Christian von Heusinger: Die Handzeichnungssammlung. Geschichte und Bestand. Katalog zu Tafelband I. Mit einem Beitrag von Reinhold Wex (= Sammlungskataloge des Herzog Anton Ulrich-Museums; 3), Braunschweig: Limbach 1997, 391 S., ISBN 3-922279-39-2, DM 190,00
Aus: Braunschweigisches Jahrbuch für Landesgeschichte (Bd. 80 (1999), S. 289 - 290)
Rezensiert von:
Christof Römer
Nachdem das Herzog Anton Ulrich-Museum 1992 einen "Tafelband I. Von der Gotik bis zum Manierismus" zur Handzeichnungssammlung des Museums publiziert hatte, folgte 1997 ein Werk über "Geschichte und Bestand" dieser Sammlung als Frucht zwanzigjähriger Erfassungs- und Forschungstätigkeit des Leiters dieser Abteilung seit 1969, Christian von Heusinger. Wer dieses Buch zur Bestandserschließung nutzen will, sieht sich allerdings mit einer komplizierten Disposition konfrontiert, die weitgehend sammlungsgeschichtlichen Aspekten folgt. Der herausgebende Direktor des Museums, Jochen Luckhardt, sucht in seinem Vorwort diesem möglichen Unbehagen vorzubeugen: "Die Publikation ist somit ein Gesamtkatalog eher im Sinne eines archivalischen Findbuches und kann nähere Objekterläuterungen nur für die bereits 1992 in Auswahl veröffentlichten Zeichnungen vor 1600 einbeziehen". Ob nun der Vergleich der noch im einzelnen zu erläuternden Struktur dieses Buches mit einem archivischem Findbuch den Geschmack eines Archivars treffen würde, sei dahin gestellt. Gewiß aber muß dieses Buch den Historiker, speziell den Landeshistoriker interessieren, denn der Autor folgt in einer solchen Intensität der Sammel- und Ordnungstätigkeit der Herrschenden (auch deren Unverständnis) sowie der im Kultur- und Museumsbereich Tätigen, dass sich hier Landes- und Kulturgeschichte von den Zeiten Karls I. bis in die 30er Jahre des 20. Jahrhunderts widerspiegelt. Auch der zwanzigjährige Umgang des inzwischen pensionierten Abteilungsleiters dieser Sammlung und Autors dieses Buches kann als zwischen den Zeilen erahnbare Kulturgeschichte des ausgehenden 20. Jahrhunderts verstanden werden.
Das vorliegende, opulent gestaltete Buch gliedert sich in acht Abteilungen, deren Struktur der Autor in seiner Einleitung kurz erläutert. Die erste ist dem Aufbau und dem Ordnungssystem der Handschriftensammlung Herzog Karls I. gewidmet. Sonderabschnitte gelten den Provenienzen der Sammelbände und der illustrierten Handschriften, weiterhin dem Nachlaß von Johann Oswald Harms, den gemalten Blumen, Vögel- und Tierbüchern und schließlich der Weiterentwicklung zwischen 1765-1773 und 1775-1815. Die Einzelvorgänge, etwa die Ablieferung von Kupferstichen und Handschriften aus der Herzoglichen Bibliothek zu Wolfenbüttel an die Handschriftensammlung des Herzogs auf dessen Befehl durch G. E. Lessing 1771, werden präzise und quellennah dargestellt. Einbezogen ist das gerade für diese Epoche "außerordentlicher" Anstrengungen zur Vermehrung der Sammlung charakteristische Spannungsverhältnis von Ordnungssystem und Erschließungsmitteln. Im "Anhang I" sind charakteristische Aktenauszüge wiedergegeben.
Der zweite, relativ umfangreiche Abschnitt, S. 49-168, beinhaltet den "Katalog der Sammelbände und Handschriften Nr. 1-79". Hier wird die Sammlung des 18. Jahrhunderts vorgestellt und bandweise kurz erläutert. Dieser auch inventartechnisch-methodologisch bemerkenswerte Abschnitt, kann hier nicht in seinem Inhaltsreichtum und in seiner Schlüsselrolle für den Umgang mit Kunst in dieser Zeit ausgelotet werden. Der Band 1a etwa erfaßt die fürstlichen Kinderzeichnungen und führt in die Eigenarten der höfischen Erziehung. Im gesamten Abschnitt sind Nachweise anderer Institute, Literatur und Hinweise von Spezialisten eingearbeitet.
Der dritte und vierte Abschnitt geht den Veränderungen des 19. bzw. 20. Jahrhunderts nach, etwa den spannenden Prozeduren der "Verbringung" von Sammlungsstücken nach Paris und der partiellen Rückgewinnung 1814-1815. Der französische Intendant Martial Daru (dessen Großporträt das Braunschweigische Landesmuseum vor einiger Zeit ankaufen konnte) hatte schon acht Tage nach seinem Eintreffen in Braunschweig, so erfährt man auf S. 169, angekündigt, daß er Befehl habe, das Beste der Kunstschätze nach Paris schaffen zu lassen. Diese Epoche des Kunstraubs endete am 5. 8. 1815 in Paris mit der Rückgabe u. a. auch zahlreicher Zeichnungen, deren Übergabeverzeichnis als "Anhang II" S. 185-189 abgedruckt ist. In einem "Anhang III" beschreibt der Autor die Verzeichnung der 1928 von der Herzog August Bibliothek überwiesenen Handzeichnungssammlung. Von Reinhold Wex verfaßt, folgt der Abschnitt über die Schenkung der Gesellschaft der Freunde Junger Kunst 1933 und das, was das Kunstbewußtsein der "wildgewordenen Kleinbürger" jener Zeit an Verlusten für die modeme Kunst bescherte; Einblicke in den Verhaltensstil der Museumsverantwortlichen sind ablesbar.
Als sechster bis achter Abschnitt werden Sonderverzeichnisse wiedergegeben: eines über "Die Handzeichnungen der Wolfenbütteler Hofmaler in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts" in Anlehnung an die schon längere Zeit vorhandene Mappe "Prag - Wolfenbüttel" und an die entsprechende Sonderausstellung des Kupferstichkabinetts 1989: ein sichtendes Verzeichnis im Sinne der Hofkulturforschung. Dann folgt das Verzeichnis der Stammbücher und Stammbuchblätter. Den Abschluß macht ein Auswahlverzeichnis, nämlich der im Tafelband I von 1992 abgebildeten Handzeichnungen, die also hier kommentiert werden (Zeichnungen des 14. und 15. Jahrhunderts, und Deutsche, Italienische, Französische und Niederländische Zeichnungen).
Register, getrennt nach Künstlern, Personen und Orten mit Sachen runden ein Buch ab, das sowohl historiographisch als auch quellenkundlich bemerkenswert, dabei subtil geschrieben ist. Die ganze Fülle der Hinweise auf Phänomene der braunschweigischen Landes- und Kulturgeschichte wird sich erst nach und nach im Rahmen der Nutzung dieses eindrucksvollen Werkes erschließen.
Empfohlene Zitierweise:
Christof Römer: Rezension von: Christian von Heusinger: Die Handzeichnungssammlung. Geschichte und Bestand. Katalog zu Tafelband I. Mit einem Beitrag von Reinhold Wex, Braunschweig: Limbach 1997, in: INFORM 1 (2000), Nr. 2, URL: <http://www.sehepunkte.de/inform/reviews.php?id=352>
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