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Jutta Prieur (Hg.): Humanismus als Reform am Niederrhein. Konrad Heresbach 1496-1579 (Ausstellung Wesel, Willibrordidom, Heresbachkapelle 11. Oktober - 17. November 1996; Düsseldorf, Stadtmuseum 5. Februar - 9. März 1997) (= Schriften der Heresbach-Stiftung Kalkar; 5), Bielefeld: Verlag für Regionalgeschichte 1996, 240 S., ISBN 3-89534-194-0, DM 38,00

Meinhard Pohl (Hg.): Der Niederrhein im Zeitalter des Humanismus. Konrad Heresbach und sein Kreis (= Schriften der Heresbach-Stiftung Kalkar; 5), Bielefeld: Verlag für Regionalgeschichte 1997, 192 S., ISBN 3-89534-211-4, DM 38,00

Aus: Rheinisch-westfälische Zeitschrift für Volkskunde 43 (1998)

Rezensiert von:
Peter Arnold Heuser
Bonn

Die beiden angezeigten Publikationen entstanden aus Anlaß eines 500 Jahr-Gedenkens an Dr. leg. Konrad Heresbach (*1496, +1576), ein Mitglied des humanistischen Ratskreises, den die Herzöge von Jülich-Kleve-Berg-Mark-Ravensberg und Ravenstein Johann III. (1511/21-1539) und Wilhelm V. (1539-1592), der Reiche, in der Regierung ihres niederrheinisch-westfälischen Länderverbundes versammelten. Dieser Ratskreis beschäftigt die Forschung seit den Anfängen einer wissenschaftlichen Geschichtsschreibung im 19. Jahrhundert. Grund für das langanhaltende Forschungsinteresse ist einerseits das unter den beiden Herzögen gestiegene politische Gewicht der "Vereinigten Lande", andererseits der Beitrag, den die herzoglichen Räte zur jülich-klevischen Kirchenpolitik einer "via media" zwischen den entstehenden Konfessionskirchen leisteten. Diese Politik "zwischen den Konfessionen" wurde in den "Vierlanden" bis in die 1560er und 1570er Jahre fortgeführt und trug dazu bei, daß der Raum der "Vereinigten Herzogtümer" bis heute eine komplizierte konfessionelle Landkarte aufweist.

1867 veröffentlichte Albrecht Wolters seine Studie Konrad von Heresbach und der Clevische Hof zu seiner Zeit nach neuen Quellen geschildert. Ein Beitrag zur Geschichte des Reformationszeitalters und seines Humanismus (Elberfeld 1867). Die Arbeit ist zwar mittlerweile in vielerlei Hinsicht veraltet, bleibt aber wegen der Qualität der geleisteten Quellenarbeit bis heute wertvoll. Seither ist Heresbach das Musterbeispiel für die vielseitigen gelehrten Interessen, das humanistische Profil und das geistige Format jülich-klevischer Räte im 16. Jahrhundert. Der Sohn eines Hofbesitzers im bergischen Amt Mettmann, der früh die Aufmerksamkeit und die Förderung des Erasmus von Rotterdam fand, setzte sich 1521-1523 als erster Inhaber eines Lehrstuhls für Gräzistik an der vorderösterreichischen Universität Freiburg im Breisgau für die humanistische Ausbreitung des Griechischstudiums ein. Seit 1523 gewann Heresbach als Erzieher des jülich-klevischen Erbprinzen Wilhelm, seit 1535 auch als klevischer Rat der Herzöge Johann III. und Wilhelm V., seines ehemaligen Schülers, Einfluß auf die Politik der "Vereinigten Herzogtümer".

Beide Neuerscheinungen reflektieren die Lebensgeschichte, das gelehrte Profil und die Tätigkeitsfelder Heresbachs innerhalb der politisch-administrativen Führungsgruppe der "Vereinigten Herzogtümer". Aufsätze und Katalogartikel erinnern an Heresbachs Wirken im Schnittfeld von Reformation, Konfessionalisierung, frühmoderner Staatsbildung, römisch-rechtlicher Rezeption, Humanismus und Agrarwissenschaft. Durchwegs auf hohem Niveau vermitteln sie den aktuellen Stand landesgeschichtlicher Forschung. Zugleich bleiben die Aufsätze und Katalogbeiträge einem breiteren, geschichtlich interessierten Publikum zugänglich.

