sehepunkte 19 (2019), Nr. 2

Maxi Schreiber: Altägyptische Architektur und ihre Rezeption in der Moderne

Eine Rezeptionsgeschichte der antik-ägyptischen Architektur für die deutschsprachige Modernediskussion nachzuzeichnen, so lautet der Anspruch dieses vorliegenden Buches, welches auf einer an der FU Berlin angenommenen Dissertationsschrift basiert. Gerade für das Bauhausjahr 2019 könnte die Erinnerung an die historischen (und historistischen) Kontexte der Moderne eine willkommene Bereicherung sein, denn, so die Autorin Maxi Schreiber weiter, es sei die radikale Offenheit der Moderne, welche eine Neubewertung außereuropäischer Architektur (und neben der pharaonischen antiken kommt auch immer wieder die islamische Monumentalarchitektur Ägyptens zur Sprache) jenseits motivischer Anleihen und stilhistorischer Einordnungen des 19. Jahrhunderts ermögliche.

Doch worin besteht diese Neubewertung? Wenn man der Autorin folgt, dann suchten (und fanden) die modernen Architekten, Kunsthistoriker, Theoretiker und Kritiker des frühen 20. Jahrhunderts in den altägyptischen Bauten eine Monumentalität mit einfachen Volumina, eine Flächenhaftigkeit, eine reduzierte Formensprache und nicht zuletzt eine Klarheit im Umgang mit Material und Landschaft, die ihnen Parallelen zu einer in Entwicklung begriffenen Industrie-Moderne eröffnete, und die anstelle der Reize des Oriental-Exotischen in die direkte Stilanleihe des 19. Jahrhunderts trete.

Dabei beruft sich Schreiber auf Ansätze zur Ägyptenrezeption der Moderne bei Dieter Bartetzko und Wolfgang Pehnt [1], um die dort getroffenen pauschalen Behauptungen einer genaueren Untersuchung zuzuführen. Entsprechend verweist Schreiber für den Untersuchungszeitraum 1900 bis 1933 auf verschiedene Rezeptionsebenen: auf eine überblicksartige Geschichte moderner Architektur (Kapitel I) folgt eine Diskussion der kunsthistorischen gegenüber einer architekturtheoretischen Rezeption (Kapitel II.1 und II.2), eine in den Architekturzeitschriften und Reiseberichten (Kapitel II.3 und II.4), und schließlich eine Rezeption in der "Praxis", welche sie anhand von sieben Fallbeispielen diskutiert (Kapitel III). Auf Basis dieser verschiedenen Ebenen vermag Schreiber eindrücklich zu demonstrieren, dass die altägyptische Architektur als Figur im Modernediskurs unterschiedliche Funktionen einnahm: sei es als Ausdruck absoluter Abstraktion (Wilhelm Worringer), als abzulehnende "Darbietung" der Architektur an Stelle eines organhaften Bauens (Hugo Häring), oder als monumentale Dauerhaftigkeit für Staatsaufträge und Nationaldenkmäler (Paul Bonatz, Wilhelm Kreis).

Schreiber verspricht eine Analyse der "architektonischen Mittel" dieser Ägyptenrezeption in der Moderne, doch ist die Untersuchung am stärksten, wo sie primär mittels textlicher Grundlagen argumentiert, also auf die kunsthistorischen und architekturtheoretischen Quellen referiert sowie den Ägypten-Diskurs in den Architekturzeitschriften nachzeichnet. Hier gelingt es Schreiber auch oft übersehene Beiträge von Autorinnen für eine Neubewertung ägyptischer Architektur in der Moderne hervorzuheben, wie beispielsweise die Reiseberichte von Johanna Schütz-Wolff von 1929. Doch gerade bei der Analyse der Entwürfe und Bauten in Teil III zeigen sich die Schwächen dieses rezeptionshistorischen Ansatzes jenseits stilistischer und motivischer Anleihen und verbleiben im Ungefähren von Abstraktion und Monumentalität.

