Rezension über:

Christine Beier / Michaela Schuller-Juckes (Hgg.): Europäische Bild- und Buchkultur im 13. Jahrhundert, Wien: Böhlau 2020, 288 S., ISBN 978-3-205-21192-1, EUR 60,00
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Rezension von:
Susanne Rischpler
Bamberg
Redaktionelle Betreuung:
Bettina Wagner
Empfohlene Zitierweise:
Susanne Rischpler: Rezension von: Christine Beier / Michaela Schuller-Juckes (Hgg.): Europäische Bild- und Buchkultur im 13. Jahrhundert, Wien: Böhlau 2020, in: sehepunkte 23 (2023), Nr. 3 [15.03.2023], URL: https://www.sehepunkte.de
/2023/03/37964.html


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Christine Beier / Michaela Schuller-Juckes (Hgg.): Europäische Bild- und Buchkultur im 13. Jahrhundert

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Der überwiegend deutschsprachige Tagungsband basiert auf der gleichnamigen internationalen Fachtagung, die im Juni 2017 am Kunsthistorischen Institut der Universität Wien stattfand. Die beiden Organisatorinnen dieser Tagung, Christine Beier und Michaela Schuller-Juckes, besorgten nicht nur die Herausgabe des vorliegenden Bandes, sondern lieferten dazu auch jeweils einen Beitrag. Die Publikation ist der 2020 verstorbenen österreichischen Kunsthistorikerin Ulrike Jenni gewidmet.

Der Band richtet sich an all diejenigen, die an mittelalterlicher Kunst und Kulturgeschichte interessiert sind. Im Mittelpunkt stehen die Charakteristika und Entwicklungen der visuellen Kultur des 13. Jahrhunderts, wobei Beobachtungen zu Veränderungen in der Buchkultur impulsgebend waren. Dazu werden zwölf Beiträge geboten, die sich in die drei Themenblöcke "Medialität", "Transfer" und "Innovation" untergliedern. [1]

Nicht nur die Einleitung des Tagungsbandes führt konzis in die Materie ein, sondern auch seine Beschreibung im Kontext der E-Book-Publikation.

Die erste, thematisch etwas elastischer angelegte Gruppe behandelt Visualisierungsstrategien. So betrachten zwei Beiträge kunsthistorische Themen unter emotionswissenschaftlichem Blickwinkel: Paul Binski (Cambridge) nähert sich in seinem sehr ausführlichen Text dem Affekt in der gotischen Kunst, insbesondere in der Portalskulptur, auf der Basis rhetorischer Begrifflichkeiten (Übersicht 13f.), und Michael A. Michaels (London / Glasgow) Studie über die emotionalen Aufladung von Kreuzigungsdarstellungen in englischen Handschriften des 13. Jahrhunderts führt letztendlich auf den Weg zu einer Philosophie in der bildenden Kunst des Mittelalters, die sich auf Eric Newton und Erich Auerbach stützt (69-71). Michael Viktor Schwarz (Wien) untersucht Grundlagen und Rezeption des Höllenmosaiks im Baptisterium von Florenz jeweils sowohl textlich als auch stilistisch und gelangt dabei zu dem Ergebnis, dass dieses vom Zackenstil geprägte Mosaik ein "ausgelagertes Schlüsselwerk" der venezianischen Kunst ist (45f.). Das Weingartener Berthold-Sakramentar [2] und seine archaisierenden Features, welche dem Codex ein altehrwürdiges Gepräge verleihen sollten, werden von Christine Jakobi-Mirwald (Weiler im Allgäu) vorgestellt, die ihr Augenmerk auch auf die oft unberücksichtigt gelassenen Ziernähte richtet (84-89).

Im zweiten Abschnitt kommen regionale und überregionale Verbreitungswege und Vernetzungen mittelalterlicher Kunst zur Sprache. Gerade zu dieser Thematik ist die Buchmalerei besonders aufschlussreich und offenbart, wo die Impulse für bestimmte stilistische Entwicklungsrichtungen liegen. Michaela Schuller-Juckes (Wien) befasst sich in ihrem Beitrag nicht nur mit den Zusammenarbeiten von nord- und südfranzösischen, sondern auch von französischen und italienischen Illuminatoren in Handschriften aus der Zeit um 1300, wobei sie ihre Schlussfolgerungen auf der Basis von erfreulich präzisen und bis in die Vorzeichnungen hinein geführten Analysen zieht. Ebenso genau geht Katharina Hranitzky (Wien) ans Werk, die mit ihrer Untersuchung des von fremden Stilidiomen geprägten Ausstattungstyps eines aus dem oberösterreichischen Kloster Baumgartenberg stammenden Bibelcompendiums des Petrus von Poitiers [3] an ihre Diplomarbeit anknüpft und damit ein schönes Beispiel für einen sich schließenden Forschungskreis liefert. Ein weiteres hochinteressantes Zeugnis für Kollaboration und Austausch zwischen italienischen und französischen Buchmalern steuert Beatrice Alai (Florenz / Piacenza) bei, die sich mit der aus dem Besitz des Franziskaners Enrico de' Cherchi stammenden Bibel beschäftigt, genauer mit dem Evangelienteil [4] dieser insgesamt siebzehnbändigen Bibel, den sie auf einen französischen Archetypus, die Bibel des Uguccione al Santo, zurückführt. Von Evelyn Theresia Kubina (Wien) bekommt man trocken, aber doch sehr einprägsam die Charakteristika des unter Herzog Albrecht I. in Wien und Niederösterreich, insbesondere in Heiligenkreuz, gepflegten Fleuronnée-Stils vor Augen geführt. Demonstriert werden diese Eigentümlichkeiten nicht nur an Handschriften des ausgehenden 13. Jahrhunderts, sondern auch an illuminierten Urkunden der Zeit.