Sowohl der Katalog- als auch der Tagungsband zeichnen sich durch die Bündelung mehrerer Forschungsfelder zu einem übersichtlichen, anschaulichen Gesamtbild aus. Den traditionellen Forschungsschwerpunkten seit dem 19. Jahrhundert entsprechend, nehmen Studien zur jülich-klevischen Kirchenpolitik neben biographischen Übersichtsdarstellungen (Walter Stempel, Meinhard Pohl und Tobias Arand in: Prieur 1996, S. 14-47; Franz Irsigler in: Pohl 1997, S. 93-110) breiten Raum ein: Martin Breidert analysiert Heresbachs Glaubensbekenntnis (in: Prieur 1996, S. 79-90), Wilhelm Janssen betont Kontinuitäten zwischen der vor- und der nachreformatorischen Kirchenpolitik der jülich-klevischen Herzöge (in: Pohl 1997, S. 9-34), Hansgeorg Molitor (in: Pohl 1997, S. 37-55) und Heribert Smolinsky (in: Pohl 1997, S. 57-72) spüren zum Teil kontrovers den politischen und geistigen Hintergründen der kirchenpolitischen "via media" in Jülich-Kleve-Berg nach. Molitors Warnung, die jülich-bergische Kirchenpolitik wie bisher als "erasmianisch" zu etikettieren, verdient, im weiteren Forschungsdiskurs aufgegriffen zu werden.

Seit Wilhelm Abel 1970 auf die Bedeutung Heresbachs als Agrarschriftsteller hinwies [Wilhelm Abel: Conrad Heresbach (1496-1576), in: Günther Franz und Heinz Haushofer (Hgg.), Große Landwirte, Frankfurt/M. 1970, S. 4-18], findet Heresbach vermehrt das Interesse der Agrargeschichtsforschung. Aufsätze von Ulrich Schütte (Landgebäude, Landleben und Landwirtschaft in den "Vier Büchern über die Landwirtschaft" von Konrad Heresbach 1570, in: Prieur 1996, S. 68-78) und Jürgen Blusch (Humanist und Fachschriftsteller. Konrad Heresbach über Jagd und Landwirtschaft, in: Pohl 1997, S. 147-164) führen in den agrarhistorischen Forschungsstand ein. Auch das pädagogische Wirken Heresbachs einschließlich der Schul- und Universitätspolitik der jülich-klevischen Räte findet Beachtung (Clemens Graf von Looz-Corswarem: Das Monheimische Gymnasium in Düsseldorf und die geplante Universität zu Duisburg im 16. Jahrhundert, in: Pohl 1997, S. 167-186).

Der Forschungsfortschritt, den beide Publikationen repräsentieren, liegt vornehmlich in Neubewertungen (vor allem in der Korrektur konfessionalistischer und nationalistischer Fehlurteile der frühen Heresbach-Biographen), weniger in neuen Quellenfunden. Immerhin bietet Martin Wilhelm Roelen mit seiner Rekonstruktion der Stiftungsbibliothek Heresbachs und ihres Schicksals bis zur Gegenwart (in: Prieur 1996, S. 97-129) eine wertvolle Quellenstudie, zu der Heinz Finger erste Auswertungen beisteuert (in: Pohl 1997, S. 113-144).

Die Defizite der vorgelegten Heresbach-Studien sollen nicht verschwiegen werden. Markieren die perspektivischen Einschränkungen der Sammelbände doch zum Teil traditionelle "Leerstellen" der niederrheinischen Humanismusforschung, deren Überwindung ein Desiderat ist. Nur am Rande sei mit Bedauern vermerkt, daß kein fachkundiger Beiträger gewonnen wurde, der Heresbachs Leistung als Gräzist und als Herausgeber antiker Texte durch Studien zur "Machart" der Editionen selbst, zu Heresbachs Drucker- und Verlegerkontakten in Köln und Basel sowie zur zeitgenössischen Rezeption seiner philologischen Arbeiten würdigt.

