Rezension über:

Emily Joan Ward: Royal Childhood and Child Kingship. Boy Kings in England, Scotland, France and Germany, c. 1050-1262 (= Cambridge Studies in Medieval Life and Thought. Fourth Series; 120), Cambridge: Cambridge University Press 2022, XVI + 333 S., 8 s/w-Abb., ISBN 978-1-1088-3837-5, GBP 90,00
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Rezension von:
Clara Harder
Historisches Institut, Universität zu Köln
Redaktionelle Betreuung:
Étienne Doublier
Empfohlene Zitierweise:
Clara Harder: Rezension von: Emily Joan Ward: Royal Childhood and Child Kingship. Boy Kings in England, Scotland, France and Germany, c. 1050-1262, Cambridge: Cambridge University Press 2022, in: sehepunkte 23 (2023), Nr. 3 [15.03.2023], URL: https://www.sehepunkte.de
/2023/03/37041.html


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Emily Joan Ward: Royal Childhood and Child Kingship

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Sicherlich gibt es keinen Mangel an Arbeiten zum hochmittelalterlichen Königtum. Umso erstaunlicher scheint es, dass Emily Ward ausgerechnet an dieser Stelle einen blinden Fleck der Mediävistik ausgemacht hat: das Kind als König. Die vorliegende Monographie beruht auf Wards 2018 an der Universität Cambridge abgeschlossenen Dissertation und ist eine vergleichende Untersuchung des Königtums Minderjähriger zwischen dem mittleren 11. und 13. Jahrhundert in England, Schottland, Frankreich und dem römisch-deutschen Reich. Ihr ist es ein Anliegen, Vorstellungen zu überwinden, nach denen ein minderjähriger König mit einer Schwächung der Herrschaft assoziiert und als passives Objekt in den Händen Dritter interpretiert wird. Stattdessen arbeitet sie nuanciert die Bedeutung des Kindes als integraler Bestandteil der Königsherrschaft vor, während und nach der eigenen Herrschaftsübernahme heraus und präsentiert das (königliche) Kind als eigenständigen politischen Akteur.

Obwohl Wards Untersuchung in vielerlei Hinsicht der grundlegenden Studie von Offergeld zum Königtum Minderjähriger im Frühmittelalter [1] verpflichtet ist, so sind beide Arbeiten kaum vergleichbar. Während Offergeld seine Fallbeispiele detailliert in chronologischer Reihenfolge aufbereitet hat, wählt Ward einen systematischen Zugang zu ihrem Thema - eine Entscheidung, die aus Sicht der Leser der Studie nur bedingt zu begrüßen ist. Obwohl immer wieder dieselben acht Fälle aus den gleichen vier nordwesteuropäischen Königreichen als Beispiele dienen, verzichtet Ward auf eine einleitende Vorstellung der jeweiligen Konstellationen. Der relevante historische Kontext wird erst im Laufe ihrer Einzelstudien preisgegeben, aber aufgrund des systematischen Ansatzes immer nur häppchenweise, nie vollständig. Das bedeutet, dass umfangreiches Wissen über die historischen Personen, Konstellationen aber auch die jeweiligen Königreiche vorausgesetzt wird. Gelegentlich stellt man sich zudem die Frage, ob die von Ward gemachten Beobachtungen tatsächlich ursächlich mit dem Kind-Sein ihrer Protagonisten zusammenhängen, oder eher auf die jeweiligen Eigenheiten der politischen Kultur oder historischen Konstellation zurückgehen, denen die Autorin in ihrer Darstellung aber nur wenig Platz einräumt.

Ward hat ihr Thema in drei größere Bereiche gegliedert. Zunächst widmet sie sich einer Bestandsaufnahme von Konzepten und Modellen von Kindheit und Königsherrschaft (31-81), die zum Teil historisch, zum Teil religiös fundiert sind, um Vorbilder zu identifizieren, an denen sich hochmittelalterliche Vorstellungen ausgerichtet haben könnten. Leider wird dieser Teil kaum mit den folgenden Kapiteln verbunden, sodass seine Relevanz nicht ganz einleuchtet. Interessanter sind die folgenden zwei Teile über die Kindheit als Zeit der Vorbereitung für die Thronübernahme (83-167) und das Kind als König (169-274).

Veränderungen in diesen Bereichen stellt Ward eher über Zeit als zwischen den einzelnen Königreichen fest, denen sie eine relative Gleichförmigkeit im Umgang mit dem königlichen Kind attestiert. Im Vergleich zum Frühmittelalter sei es aufgrund einer relativen Stabilität des politischen Systems und der Institution des Königtums im Hochmittelalter zu keiner grundsätzlichen Infragestellung der Herrschaft eines Kindes mehr gekommen. Qualitative Veränderungen erkennt Ward vor allem am Ende ihres Untersuchungszeitraums, dem beginnenden 13. Jahrhundert. Dies betrifft nicht nur rechtliche Erwägungen, z.B. hinsichtlich der Rolle der Ratgeber des jungen Königs (224-228), sondern auch soziale Praktiken wie die Schwertleite (251-258) oder Repräsentationsmittel wie Siegel (258-274). In Bezug auf die beiden letzteren kann Ward darlegen, dass ihre Anwendung für Kind-Könige im 11. und 12. Jahrhundert noch im Einklang mit denen anderer adliger Familien stand, zu Beginn des 13. Jahrhunderts jedoch begann, von der allgemeinen Entwicklung abzuweichen.

