Rezension über:

Maria Sorokina: Les sphères, les astres et les théologiens. L'influence céleste entre science et foi dans les commentaires des Sentences (v. 1220 - v. 1340). Tome I + II (= Studia Sententiarum; Vol. 5), Turnhout: Brepols 2021, 2 vols, xxvi + 1306 S., ISBN 978-2-503-59086-8, EUR 120,00
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Rezension von:
Agostino Paravicini Bagliani
Società Internazionale per lo Studio del Medioevo Latino (SISMEL), Florenz
Redaktionelle Betreuung:
Ralf Lützelschwab
Empfohlene Zitierweise:
Agostino Paravicini Bagliani: Rezension von: Maria Sorokina: Les sphères, les astres et les théologiens. L'influence céleste entre science et foi dans les commentaires des Sentences (v. 1220 - v. 1340). Tome I + II, Turnhout: Brepols 2021, in: sehepunkte 22 (2022), Nr. 7/8 [15.07.2022], URL: https://www.sehepunkte.de
/2022/07/36280.html


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Maria Sorokina: Les sphères, les astres et les théologiens

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Dies soll gleich zu Beginn gesagt werden: Maria Sorokinas Werk, das sich über zwei Bände erstreckt, ist ein opus magnum, dank des Umfangs des analysierten Textcorpus, der Originalität der Fragestellung und der historiographischen Bedeutung ihrer Untersuchung der Theorie des himmlischen Einflusses als eines der grundlegenden Postulate der westlichen mittelalterlichen Wissenschaft.

Das Textcorpus, das Maria Sorokina einer profunden Analyse unterzieht, besteht aus den Kommentaren zu den Sentenzen (1155-1157) von Petrus Lombardus, einem Werk, in welchem der Pariser Theologe die Argumentationen der Kirchenväter zu einem großen Themenkomplex zusammenfasste, darunter auch die supralunare Welt. Die Sentenzen bestehen aus vier Büchern, von denen jedes in Distinktionen unterteilt ist. Der himmlische Einfluss wird in zwei Distinktionen des Buches II und in drei Distinktionen des Buches IV zum Thema einiger Quaestionen. Die Kommentatoren zu den Sentenzen behandelten sowohl die von Petrus Lombardus angesprochenen Themen als auch neue Fragen, darunter die der himmlischen Kausalität. In den Jahren 1220-1227 lehrte Alexander von Hales in Paris über das Werk von Petrus Lombardus. In den 1240er Jahren folgten, in Paris, die Kommentare des Franziskaners Rigaud und des Dominikaners Alberts des Großen, und in Oxford der Kommentar des Dominikaners Richard Fishacre. Bis zum Beginn des 14. Jahrhunderts war der Kommentar zu den Sentenzen ein bevorzugtes Genre der Theologen. Aufgrund ihres Umfangs und obwohl sie in ihrem Aufbau und in der Auswahl der behandelten Probleme nicht absolut identisch sind, bieten die Kommentare zu den Sentenzen die Möglichkeit einer wirklich systematischen Untersuchung der Theorie des himmlischen Einflusses. Das Corpus ist groß genug, um die Variationen und Veränderungen dieser Theorien über einen langen Zeitraum hinweg wiederzugeben.

Während Steven Liveseys biografische Datenbank 893 Namen für die Kommentatoren der Sentenzen enthält, hat Maria Sorokina ihr Corpus auf etwa 50 Autoren beschränkt, von denen einige zwei oder drei Kommentare verfasst haben. Einige davon - u.a. Annibaldo Annibaldi, Bonaventura, Durandus von Saint-Pourçain, Egidius Romanus, Henricus von Gent, Hugo de Novocastro, Johannes Baconthorpe, Johannes Duns Scotus, Landolfo Caracciolo, Petrus de Palude, Richard Fishacre, Richardus de Mediavilla, Thomas von Aquin (im Anhang des zweiten Bandes finden sich notices bio-bibliographiques zu den einzelnen Sentenzen-Kommentatoren) - nehmen einen wichtigen Platz ein. Diese Texte, die Maria Sorokina zum großen Teil aufgrund der handschriftlichen Überlieferung untersucht, sind in den Jahren zwischen 1220 und 1330 entstanden, wobei sich das Enddatum 1330 aus der Tatsache heraus erklärt, dass in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts Nicole Oresme und Heinrich von Langenstein einen echten Wendepunkt in der Geschichte der Polemik gegen Astrologen einleiteten. Das Genre der Sentenzenkommentare erfuhr damals erhebliche Veränderungen, die das Studium der himmlischen Kausalität erschwerten.

