sehepunkte 21 (2021), Nr. 3

Rezension: Zwei Werke von Martin Geck über Beethoven

Martin Geck, der im November 2019 im Alter von 83 Jahren verstarb, zählte zu den erfolgreichsten Autoren von musikwissenschaftlich gründlich fundierten Sachbüchern. Im Zentrum seiner Arbeiten standen - neben Publikationen für Kinder und Jugendliche oder auch über Matthias Claudius - vor allem Komponisten-Monographien zu Johann Sebastian Bach, die Bach-Söhne, zu Mozart, Beethoven, Wagner, Mendelssohn oder Schumann bis hin zu Mahler. Diese Arbeiten bestechen durch eine unmittelbar ansprechende, durchaus elegante stilistische Umsicht, eine abwägende, oft originelle Argumentation, durch einen stupenden Kenntnisreichtum, über den er wie selbstverständlich verfügte, und durch eine Zuverlässigkeit der Informationen, wie sie in solchen Arbeiten nur selten zu finden ist. Zurecht wurde Geck 2018 mit dem Preis der Leipziger Buchmesse in der Kategorie Sachbuch ausgezeichnet.

Diese Eigenschaften zeichnen auch seine beiden hier zu besprechenden, eng aufeinander zu beziehenden Bücher zu Beethoven aus, die, offensichtlich in Vorbereitung des Beethoven-Jahres 2020 konzipiert, zu seinen letzten Arbeiten zählen (deren Erscheinen er nicht mehr erlebte). Sie führen freilich über die Komponisten-Monographien hinaus und scheinen für Geck auch dazu gedient zu haben, neue Themenfelder zu erkunden: Das Buch So sah die Welt Beethoven. Momentaufnahmen in Wort und Bild aus zweieinhalb Jahrhunderten widmet sich anregend und perspektivenreich der Beethoven-Rezeption, das Buch Beethoven hören. Wenn Geistesblitze geheiligte Formen zertrümmern thematisiert auf der Folie Beethovenscher Werke (vor allem die Klaviersonate op. 31 Nr. 2, die 3., 5., 7. 8. und 9. Symphonie, die späten Streichquartette) grundsätzliche musikästhetische Fragen, soweit sie das Hören und Erleben von Musik berühren. Beiden Büchern gibt Geck ungewöhnliche Formen. Im Rezeptionsbuch reiht er in weitgehend chronologischer Folge knappe Beethoven-Zeugnisse von nicht weniger als 78 Autoren mit Zitaten, Notenbeispielen oder Bildern, die er immer gleich anschließend prägnant kommentiert. Die Auswahl der Autoren, zu denen Komponisten, Dichter, Musiktheoretiker und -historiker, Politiker, Interpreten oder Philosophen ebenso zählen wie Zeitzeugen, wirkt freilich nur auf den ersten Blick erschöpfend. Geck stützt sich eben doch eher auf die bekannten Namen, die zu ihrer Zeit jedoch oft genug nicht die Bedeutung besaßen, die sie gegenwärtig gewonnen haben. Aber einen Eindruck von der ebenso intensiven wie extensiven Beethoven-Rezeption in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens vermittelt seine Übersicht allemal.

Freilich wird jedoch auch erkennbar, dass Geck auf Rezeptionszeugnisse abhebt, die er dann in seinem Buch über das Hören Beethovenscher Musik teilweise aufgreift und in einen enger auf die Musik bezogenen Kontext rückt: etwa solche von E.T.A. Hoffmann, August Halm, Ludwig Wittgenstein, Alfred Brendel, Carson McCullers, Susan McClary oder Aldous Huxely. In dieser Publikation, zu der auch Peter Schleuning (mit dem Geck überdies ein gleichfalls abgedrucktes Gespräch führte) ein Kapitel beisteuerte, geht es weniger um eine Anleitung zum "richtigen" Hören bestimmter Werke, als vielmehr um eine Aufforderung und Ermutigung des Hörers, grundsätzlich das eigene persönliche Erlebnis der Musik unbefangen, historisch-ästhetisch gewissermaßen selbstbewusst "fortzuspinnen" und "weiterzudenken". Das führt Geck zu einer engagiert vorgetragenen Kritik an der in der Musikwissenschaft dominierenden Formanalyse, die nach seiner Meinung die Erfahrungen des radikal Individuellen, Besonderen der Werke und Werkkonzeptionen geradezu systematisch einklammert und nivelliert: Sie überhöre alles formanalytisch schwer zu Fassende, konzentriere sich geradezu besessen auf das Rekonstruieren einer lückenlosen immanenten Logik der musikalischen Prozesse, um darüber das "mythische", nicht ausrechenbare Moment von Musik, ihr "Unverfügbares" zu verdrängen und zu vergessen. Und dieses "Unverfügbare" in den Werken, das Überschreiten von traditionellen Form-Grenzen als "Epiphanie", identifiziert Geck mit Christian Friedrich Daniel Schubart als Beethovens "Ichheit", die dieser in seiner Musik vor allem als Leiderfahrung "heraustreibe" (14f.) und die der Hörer für sich zu erleben und mit seiner Lebenswelt zu konfrontieren habe.

So sehr sich Geck bemüht, mit seinen Anregungen eine "Brücke zwischen Wissenschaftlern und Liebhabern" (8) zu schlagen, und den Liebhaber ermutigt, dem eigenen Eindruck zu trauen, so wenig vermag sein engagiertes Plädoyer ganz zu überzeugen. Tendenziell reduziert er Musik als "Stimulus" jeweils persönlicher Gefühle des Hörers, die mehr oder weniger zufällig oder beliebig an die jeweilige Musik anschließen. Charakteristischerweise wird keine Instanz erkennbar, die etwa begründet, ob durch ungewöhnliche thematische Ereignisse eine traditionelle Form zum Beispiel "aufgelöst" oder erst "erkennbar" gemacht wird. Zudem lässt sein Erlebnis-Begriff offen, ob die erklingende Musik oder die stumme Lektüre des Notentextes gemeint ist. Seine Argumente entwickelt Geck (entgegen seiner nicht ganz unbegründeten Kritik an "staubtrockener" Analyse) jedenfalls über einer "stummen" Analyse des Notentextes, überhaupt nicht über das Erlebnis erklingender Musik, die immer auch an die jeweilige Interpretation (Aufführung) eines Werkes gebunden bleibt, die Geck gänzlich außeracht lässt. Geck misstraute der nüchternen Analyse als einer regulativ-kritischen Instanz des Hörens, doch wäre sie durch das nachdrückliche musikalische Erleben, für das Geck plädierte, wohl zu ergänzen, keinesfalls jedoch abzulösen.

Rezension über:

Martin Geck: So sah die Welt Beethoven. Momentaufnahmen in Wort und Bild aus zweieinhalb Jahrhunderten, Hildesheim: Olms 2020, 176 S., zahlr. s/w-Abb., ISBN 978-3-487-08626-2, EUR 19,80

Martin Geck: Beethoven hören. Wenn Geistesblitze geheiligte Formen zertrümmern, Stuttgart: Reclam 2020, 184 S., 22 Notenbeigaben, ISBN 978-3-15-011252-6, EUR 18,00

Rezension von:
Giselher Schubert
Hameln
Empfohlene Zitierweise:
Giselher Schubert: Zwei Werke von Martin Geck über Beethoven (Rezension), in: sehepunkte 21 (2021), Nr. 3 [15.03.2021], URL: https://www.sehepunkte.de/2021/03/34407.html


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