Rezension über:

David Hollander / Timothy Howe (eds.): A Companion to Ancient Agriculture (= Blackwell Companions to the Ancient World), Hoboken, NJ: Wiley-Blackwell 2021, XVIII + 717 S., zahlr. s/w-Abb., zahlr. Kt., ISBN 978-1-118-97092-8, USD 210,00
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Rezension von:
Werner Tietz
Historisches Institut, Universität zu Köln
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Haake
Empfohlene Zitierweise:
Werner Tietz: Rezension von: David Hollander / Timothy Howe (eds.): A Companion to Ancient Agriculture, Hoboken, NJ: Wiley-Blackwell 2021, in: sehepunkte 21 (2021), Nr. 9 [15.09.2021], URL: https://www.sehepunkte.de
/2021/09/35393.html


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David Hollander / Timothy Howe (eds.): A Companion to Ancient Agriculture

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Die antiken Gesellschaften waren landwirtschaftlich geprägt, sowohl in ihren ökonomischen als auch in ihren sozialen, kulturellen und religiösen Strukturen. Der Erforschung der antiken Landwirtschaft kommt daher eine zentrale Rolle für ihre Erklärung zu. Diese ist außerdem ein Aspekte der antiken Welt, zu dem archäologische Forschungen und dabei insbesondere die innovativen und immer feineren Untersuchungsmethoden der Naturwissenschaften in den vergangenen Jahrzehnten neue Datenmengen in ungeheurem Umfang geliefert haben. Darüber hinaus ist seitens der Philologie erkannt worden, dass es sich bei den früher als 'trockene Fachliteratur' wahrgenommenen Agrarschriftstellern von Cato bis Palladius um ernstzunehmende Literatur handelt, die entsprechend interpretiert werden sollte. [1]

Der Bedarf nach Übersicht und Aktualisierung in diesem zunehmend disparaten Feld der Altertumswissenschaften ist also groß, und dies zumal angesichts der großen regionalen Unterschiede in der archäologischen Erforschung. Tatsächlich bietet der hier vorzustellende Companion, abgefasst in 30 englischsprachigen, weitgehend unverbundenen Einzelkapiteln, [2] in vielerlei Hinsicht genau diese. Der Begriff der 'Ancient Agriculture' wird dabei sehr weit definiert und erfasst die gesamte vormittelalterliche Epoche des Mittelmeerraumes einschließlich einiger Vergleichsbeiträge zum Alten Indien und China.

In der mit nicht einmal drei Seiten sehr kurzen Einleitung verdeutlichen die beiden Herausgeber Struktur und Ziele des Bandes. Letztere liegen hiernach darin, einen Einstieg in das so vielfältige Forschungsfeld der antiken Landwirtschaft zu bieten, und zwar vorrangig von der Materialebene her. Teil 1 stellt freilich zunächst auf großteils naturwissenschaftlicher Basis die wesentlichen Tier- und Pflanzenarten vor, welche in der antiken Landwirtschaft genutzt wurden. In bestechend exakter Weise wird hier der neueste Stand der Forschung ebenso dargestellt wie auf Probleme und Grenzen von dessen Interpretation aufmerksam gemacht (Beiträge 2-4.6). Eine Ausnahme bildet der kataloghafte, nahezu rein auf der unkritischen Wiedergabe literarischer Quellen aufgebaute Beitrag 5 zu den Nutzpflanzen.

Teil 2 behandelt in nur einem Beitrag (7) die Neolithisierung des Nahen Ostens. In sehr übersichtlicher Weise wird vorgeführt, wie sehr ältere, umfassende Erklärungen für diesen Prozess (insbesondere die 'Oasentheorie') durch regional begründete Modelle ins Wanken gebracht und mittlerweile abgelöst wurden. Schon vor der Bronzezeit lässt sich ein überregionaler Austausch landwirtschaftlicher Güter beobachten.

Mit Teil 3 beginnen die regional gegliederten Abschnitte des Bandes. Erfasst werden die Regionen des Mittelmeeraumes sowie einige Anrainerregionen. Die Beiträge der Teile 3, 4 und 5 sind nach den entsprechenden Vorgaben der Herausgeber unterteilt und berücksichtigen für ihre Region die Aspekte Geografie, Klima, Siedlungsgeschichte, Anbaupflanzen, Nutztiere sowie technische, kulturelle, ökonomische und politische Aspekte in unterschiedlicher Intensität. Die gründlich zusammengestellten Artikel variieren im Detail materialbedingt sehr stark und es ist hier nicht der Ort, jeden einzelnen vorzustellen. Insbesondere betrifft dies die zahlreichen Beiträge, deren Stärke in der Präsentation wichtiger archäologischer Befunde liegt, die für das Verständnis der jeweiligen Region ausschlaggebend sind. Einige seien aber hervorgehoben.

