis Zeichnungen begegnet uns der Vater von Superman nun selbst als eine Kunstfigur, die den Gemälden von David Hopper entlehnt zu sein scheint: ein grauhaariger, gebeugter und einsamer Mann, der keinen Cent in der Tasche hat, hadert mit den Bedingungen der Kulturindustrie.