Es liegt in der Natur der Sache, dass viele von Wards Überlegungen nicht nur um das Kind, sondern auch um die Königin und andere Personen kreisen, die an der Königsherrschaft von Kindern partizipierten bzw. diese ermöglichten. Im Zentrum ihrer Auseinandersetzung steht dabei oft die Terminologie - der Quellen und der Forschung gleichermaßen. Wards Bemühen, sich eng an das in den zeitgenössischen Quellen verwendete Vokabular der Quellen zu halten, um Anachronismen zu vermeiden, ist dabei nachvollziehbar, doch sind ihre Schlussfolgerungen nicht immer überzeugend. So werden wohl insbesondere ihre Ausführungen zum rechtlichen Kontext der Herrschaft des Kindes (171-200) und den Konzepten von Regentschaft und Vormundschaft Anlass für Diskussionen bieten.

Ward zeigt die Bedeutung der Präsenz des Thronfolgers zu Lebzeiten des Vaters für die Repräsentation der Herrschaft nach außen und innen und die Bemühungen der Väter, den designierten Nachfolger in ein Netz von Getreuen einzubinden. Ihre Aufmerksamkeit für Details führt hier, wie auch an anderer Stelle, immer wieder zu interessanten Einzelergebnissen. Dem Tod des Königs widmet sie ein eigenes Kapitel und fügt darin diesem zuletzt mehrfach untersuchten Thema [2] neue Aspekte hinzu. Sie betont das regelhafte Fehlen konkreter Arrangements des sterbenden Königs für die Verwaltung des Reiches und die Übernahme einer Art von Vormundschaft für den minderjährigen Nachfolger bis ins 13. Jahrhundert. Stattdessen sei der vorgebliche Wunsch des sterbenden Königs nur nachträglich als Argument angeführt worden, wenn es zu Auseinandersetzungen um Vormundschaft oder Zugang zur königlichen Autorität gekommen sei. Die politische Bedeutung der Königin sei in späteren historiographischen Darstellungen der Ereignisse heruntergespielt und die Handlungsmacht kirchlicher und/oder weltlicher Magnaten überhöht worden. Wards Thesen beruhen, nicht nur an dieser Stelle, auf ihrem kritischen Blick für die historiographischen Quellen, deren Darstellung sie oftmals überzeugend dekonstruieren kann. Dies gilt z.B. auch für die Annahme, dass die Herrschaft eines Kindes zu einer Zunahme an Gewalt führt (230-248).

Ungeachtet der konzisen Zusammenfassung fordert das Buch zum Widerspruch heraus, und dies nicht nur inhaltlich, sondern auch methodisch. Um einen tatsächlichen Vergleich handelt es sich eher nicht, denn die Fallbeispiele wirken mehr wie eine Materialsammlung. Auch offensichtliche Unterschiede beim Übergang der Herrschaft auf das jeweilige Kind (z.B. Alter des neuen Königs, innenpolitische Ausgangslage) werden nur wenig thematisiert. Aber bereits die Einleitung ließ erkennen, dass die Verfasserin sich an nicht weniger als einer Herkulesaufgabe versucht hat: Den Konzepten Herrschaft und Kindheit im Mittelalter gleichzeitig nachzugehen, dabei vier unterschiedliche Königreiche und zweihundert Jahre abzuschreiten und das Ganze auf weniger als 300 Seiten darzustellen, ist wohl kaum zur abschließenden Zufriedenheit aller Leser zu bewältigen. Zweifellos aber hat Ward mit ihrem Buch bereits Enormes geleistet: Sie hat ihr Thema stringent herausgearbeitet, eine Fülle an Materialien gesichtet und originell aufbereitet, zahlreiche bedenkenswerte Beobachtungen zusammengetragen und diverse Anknüpfungspunkte für eine kritische Auseinandersetzung mit dem Thema geschaffen. Ihr Beitrag für die Forschung ist insofern zweifellos als gelungen zu bezeichnen.


Anmerkungen:

[1] Thilo Offergeld: Reges pueri. Das Königtum Minderjähriger im frühen Mittelalter (MGH Schriften 50), Hannover 2001.

[2] Z.B. Manuel Kamenzin: Die Tode der römisch-deutschen Könige und Kaiser (1150-1349) (Mittelalter-Forschungen 64), Ostfildern 2020; Martin Rohde / Hugo Osca Bizzarri (Hgg.): La mort du roi: réalité, littérature, représentation. Der Tod des Königs: Realität, Literatur, Repräsentation (Scrinium Friburgense 52), Wiesbaden 2021; Mike Janßen: Wie das Leben so der Tod. Sterbedarstellungen von Kaisern und Königen in der Historiographie des früheren Mittelalters (Studien zu Macht und Herrschaft 4), Göttingen 2021.

Clara Harder