Gerdi Maierbacher-Legl: Truhe und Schrank. Graphisch dekorierte Möbel der süddeutschen Spätrenaissance. Mit einem Vorwort von Gottfried Kerscher (= Kunstwissenschaftliche Studien; Bd. 71), München / Berlin: Deutscher Kunstverlag 1997, 271 S., ISBN 3-422-06219-X, DM 148,00
Aus: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde, 1999, S. 192-193
Rezensiert von:
Ingolf Bauer
Ausgehend von Franz Zell und seinem Buch "Bauern-Möbel aus dem Bayerischen Hochland" von 1899 und spätestens seit Torsten Gebhards Dissertation von 1936 hatte sich zur Möbelmalerei speziell Altbayerns folgende Sicht eingebürgert: ab der Mitte des 18. Jahrhunderts eine bunte und variantenreiche Bemalung, die eine Gruppierung nach Klemregionen (Inntal, Leitzachtal, Mangfall, Miesbach, Tölz usw.) und sogar einzelnen Werkstätten und Malern (Perthaler, Böheim, Bichler usw.) erlaubte, während die älteren Beispiele mit ihrem vergleichsweise düsteren Aussehen (meist schwarze Schablonenmalerei auf blankem Holz) als geschlossene und wenig variantenreiche Gruppe unter der Bezeichnung "frühe Möbel" zusammengefaßt wurden. Mit dieser Wertung hat Gerdi Maierbacher-Legl durch ihre Dissertation gründlich aufgeräumt. Anhand des überlieferten Bestands von rd. 400 Truhen und Schränken in Südostbayern zwischen Inn und Salzach konnte sie ein derart vielschichtiges Bild der Erscheinungen entwerfen, daß von nun ab die Möbelkultur des späten 16. bis frühen 18. Jahrhunderts neben der reichen Farbigkeit der späteren Möbel als ebenbürtige Leistung gewürdigt werden muß. Auch wenn das anzuzeigende Buch sich "nur" einem begrenzten Untersuchungsgebiet widmet, ist es aufgrund seiner Belegdichte, Methodik und Ergebnisse die wichtigste Veröffentlichung zum Thema Möbel der letzten Jahre, nicht nur in Bayern, sondern auch für ganz Süddeutschland.
Auf der Basis systematischer Erfassung der einzelnen Möbel nach Konstruktion, Gliederung der Vorderseite und Dekorweise - damit über die einseitige Betonung der Verzierung durch die ältere Möbelforschung hinausschreitend - konnten aus der Kombination dieser Aspekte Charakteristika abgeleitet werden. So hat sich gezeigt, daß Typologie und Konstruktion voneinander getrennt zu sehen sind, also ein bestimmter Typ nicht zwangsläufig eine bestimmte Konstruktion bedingte. Standseitentruhen und Standseitenschränke mit vorgesetzten Blenden in der Standzone machen deutlich, daß die jeweiligen Hersteller um optische Angleichung an die modernere Art der Kastentruhen und Kastenschränke mit Sockel bemüht waren. Auch zu Form und Gliederung der sichtbaren Oberflächen, m der Regel die Vorderseiten, ließen sich strukturelle Unterschiede erkennen. Zeigen die Möbel der Spätgotik in der Regel noch eine flächige Vorderwand, wirkte sich die starke Neigung der Renaissance zur Plastizität auch in der Möbelgestaltung aus, so durch Gesimse, Säulen, Nischen, Leisten, Figuren usw., d.h. die in der bisherigen Möbelliteratur allgemein praktizierte Trennung in "Stilmöbel" und "Bauernmöbel" erweist sich erneut als unhaltbar. Ein Blick auf die zahlenmäßige Verteilung im Untersuchungsgebiet erlaubt die Aussage, daß die Anzahl der Truhen die der Schränke deutlich überstieg, kann das Verhältnis bei aller Vorsicht im Hinblick auf die Zufälle der Erhaltung auf 10:1 geschätzt werden. Das Berchtesgadener Land fiel in dieser Hinsicht aber völlig aus dem Rahmen, d.h. keine Truhen, dafür viele Schränke. Diese Einsicht formuliert die Frage nach dem Warum, doch gibt es darauf noch keine Antwort. Die Dekoration war grundsätzlich ebensowenig an einen bestimmten Möbeltyp gebunden. Anhand erkennbarer Dekorationsprogramme ließ sich eine zeitliche wie räumliche Gliederung vornehmen, zum Teil bis zu Möglichkeiten der Lokalisierung von Werkstätten