Der dritte Themenblock stellt Neuerungen und Adaptionen in Entwürfen und Herstellungsprozessen von Kunstwerken vor. Hier kommt noch einmal die Gattung der Skulptur zum Tragen. Dušan Buran (Bratislava) leistet mit seinen Ausführungen zu dem aus dem Zipser Dorf Vojňany (Kreig bzw. Krig) stammenden Altar-Tabernakel [5], dessen Provenienz, Technik und Programm er diskutiert, einen wertvollen Beitrag zur erstaunlicherweise noch wenig vorangeschrittenen Erforschung der reichen mitteleuropäischen Altarkunst und Holzskulptur des 13. Jahrhunderts (199). Der besonderen äußeren Hülle eines besonderen Codex widmet sich David Ganz (Zürich). Beim Bamberger Psalter [6] hat man auf Pergament gemalte Illuminationen, wie sie sonst nur im Buchinneren zu finden sind, als Schmuck für das Äußere der Handschrift verwendet und diese Außenzier durch einen Hornplatteneinband geschützt (203f.). Einleuchtend zeigt der Autor die Eigenständigkeiten dieses Einbandtyps auf, der nicht als preiswertere Imitation eines Prachteinbandes missverstanden werden darf. Gut nachvollziehbar ist die Vermutung Christine Beiers (Wien), dass Nonnen, wohl Dominikanerinnen, als Herstellerinnen illuminierter Augsburger und Regensburger Psalter anzunehmen sind. Diese Psaltergruppen gehören zu den umfangreichsten und stilistisch am besten abgrenzbaren mitteleuropäischen Handschriftenproduktionen des 13. Jahrhunderts. Sehr detailliert, wunderbar bebildert und ergänzt durch eine fünfzehnseitige Tabelle erläutert Stella Panayotova (Cambridge) buchmalerische Materialien und Techniken des 13. Jahrhunderts, wobei sie sich auf die betreffenden 50 Handschriftenbeispiele aus dem zeitlich wesentlich weiter gesteckten MINIARE-Projekt des Fitzwilliam Museums in Cambridge stützt. [7]

Fazit: In toto besticht der Tagungsband nicht nur durch seine hervorragenden Beiträge, sondern auch durch seine qualitätvolle und übersichtliche Aufmachung und die sorgfältige Redaktionsarbeit, die bis in die Fußnoten hinein geleistet wurde. Er ist durchgehend mit klug gewählten, in der Regel farbigen Abbildungen versehen, die sowohl in den Text eingefügt als auch auf dem Seitenrand positioniert wurden, wo allerdings einige Abbildungen thumbnailartig und daher für einen kunsthistorischen Band zu klein ausfallen. [8] Da der Band online zugänglich ist und durchsucht werden kann, hat man ihm kein Sach-, Personen- und Ortsregister beigegeben, doch freut sich die Nutzerschaft über das Register zu den erwähnten Handschriften und Kunstwerken (282-288).


Anmerkungen:

[1] Von den 14 Vortragenden haben zwölf zum Tagungsband beigetragen. Diese Zwölfzahl eignet sich hervorragend für eine Unterteilung in drei Blöcke à vier Beiträge. Die Beitragenden - die meisten davon Kunsthistorikerinnen und Kunsthistoriker - sind vor allem in Österreich und Großbritannien wissenschaftlich beheimatet; je eine Autorin / ein Autor stammt aus Deutschland, Italien sowie aus der Schweiz und der Slowakei.

[2] New York, Pierpont Morgan Library, MS M. 710; Volldigitalisat: URL https://www.themorgan.org/collection/berthold-sacramentary (12.12.2022).

[3] Linz, Oberösterreichische Landesbibliothek, Cod. 490, Volldigitalisat: URL https://digi.landesbibliothek.at/viewer/image/490 (12.12.2022).

[4] Firenze, Biblioteca medicea Laurenziana, Plut. 3 dex. 9.

[5] Bratislava, Slovenská národna galéria, P 131-134.

[6] Bamberg, Staatsbibliothek, Msc.Bibl.48; Volldigitalisat: URL https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:bvb:22-dtl-0000001754 (12.12.2022); virtuelle Ausstellung: URL https://www.staatsbibliothek-bamberg.de/kulturvermittlung/virtuelle-ausstellungen/der-bamberger-psalter (12.12.2022).

[7] In Bezug auf die Beobachtungen zum Umgang mit Farben ergänzt sich dieser Text bestens mit dem Beitrag von Michaela Schuller-Juckes.

[8] So sind, um nur ein Beispiel zu nennen, im Beitrag von Evelyn Theresia Kubina die Ausführungen der Autorin zu den Fleuronnée-Merkmalen Palmetten und Punktverdickungen (170f.) in der zugehörigen Abb. 12 nur schwerlich nachzuvollziehen.

Susanne Rischpler