Das größte Defizit der vorgelegten Gedenk-Publikationen liegt im Verzicht darauf, das fachjuristische Profil Heresbachs und seiner Ratskollegen zu erforschen. Zwar korrigiert Heinz Finger das alte Fehlurteil Wolters, Heresbach, der Held seiner Biographie, sei "der einzige Jurist von Bedeutung am Hofe" der vereinigten niederrheinischen Territorien gewesen (in: Pohl 1997, S. 136f). Eine Rekonstruktion der juristischen Ausbildungsgänge und der juristischen Praxis jülich-klevischer Juristen des 16. Jahrhunderts unterbleibt dennoch. Der Aufsatz Die Juristen des Herzogs und der Hof von Dieter Scheler (in: Pohl 1997, S. 75-90) füllt die Forschungslücke nicht auf. Denn Scheler betrachtet die jülich-klevischen Juristen "aus der Sicht eines Mediävisten [...], der sich mit dem Jahrhundert vor Konrad Heresbach beschäftigt". Er studiert "eher den Adel als die gelehrten bürgerlichen Räte" (ebd., S. 75). Angesichts einer jahrzehntelangen Forschungstradition, die das kirchenpolitische Wirken und die konfessionelle Orientierung der Räte in das Zentrum ihres Interesses rückte, ist es an der Zeit, daran zu erinnern, daß Heresbach in erster Linie studierter und graduierter Jurist war. Er verdient durchaus, auch in seinem "Hauptfach", seinem eigentlichen Studien- und Berufsfeld, vom historischen Betrachter ernst genommen und mit Sorgfalt untersucht zu werden. Dasselbe gilt für seine jülich-klevischen Ratskollegen. Um künftige Forschungen anzuregen, sei deshalb mit wenigen Beispielen angedeutet, welche Erkenntnispotentiale eine konsequente Erforschung des juristischen Profils Heresbachs (aber auch seiner Ratskollegen) für ein verbessertes Verständnis von Humanismus und Späthumanismus am Niederrhein birgt.

Wie unzureichend selbst der fachjuristische Ausbildungsgang Heresbachs noch immer erforscht ist, zeigt beispielhaft die Tatsache, daß beide Neuerscheinungen konsequent den 22. Oktober 1522 als Datum seiner Promotion zum "Doktor legum" in Ferrara nennen (Prieur 1996, S. 15, 32, 145; Pohl 1997, S. 96, 132). Dieses Datum hatte Albrecht Wolters 1867 in seiner Heresbach-Biographie präsentiert (Wolters, wie oben, 1867, S. 29, 248-251). Giuseppe Pardi korrigierte das von Wolters offenbar verlesene Datum bereits 1901 in seiner verdienstvollen Quellenübersicht Titoli dottorali conferiti dallo Studio di Ferrara nei secoli XV e XVI [Lucca 1901 (ND Bologna 1970), S. 101f] anhand der Promotionsakten in Ferrara. Danach wurde "Coradus Henbachius [!], germanus" am 22. Oktober 1532, also erst während Heresbachs sicher bezeugtem zweiten Italienaufenthalt [!], in Ferrara von "Vergilius de Silvestris legens ordinariam in civ. de sero" "in iure civile" promoviert, nachdem er nachgewiesen hatte, zuvor juristische Studien in Köln, in Orl‚ans, in Freiburg im Breisgau, in Pisa und Bologna betrieben zu haben ("Studi frequentati: Colonia, Aurelium, Friburgum, Pisa et Bononia"). Auch der verdienstvolle Universitätshistoriker und Kölner Stadtarchivar Hermann Keussen führte bereits im Jahre 1919 Gründe an, weshalb das von Wolters genannte Promotionsdatum 1522 nicht korrekt sein könne: Vgl. Die Matrikel der Universität Köln. Zweiter Band 1476-1559. Bearbeitet von Hermann Keussen, Bonn 1919 (ND Düsseldorf 1979), S. 701.