oder zumindest Werkstattkreisen. Dabei ergaben sich Zeitabschnitte für einzelne Modelle zwischen 26 und 42 Jahren, was nahelegt, daß es sich jeweils um die Produktionszeit eines Meisters bzw. einer Werkstatt handelte. Wir haben also auch für das 17. und frühe 18. Jahrhundert mit der prägenden Kraft einzelner Meister zu rechnen, was andererseits nicht heißt, daß jeder Schreiner eine entsprechende Wirkung ausübte. Aber anonym und nur passiver Teil einer Gemeinschaftskultur waren die Hersteller der "Bauernmöbel" nicht, auch wenn wir ihre Namen und Lebensläufe meist nicht mehr in Erfahrung bringen können. Die zeitliche Gliederung des Motivkanons ergab für die Jahrzehnte um 1600 ein Vorherrschen des Ornaments der Maureske, parallel dazu das Aufkleben von Holzschnitten. Der Verwendung von Druckgrafik, sei es als Vorlage oder in direkter Anwendung, ist ein eigenes Kapitel gewidmet, das in sehr ähnlicher Form bereits 1995 im Jahrbuch für Volkskunde abgedruckt wurde. Wolfgang Brückner, der die Dissertation angenommen hatte, wollte so die wichtige Bearbeitung des Themas zugänglich machen, galt doch aus der Sicht des späten 19. und des 20. Jahrhunderts das Aufkleben von Grafik anhand der Beispiele aus dem 19. Jahrhundert als Verfall der "Volkskunst". Der Schablonendekor erlebte im Untersuchungsgebiet seine Blüte um 1680/90. Florale Motive wie der Vasenstrauß beherrschten ab 1700 das Bild, aber auch die Architekturdarstellungen waren während der gesamten Zeit vorhanden. Die räumliche Gliederung der einzelnen Dekorationstypen zeigt, daß es je nach Modell sowohl groß- wie auch kleinräumige Ordnung gab. Daraus lernen wir, daß der Geschichte des jeweiligen Elements gezielt nachgegangen werden muß, eine Generalisierung sich verbietet.
Anhand der "Türkenmöbel", erkennbar an Architekturdarstellungen mit Stadttoren und Türmen, die zum Teil Minaretten gleichen, geht Gerdi Maierbacher-Legl der Rezeptionsgeschichte dieses Motivs in einem eigenen Kapitel nach. Franz Zell kannte den Begriff vor rd. 100 Jahren, wobei schon damals die Herkunft des Namens unklar war. Darstellung und Namensexotik beschäftigten die Phantasie und führten u.a. zur Meinung, Schreiner aus Oberbayern hätten auf Fernreisen donauabwärts türkische Architektur kennengelernt und als Vorbild genommen. Nun liegt ein ernsthafter Vorschlag zur Deutung vor. Arabeske und Maureske als wichtige profane Ornamente des 16. Jahrhunderts wurden von den Zeitgenossen "heidnisches Werk" genannt, wobei der Namensbezug zu Arabern und Mauren auf der Hand liegt. Als Heiden galten zur Zeit der Türkenkriege vor allem die Anhänger des Islam, personifiziert im Osmanischen Reich. Wurde also mit den "Türkenmöbeln" eine zeitgenössische Bezeichnung überliefert, die analog zu den Ornamenten auch bei den Architekturdarstellungen eine Beziehung zu den "Heiden" herstellte? Aufgrund der Bedeutung dieser Bearbeitung, die seit 1994 nur als Dissertationsdruck vorlag, hatte die Schriftleitung des Bayerischen Jahrbuchs für Volkskunde Gerdi Maierbacher-Legl angeboten, einen Ausschnitt zu veröffentlichen. Sie machte davon auch Gebrauch und hat im Jahrbuch 1997 einen Aufsatz mit dem Titel "Türkenmöbel" veröffentlicht. Erfreulicherweise liegt nun der Gesamttext vor, einschließlich eines umfangreichen Abbildungsteils, wofür der Autorin, dem Verlag und nicht zuletzt den Finanziers zu danken ist.
Empfohlene Zitierweise:
Ingolf Bauer: Rezension von: Gerdi Maierbacher-Legl: Truhe und Schrank. Graphisch dekorierte Möbel der süddeutschen Spätrenaissance. Mit einem Vorwort von Gottfried Kerscher, München / Berlin: Deutscher Kunstverlag 1997, in: INFORM 1 (2000), Nr. 1, URL: <http://www.sehepunkte.de/inform/reviews.php?id=346>
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