Zudem erscheint die Abgrenzung nicht so klar, wie in der Einleitung skizziert: so gehen die Beiträge zur Ägyptenrezeption in der Nachkriegszeit bei Sigfried Giedion und Louis I. Kahn weit über den Untersuchungszeitraum bis 1933 hinaus, ebenso wie die gewählten Praxisbeispiele zur Brooklyn Public Library von Alfred M. Githens und Francis Keally (1937-1941) und zu den Skizzen und Bauten Kahns den anfangs eng gesetzten deutschsprachigen Rahmen sprengen. Umgekehrt scheint das kurze Unterkapitel zur Vorgeschichte der Ägyptenrezeption vor 1900 mit der sogenannten "Revolutionsarchitektur" um 1800, die Nachwirkungen von Napoleons Ägyptenexpedition auf das Empire und der Hinweis auf den deutschsprachigen Synagogenbau mit "orientalischen" Motiven im Historismus bestenfalls bruchstückhaft und reduziert sich auf die Wiedergabe der Forschung anderer. [2]

Um dieser Erzählung einer Rezeptionsgeschichte des Altägyptischen in der deutschsprachigen Moderne zu folgen, erweisen sich die von Schreiber getroffenen Einteilungen zudem als hinderlich, da Autoren in unterschiedlichen Rollen an verschiedenen Stellen auftauchen (wie beispielsweise Leo Adler im Kapitel II.2 zur Architekturtheorie und dann wieder in Kapitel II.3 als Autor in den Architekturzeitschriften, oder Werner Hegemann in Kapitel II.3 als Autor in den Architekturzeitschriften, um dann wieder in II.4 als Beispiel für die Reiseberichte zu reüssieren). Als Konsequenz bricht die Erzählung immer wieder ab, um an anderer Stelle wieder aufgenommen zu werden, was die Folge der Ereignisse verschleiert und zu Wiederholungen im Text führt. Zudem relativiert Schreibers Wahl für eine nicht-chronologische Struktur gerade einen nicht zu unterschätzenden Aspekt der Rezeptionsgeschichte - nämlich parallel stattfindende Ereignisse und ihre Wechselwirkung mit Diskurs und Praxis der Architektur. Die Entdeckung des nahezu vollständigen Grabes des Pharao Tutanchamun im "Tal der Könige" im Jahr 1922, um ein prominentes Beispiel herauszugreifen, löste eine anhaltende "Ägyptomanie" in westlichen Gesellschaften aus, die sich rasch auch im deutschsprachigen Raum auswirkte, sodass man beinahe von einem "vorher" und "nachher" sprechen müsste. Doch durch die Einteilung in verschiedene Ebenen (oder Genres) der Rezeption findet sich der Leser ständig gezwungen, zeitlich hin und her zu springen. Man muss kaum darauf hinweisen, wie gerade für die Debatte der Moderne Positionen um 1900 vor einem völlig anderen historischen und diskursiven Kontext geführt werden, als in den späten 1920er-Jahren der Weimarer Republik, sogar selbst dann, wenn es sich um dieselben Autoren handeln sollte.

Gerade vor dem Hintergrund einer kaum auf nationale Grenzen Rücksicht nehmenden Modernedebatte in der Architektur scheint die Beschränkung auf deutschsprachige Quellen dem Thema nicht gerecht zu werden. Die von Frankreich ausgehende Mode des Art Déco nach der gleichnamigen Ausstellung in Paris von 1925 (Exposition internationale des Arts Décoratifs et industriels modernes) mit ihren zahlreichen Anspielungen auf altägyptische Motive und Referenzen, um ein anderes berühmtes Beispiel anzuführen, wurde von Zeitgenossen aufmerksam als eine Parallele (und Alternative) zur deutschsprachigen Moderne wahrgenommen. Umso erstaunlicher, dass Art Déco nur kurz in der Einleitung (11) und dann erst wieder im Hinblick auf die Brooklyn Public Library von Githens & Keally (320) Erwähnung findet, ohne aber weiter vertieft zu werden.