Grobe Fehlurteile der Beiträger, sobald sie juristische Fachmaterien berühren, illustrieren meine These, daß Heresbach als Jurist noch ganz unzureichend gewürdigt worden ist. Beispielsweise konstruiert Heinz Finger völlig zu Unrecht einen Gegensatz zwischen Heresbach und dem Köln-Marburger Humanisten-Juristen Johannes Oldendorp (*1488, +1567) in der Frage, wie Wiedertäufer zu bestrafen seien. Während Oldendorp auf dem Hansetag 1535 öffentlich vor einer allzu undifferenzierten Verfolgung der Wiedertäufer warnte, habe Heresbach die "(Kapital-)Strafbarkeit der bloßen Mitgliedschaft bei anabaptistischen Konventikeln" verfochten (Finger, in: Pohl 1997, S. 139). Fingers Behauptung entbehrt jeder Quellengrundlage. Im Gegenteil: als Heresbach 1534-1536 für seinen früheren Mentor Erasmus von Rotterdam einen Bericht über die Geschichte des Täuferreiches von Münster schrieb, lobte er das maßvolle Verhalten seines Herzogs. Johann III. von Jülich-Kleve-Berg habe "noch keinem das Leben genommen, weil er Wiedertäufer war, während in unsern Nachbarlanden, fürstlichen, kaiserlichen und bischöflichen, ohne Ausnahme jeder, welcher der Lutherischen oder irgend einer anderen Lehre anhängt, als Ketzer zur Schlachtbank geschleppt wird, jeder Sakramentsschänder und Wiedertäufer Lutheraner heißt und, wer eine Bibel liest oder nur besitzt, als Ketzer behandelt wird." [s. K. W. Bouterwek (Hg.): Conradi Heresbachii Historia Factionis Excidiique Monasteriensis, Elberfeld 1866, S. 19: "Hactenus a principe nullus capitaliter mulctatus est, eo metu ne insontem morte condemnaret, malens nocentes aliquot elabi quam innoxios ad supplicium rapi. nam a vicinis principibus et Caesaris atque ecclesiasticorum ditionibus citra delectum quicunque vel Lutheranae vel alterius doctrinae sectatores fuerint tanquam haeretici ad lanienam trahuntur, omnes Lutheranos appellitantes tam sacramentarios quam anabaptistas, perinde atque eos qui sincerae doctrinae evangelii studiosi sunt, constitutis in hoc corycaeis, ita ut, si Christi nostri servatoris verbum quis vel legere vel habere vel contra homuncionum quorundam somnia mutire ausit, continuo haeretici ponis constitutionique Caesareae obnoxius insimuletur atque habeatur."]

Ein hartes Vorgehen gegen Ketzer und Wiedertäufer, wie es Heresbach in Nachbarterritorien der "Vereinigten Herzogtümer" kennenlernte, verstieß seiner Meinung nach gegen das Prinzip der Billigkeit [s. Bouterwek 1866, S. 19f: "Haud scio quibus legibus forte aut quo aequitatis kai ths epieikeias exemplo id faciant, sive ecclesiasticas sive civiles sanctiones, quantumvis sanguine scriptas, respicias. neque enim ea doctrina, quam ipse adhuc vel legi vel audivi Lutheri esse, ullum habet dogma, quod ab ecclesia vel legibus haereticum sit declaratum. iam autem, si quis hanc privatim ac sibi legat neque citra vocationem doceat nec magistratuum maiestas offendatur, quo pacto hic haereticus dici possit non video."] Mit seinem Verweis auf das Prinzip der "aequitas" bzw. "epieikeia" nahm Heresbach an der lebhaften Debatte zeitgenössischer Humanisten-Juristen über Recht und Billigkeit teil [Dazu und zur moralphilosophischen Aufladung der Jurisprudenz im Zeitalter des Humanismus s. besonders Guido Kisch: Erasmus und die Jurisprudenz seiner Zeit. Studien zum humanistischen Rechtsdenken, Basel 1960 (Basler Studien zur Rechtswissenschaft, Heft 56), passim; außerdem Jean-Louis Thireau: Charles Du Moulin (1500-1566). Étude sur les sources, la méthode, les idées politiques et économiques d'un juriste de la Renaissance, Genève 1980 (Travaux d'Humanisme et Renaissance No. 176), S. 81-91]. Juristisches Handeln im Sinne der "aequitas" hieß für Heresbach, die Gesetze im Sinne seiner Vorstellung von Humanität auszulegen, lief bei ihm somit auf eine Milderung der Härte der Gesetze bei der Rechtsanwendung hinaus. Die Hinrichtung von Täufern und anderen Ketzern war nach seiner Ansicht nur zu rechtfertigen, wenn sie Landesverrat begangen und sich als "Aufrührer, Majestätsverbrecher und Plünderer" gegen die "lex Julia maiestatis" vergangen hätten. Alle Täufer hingegen, die sich nicht gegen die staatliche Ordnung auflehnten, sondern still und zurückgezogen ihre abweichenden religiösen Meinungen kultivierten, sollten nach Heresbachs Ansicht ausschließlich "mit dem Schwert des Wortes Gottes" bekehrt werden: "Denn es gilt Irrtümer, nicht aber Menschen auszurotten," argumentierte Heresbach. Vgl. dazu Bouterwek 1866, S. 20: "Caeterum in nostri temporis anabaptistas, non uno modo haereticos sed et seditiosos ac blasphemos, veterum imperatorum constitutionibus, tum recenti Caesaris edicto, poenam constitutam principes ac magistratus recte exequuntur. siquidem blasphemiam etiam magistratus e Dei mandato punire debet. alioqui simpliciter rebaptizati, quales reperiuntur aliqui seducti et innocentia vitae commendabiles, verbi Dei gladio revincendi et quidvis apud hos tentandum ante quam ad sanguinem veniendum. ita ut haereses potius quam homines tollantur."