Die Originalität von Maria Sorokinas Werk besteht darin, dass ihre Studie zum ersten Mal eine umfassende Untersuchung der Sentenzenkommentare sowohl zum "gewöhnlichen" als auch zum "außergewöhnlichen" himmlischen Einfluss vorlegt, wobei letzterer den empyreischen Himmel meint, d. h. die letzte Himmelssphäre, die unsichtbar, unbeweglich und den Astronomen unbekannt ist. Es handelt sich um den "theologischen" Himmel, der die Seligen nach dem Jüngsten Gericht beherbergt und sich im Gegensatz zu den "normalen" Himmelskörpern in Ruhe befindet und zwar ein Licht hat, aber keine Strahlen aussendet.

Der "gewöhnliche" himmlische Einfluss, den die Kommentatoren in den Distinctionen 14-15 des Zweiten Buches zu beschreiben versuchen, indem sie die doppelte Rolle der höheren Körper, die der Ursachen und die der Zeichen, ausführlich darstellen, wird in den ersten beiden Teilen analysiert. Der erste Teil widmet sich der Einbeziehung der Himmelskörper in das System der Ursachen, der Aufzählung und Klassifizierung ihrer Wirkungen und den Grenzen ihrer Macht. Im zweiten Teil geht es darum, die These zu beweisen, dass die Gestirne bestimmte Ereignisse bezeichnen können, deren Ursache sie sind; daher auch die Polemik gegen die Astrologen, die die Interpretation der Himmelszeichen zu weit treiben.

Der Einfluss des Empyreumhimmels, der in der zweiten Distinktion von Buch II diskutiert wird, ist Gegenstand von Teil III. Teil IV widmet sich der Frage, was mit den Himmelskörpern am Ende der Zeit geschieht, wenn sich die supralunare Welt angeblich radikal verändern wird. Sonnen- und Mondfinsternisse sowie ein Sternenfall werden als Vorboten der Auferstehung aller Menschen und der Ankunft Christi dienen. Während des Jüngsten Gerichts werden die Himmelskörper stillstehen und ein Licht ausstrahlen, das um ein Vielfaches heller ist als das heutige Licht. Die natürliche Umgebung soll durch die Ankunft der Endzeit und die Entstehung einer neuen, postapokalyptischen Welt erschüttert werden.

Der "theologische" Himmel ist also der Aufenthaltsort der Seligen. Auf den ersten Blick mit Eigenschaften ausgestattet, die der natürlichen Ordnung widersprechen, wird dieser "atypische" Himmel nach den Regeln der aristotelischen Naturphilosophie beschrieben. Die Theologie - und hier kommen wir zur hohen Bedeutung der Analysen Maria Sorokinas - passt sich also der Wissenschaft an, aber mit der Absicht, sie zu erneuern. Die gesamte Reflexion über den Einfluss des Empyreums ist ein Beweis für die fortschreitende Integration dieses Himmels in die "normale" Kosmologie, wobei drei Stufen erkennbar sind.

Der Einfluss des Empyreums lässt zunächst Zweifel aufkommen. In ihren Kommentaren zu den Sentenzen leugnen Albertus Magnus und Thomas von Aquin, dass dieser Himmel Wirkungen hervorbringt, während Bonaventura einräumt, dass das Empyreum auf die niederen Körper einwirken kann, aber betont, dass dies keine erwiesene Tatsache ist. Spätere Kommentatoren erkennen fast einhellig an, dass es für das Empyreum besser ist, einen Einfluss als keinen zu haben. Sowohl Albertus Magnus als auch Thomas ändern ihre Ansichten zu diesem Punkt in ihren Werken nach ihrem Kommentar zu den Sentenzen. Albert beschränkt den Einfluss des Empyreums auf die supralunare Welt, während Thomas meint, dass der Einfluss in der irdischen Welt ausgeübt wird.

In der zweiten Hälfte des 13. und in den ersten Jahrzehnten des 14. Jahrhunderts entwickelte sich eine dritte Phase. Es gibt Ausnahmen (Petrus Areoli), aber im Großen und Ganzen wird der Gedanke bekräftigt, dass das Empyreum hinsichtlich der Möglichkeit, einen Einfluss auszuüben, keiner Ausnahme unterworfen werden darf. Indem sie sich mit natürlichen Fragen im Zusammenhang mit theologischen Realitäten befasst, "entdeckt die Wissenschaft ein neues Territorium" und kann sich frei entfalten. Aber auch die Theologie ihrerseits passte sich an die Wissenschaft an, indem sie diese erneuerte: durch die Einbeziehung des "atypischen" Himmels wird die Theorie des himmlischen Einflusses in der Tat tiefgreifend verändert und zu einem Schlüssel für das Verständnis der Innovation der mittelalterlichen Wissenschaft.

Die von Maria Sorokina auch in sprachlicher Hinsicht überzeugend präsentierte exemplarische Befragung des komplexen Textcorpus der Sentenzenkommentare leistet somit einen grundlegenden, bisher unbeachteten, Beitrag zum Verständnis der im 13. und 14. Jahrhundert von Innovation geprägten Wechselbeziehungen zwischen Theologie und Wissenschaft, und bereitet so den Weg, über weitere wissenschaftliche Entwicklungen nachzudenken.

Agostino Paravicini Bagliani