Beitrag 17 beschäftigt sich mit Transformationsprozessen der Landwirtschaft Anatoliens in Hellenismus und Kaiserzeit und zeigt eine in dieser Zeit stetig zunehmende Intensivierung des Landbaus auf. Besonders wesentlich aber sind die beschriebenen Beobachtungen zur Anpassung existierender Modelle des Wirtschaftens an die regionalen Unterschiede in Topografie und Klima. Ganz unterschiedlich getroffene Entscheidungen, etwa für dauerhafte oder saisonal errichtete Gebäude oder Siedlungsformen wie Gehöfte oder Dörfer lassen erkennen, wie flexibel die Landwirtschaft in dieser Region betrieben wurde. [3]

Im Zentrum zahlreicher Forschungen steht auch seit langem die landwirtschaftliche Entwicklung Italiens in Republik und Kaiserzeit, besprochen in den Beiträgen 20 und 21. Das vor allem durch die literarische Tradition bedingte Bild eines stetigen Niedergangs des italischen Bauerntums ist durch archäologische und naturwissenschaftliche Forschungen seit einiger Zeit dem einer florierenden Landwirtschaft im Großen wie im Kleinen gewichen. Diese Beständigkeit war auch eine Folge von stetigem Fortschritt im landwirtschaftlichen Wissen, insbesondere der immer besser geplanten Verzahnung von Ackerbau und Nutztierhaltung. Technische Neuerungen hatten hingegen keinen großen Einfluss auf die Gesamtproduktivität. Rom wurde als Markt auch jenseits von Latium immer wichtiger und je weiter die entsprechenden Farmen entfernt lagen, desto mehr konzentrierten sie sich auf hochpreisige Produkte, um von den hohen Transportkosten unabhängiger zu sein.

Die Herausgeber lassen ihren Band mit einer faszinierenden 'Conclusion' (651-655) aus der Feder von P. Riney-Kehrberg (Beitrag 31) schließen, die als Agrarhistorikerin mit dem modernen Nordamerika befasst ist. Sie bietet keine Zusammenfassung, sondern eine Handvoll Fragen, die aus heutiger Sicht an die antiken Quellen zu stellen wären. Diese betreffen etwa das Verhältnis der Menschen zu ihren Tieren oder die machtpolitische Komponente von Landwirtschaft.

Daran schließt sich ein Index (657-717) an, dessen Gründlichkeit den fehlenden Zusammenhang der Einzelbeiträge teilweise wettmacht.

Das eingangs formulierte Zeil der Herausgeber, weiterführende Einstiegslektüre in das so vielfältige und von so vielen methodisch wie quellenkundlich sehr unterschiedlichen Wissenschaftsdisziplinen untersuchte Feld der antiken Landwirtschaft zu sein, erreicht der Band zweifellos. Die materialreichen, kundigen Beiträge richten sich an den Bedürfnisse eines nur wenig informierten Publikums. Problematisch ist in dieser Hinsicht lediglich Beitrag 4, der zum vollkommenen Verständnis gewisse naturwissenschaftliche Kenntnisse voraussetzt. Alle Beiträge sind nicht nur mit eigenen Bibliografien, sondern auch mit ausformulierten Hinweisen zum 'further reading' ausgestattet. Viele Beiträge (2. 8-11. 15. 19-21. 25-26. 30) weisen ferner einen Abschnitt zu künftigen Forschungen auf.

Die hauptsächliche Schwäche des Bandes wird auch von den Herausgebern selbst benannt (2): Nach den systematischen Teilen I und II führt die regionale Gliederung der Teile III und IV unweigerlich nicht nur zu zahlreichen Wiederholungen desselben Sachverhalts innerhalb der Spezialkapitel, sondern verhindert vor allem, dass ein Überblick über zahlreiche wichtige strukturelle Aspekte der antiken Landwirtschaft entsteht. Zur Entwicklung von Nutzpflanzen und -tieren liefert zwar Teil 1 einen Überblick, doch das Innovationspotenzial der antiken Landwirtschaft findet sich ebenso nur vereinzelt und knapp angesprochen wie der Einfluss der Besitzverhältnisse auf die Wirtschaftsform und die Integration der ländlichen Betriebe in ihr naturräumliches und siedlungsgeografisches Umfeld. Fragen von großer Bedeutung wie etwa die des Klimadeterminismus, des rationalen Wirtschaftens, der Integration von 'Stadt' und 'Land' hätten einen systematischen Teil verdient. Die entsprechenden Indexeinträge gehören längsten, und entsprechende Forschungen haben die beiden Herausgeber nach deren Angaben maßgeblich zu diesem Band inspiriert (1-2). Dieser Schwäche abzuhelfen, würde aber wohl einen eigenen, historisch-analytisch ausgerichteten Sammelband erfordern.

Der hier vorgestellte, sehr umfangreiche Band wird seinen wohlverdienten Platz in Forschung und Lehre finden. Seine besonderen Stärken liegen in der strukturierten Erschließung des relevanten archäologischen Materials und dem Überblick über die aktuelle wie auch die frühere Forschung.


Anmerkung:

[1] Silke Diederich: Römische Agrarhandbücher zwischen Fachwissenschaft, Literatur und Ideologie, Berlin 2007; M. Horster / Chr. Reitz (Hgg.): Antike Fachschriftsteller. Literarischer Diskurs und sozialer Kontext, Stuttgart 2003.

[2] Für das Inhaltverzeichnis siehe https://onlinelibrary.wiley.com/doi/pdf/10.1002/9781118970959.fmatter auf der Website des Verlags.

[3] Ergänzend siehe Ulf Hailer: Einzelgehöfte im Bergland von Yavu (Zentrallykien) I. II, Bonn 2008; Aysun Şanlı-Erler: Bauern in der Polis. Ländliche Siedlungen und agrarische Wirtschaftsform im zentrallykischen Yavu-Bergland, Bonn 2006; Christof Schuler: Chora. L&#

Werner Tietz