Wie Schreiber selbst festhält, fand parallel zu den Architekturkreisen in den bildenden Künsten eine intensive Rezeption altägyptischer Vorbilder statt, sowohl in der theoretischen Auseinandersetzung als auch in der künstlerischen Praxis. Obwohl die Berührung zwischen moderner Kunst und Architektur im Untersuchungszeitraum 1900-1933 sehr zahlreich und direkt war, klammert Schreiber diese wichtige Wechselwirkung mit kurzem Verweis auf andere kunsthistorische Untersuchungen von ihrer Betrachtung völlig aus. Von dem neuen Leitmedium der Moderne - dem Kino - ganz zu schweigen. Anders gesagt, eine Geschichte zur Rezeption altägyptischer Kunst und Architektur für eine breit verstandene Moderne als ein eng verwobener internationaler Diskurs europäischer und (post)kolonialer Autorinnen, Genres, Foren und Kontexte steht noch aus.

Doch selbst für eine eng verstandene Rezeptionsgeschichte altägyptischer Einflüsse im Medium der Architektur bleiben auch nach Lektüre des Buches Fragen offen: gerade die Interpretation der Bauten und Projekte Kahns (Teil III) jenseits der eindeutig zuzuordnenden Zeichnungen seiner Ägyptenreise 1951 bleibt unklar. Wie genau lässt sich ein "Einfluss" auf die monumental moderne Architektursprache Kahns nachweisen oder auch nur zur Diskussion stellen, wie beispielweise beim von Schreiber abgebildeten Salk Institute for Biological Studies in La Jolla, Kalifornien (1959-1965)? Die Autorin geht offensiv mit dieser Lücke um, indem sie Architekten und Architekturhistoriker auffordert, jenseits der Grenzen ihrer eigenen kunsthistorischen Arbeit an einer Rezeptionsgeschichte im Werk der Architekten zu forschen - was die Methodenfrage einer Rezeptionsgeschichte in der Architektur der Moderne nochmals deutlich in Erinnerung ruft. Schreibers "Altägyptische Architektur" wirft relevante Fragen auf, auf die sie nur zum Teil die Antworten bieten kann.


Anmerkungen:

[1] Dieter Bartetzko: Zwischen Zucht und Ekstase. Zur Theatralik von NS-Architektur, Berlin 1985; Dieter Bartetzko: Illusion in Stein. Stimmungsarchitektur im Faschismus. Ihre Vorgeschichte in Theater- und Film-Bauten, Reineck 1985; Dieter Bartetzko: Illusion in Stein. Stimmungsarchitektur im Faschismus, überarbeitete und wesentlich erweiterte Neuauflage, Berlin 2012; Wolfgang Pehnt: Altes Ägypten und neues Bauen. Der Einfluß der Pharaonenkunst auf die Moderne, in: ders.: Die Erfindung der Geschichte. Aufsätze und Gespräche zur Architektur unseres Jahrhunderts, München 1989, 68-86.

[2] Harold Hammer-Schenk: Suche nach Identität - Emanzipation durch Architektur. Synagogen im 19. Jahrhundert, in: Ernst Baltrusch / Uwe Puschner (Hgg.): Jüdische Lebenswelten. Von der Antike bis zur Gegenwart (= Zivilisation und Geschichte; Bd. 40), Frankfurt am Main 2016, 175-210.

Rezension über:

Maxi Schreiber: Altägyptische Architektur und ihre Rezeption in der Moderne. Architektur in Deutschland 1900-1933, Berlin: Gebr. Mann Verlag 2018, 408 S., 39 Farb-, 116 s/w-Abb., ISBN 978-3-7861-2787-1, EUR 69,00

Rezension von:
Ole W. Fischer
University of Utah, Salt Lake City, UT
Empfohlene Zitierweise:
Ole W. Fischer: Rezension von: Maxi Schreiber: Altägyptische Architektur und ihre Rezeption in der Moderne. Architektur in Deutschland 1900-1933, Berlin: Gebr. Mann Verlag 2018, in: sehepunkte 19 (2019), Nr. 2 [15.02.2019], URL: https://www.sehepunkte.de/2019/02/32753.html


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