Rezension über:

Christine Kleinjung (Hg.): Religiöse Frauengemeinschaften am südlichen Oberrhein (= Oberrheinische Studien; Bd. 43), Ostfildern: Thorbecke 2021, 253 S., 9 Farb-, 4 s/w-Abb., ISBN 978-3-7995-7842-4, EUR 34,00
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Rezension von:
Sabine von Heusinger
Historisches Institut, Universität zu Köln
Redaktionelle Betreuung:
Étienne Doublier
Empfohlene Zitierweise:
Sabine von Heusinger: Rezension von: Christine Kleinjung (Hg.): Religiöse Frauengemeinschaften am südlichen Oberrhein, Ostfildern: Thorbecke 2021, in: sehepunkte 22 (2022), Nr. 9 [15.09.2022], URL: https://www.sehepunkte.de
/2022/09/36434.html


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Christine Kleinjung (Hg.): Religiöse Frauengemeinschaften am südlichen Oberrhein

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Der vorliegende Sammelband hat seinen Ausgangspunkt in einer Tagung, die 2017 im ehemaligen Chorherrenstift Waldkirch stattfand. Diese Ursprünge prägen den Band: Vier der elf Beiträge behandeln Waldkirch. Jürgen Dendorfer beschäftigte sich mit eben diesem Benediktinerinnenkloster, das vor 926 von Herzog Burchard I. von Schwaben gegründeten und im Jahr 1431 in ein Kollegiatstift umgewandelt wurde. Nach dem Tod der letzten Äbtissin Agathe von Üsenberg und im Schatten des Basler Konzils konnten 1431 sechs Kanoniker investiert werden, was diesen eine deutliche ökonomische Verbesserung brachte. Dendorfer betont zu Recht, dass für eine abschließende Deutung, warum das Frauenkloster aufgehoben wurde, erst noch weitere Forschung erfolgen muss (46).

Einen Vergleich der Klöster Waldkirch und Säckingen stellen drei Beiträge an. Christine Kleinjung nimmt eine Typisierung vor: Säckingen war ein Kanonissenstift mit eigenen Statuten; "Waldkirch erscheint als typische Mischform [...] mit nomineller Befolgung der Benediktregel und de facto stiftischer Verfassung". (28) Das Amt des Vogtes steht bei Clemens Regenbogen im Zentrum und dank des klug gewählten Vergleichs kann er auch zwei unterschiedliche Modelle zeigen, wie eine Vogtei über ein Frauenkloster ausgeübt werden kann. Dabei geht es dem Autor nicht nur um traditionell verfassungsgeschichtliche Aspekte, sondern er integriert auch kulturgeschichtliche Fragestellungen, etwa zur Bedeutung familiärer Netzwerke. Das Amt des Meiers bei der Verwaltung der Dinghöfe untersucht Andre Gutmann: Der Meier konnte die Äbtissin komplett vertreten (so Säckingen) oder nur stark begrenzte Aufgaben ausführen (so Waldkirch). Ebenfalls im Schwarzwald lag die Benediktinerabtei St. Blasien. Auf eine Forschungslücke macht der Beitrag von Johannes Waldschütz aufmerksam in Bezug auf bisher übersehene "kleine" Frauenkommunitäten, die im Umfeld von St. Blasien entstanden waren. Er zeigt eindrucksvoll an drei Beispielen die wechselnden institutionellen und spirituellen Anbindungen von Frauengemeinschaften im Laufe der Jahrhunderte.

Drei Beiträge behandeln Zisterzienserinnenklöster, die zur Vaterabtei Tennenbach gehörten. Maria Magdalena Rückert beschäftigte sich mit der wirtschaftlichen Kontrolle durch Abt und Mönche von Frauenzisterzen und kann die Handlungsspielräume der Frauen beim Wirtschaften zeigen, "die eben nicht alles den [vom Abt] bestellten männlichen Amtsträgern überließen". (140) Helen Strotz wählte die Herren von Üsenberg, um am Beispiel der Zisterze Wonnental die Funktion von Stiftern zu untersuchen. Wonnental als Fallbeispiel wird auch in dem sehr grundlegenden Beitrag von Milena Svec Goetschi behandelt. Für ihr Oberthema Klosterflucht und Klosterwechsel analysierte sie zudem das Stift Säckingen und die Benediktinerinnenabtei in Ottmarsheim, die oft das Ziel religiöser Frauen bei einem Klosterwechsel im Südwesten war.

Kritisch anmerken muss ich, dass der Titel des Sammelbandes leider in die Irre führt: Denn weder zählt die Abtei Hermetschwil (westlich von Zürich), das Damenstift St. Stephan in Augsburg noch das Dominikanerkloster Marienthal im württembergischen Steinheim an der Murr zur Region "südlicher Oberrhein", wie der Titel suggeriert. Dies ist keineswegs als Kritik an den genannten Beiträgen gemeint, denn der Ansatz, für den Vergleich geeignete Gemeinschaften heranzuziehen, bringt neue Befunde. Christine Kleinjung sagt selbst, dass der Band "südwestdeutschen, schweizerischen und elsässischen Frauengemeinschaften" gilt (13). So zeigt am Beispiel von Hermetschwil Bettina Schöller, wie die Benediktinerinnen jahrhundertelang versuchten, vom Kloster Muri unabhängig zu werden. Ob die angeblichen Missstände, die im Kontext der Reformation reflexartig gegenüber den Frauen erhoben wurden, "durchaus einen wahren Kern haben konnte(n)" (75), wie die Autorin zu bedenken gibt, müsste allerdings mit weiteren aussagekräftigeren Quellen belegt werden. Agnes Schormann untersuchte Geschlechterverhältnisse am Beispiel Augsburger Stiftsdamen im Austausch mit Männern, die auf verschiedenen Statusebenen und in unterschiedlichen religiösen und familiären Kontexten im Alltag aufeinandertrafen. Dies konnten Geistliche wie der Priester sein, der am Altar zelebrierte, aber auch weltliche Amtleute oder Diener und natürlich männliche Verwandte. Der einzige Beitrag des Sammelbandes, der sich mit einem Bettelorden, hier den Dominikanerinnen, beschäftigte, stammt von Tabea Scheible. Sie erforschte ebenfalls die Interaktion zwischen Männern, hier Beichtväter, und den Nonnen in den beiden württembergischen Klöstern in Steinheim und Weiler bei Esslingen in Bezug auf die "cura monialium". Dafür wertete sie ein Rechnungsbuch aus Marienthal und das sogenannte 'Tagebuch' der Nonnen von Steinheim aus. Beide Quellen zeigen, dass die Ordensgeistlichen nur unregelmäßig in den Frauenklöstern anwesend waren.

Bei der Erstellung des Registers muss einiges schiefgelaufen sein: Stichproben auf Seite 178 zeigen, dass Graf Rudolf II. von Habsburg und Graf Arnold (IV.) von Baden im Register fehlen, auf Seite 183 wurden Herzog Leopold I. von Österreich und Steiermark ebenso wie die Äbtissin Margaretha von Grünenberg nicht aufgenommen. Dieser Befund gilt auch für andere Beiträge.

Zwar fehlt dem Sammelband eine Zusammenfassung, aber Christine Kleinjung benennt bereits in ihrer Einführung weiterhin bestehende Forschungslücken in Bezug auf religiöse Frauengemeinschaften, z.B. zum Gerichts- oder Pfarreiwesen, und für den Südwesten ganz besonders für Frauenstifte. Sie bemängelt auch zu Recht, dass in vielen lokalgeschichtlichen Studien bis heute längst überholte Topoi über Frauengemeinschaften wie "Krise, Pest, Verfall und weibliche Schwäche" (13) immer noch wiederholt werden. Viel ertragreicher ist es, Interessensgruppen und Machtverhältnisse sowie die Geschlechterverhältnisse im Umfeld der religiösen Gemeinschaften zu untersuchen, wie dies im vorliegenden Band geschieht. Insgesamt bietet er einen weiteren wichtigen Beitrag zu religiösen Frauengemeinschaften im Südwesten des Reiches mit aktuellen Forschungsbeiträgen.

Sabine von Heusinger