Zu demselben zeitlos aktuellen Grundsatz von Humanität und Toleranz bekannte sich Heresbach noch in seiner Christianae Iurisprudentiae epitome, die 1586 posthum publiziert wurde. Darin äußerte er sich zur Bestrafung der "Haeretici, Apostatae, Athei, Schismatici", die gegen das erste Gebot verstoßen, mit den Worten "23. Errores per doctrinam potius extirpandi, quam homines tollendi." (Vgl.: Christianae Ivrisprvdentiae Epitome. Avctore D. D. Conrado Heresbachio, Diuini humanique Iuris Consulto, Illustrißimi Ducis Iuliacensis, Cliuensis, Montensis, ¦c. Consiliario. [...] Neostadii in Palatinatv, Typis Matthaei Harnisch. M. D. LXXXVI, S. 28.)

Schon das willkürlich herausgegriffene Beispiel von Heresbachs Umgang mit der Täufer-Problematik zeigt, daß es sich gelohnt hätte, einen profilierten Kenner der humanistischen Jurisprudenz des 16. Jahrhunderts in Frankreich und im Reich an den rezensierten Heresbach-Publikationen zu beteiligen. Beispielsweise hätten Studien zum Einfluß, den die "aequitas"-/ "epieikeia"-Konzeption des Erasmus von Rotterdam auf Heresbach oder auf andere niederrheinische Humanisten-Juristen wie Dr. jur. utr. Jakob Omphalius oder Dr. leg. Johannes Oldendorp ausübte, einen bisher unbeachteten, aber ertragreichen Zugang zu den "erasmischen" Anteilen in Heresbachs Denken freilegen können, die die Forschung bisher mit großer Einseitigkeit immer nur aus den kirchenpolitischen Aktivitäten der jülich-klevischen Herzöge und ihres Ratskreises zu erschließen sucht.

Außerdem hätte gezeigt werden können, wie tief der Freiburger Schüler des Humanisten-Juristen Ulrich Zasius in die Wissenschaftsdiskurse der frühen humanistischen Jurisprudenz und des entstehenden "mos docendi gallicus" der französischen Rechtsschule von Bourges verstrickt war. Das belegen Heresbachs Schriften und selbst Marginalien in den wenigen überlieferten Briefen Heresbachs ausdrucksstark. Exemplarisch verweise ich auf das bemerkenswert frühe Interesse, das Heresbach für die entstehende juristische Byzantinistik aufbrachte. Bereits mehrere Jahre, bevor Gregor Haloander in Italien seine vielbeachtete Nürnberger Ausgabe des Corpus iuris civilis vorbereitete, die 1529-1531 bei Koberger erschien und außer einem kritischen Text der Institutionen, der Digesten und des Codex erstmals 1531 die griechischen Novellen Justinians edierte [Hans Erich Troje: Graeca leguntur. Die Aneignung des byzantinischen Rechts und die Entstehung eines humanistischen Corpus iuris civilis in der Jurisprudenz des 16. Jahrhunderts, Köln/Wien 1971 (Forschungen zur neueren Privatrechtsgeschichte, Band 18), S. 56, 62f], ließ der jülich-klevische Prinzenerzieher Heresbach in Italien nach unpublizierten griechischen Rechtsquellen fahnden, beteiligte sich also außerordentlich früh an den Bemühungen humanistischer Juristen, den Urtext des Corpus iuris civilis zu rekonstruieren. Im Dezember 1525 bat er seinen Kölner Mitstudenten, Freund und späteren jülich-klevischen Ratskollegen Johann von Vlatten, der sich zur Fortsetzung seiner Rechtsstudien in Bologna aufhielt, dort nach einer griechischen Version der justinianischen Institutionen zu forschen, von deren Existenz der Florentiner Humanist Angelo Poliziano in seinen Miscellanea dunkle Andeutungen gemacht hatte [Otto R. Redlich: Freundesbriefe Conrads von Heresbach an Johann v. Vlatten (1524-1536), in: Zeitschrift des Bergischen Geschichtsvereins 41 (1908), S. 160-184, 172: "Intellexi isthic latere apud quosdam institutiones Justiniani Graece scriptas, quarum etiam meminerit Politianus."].

Zwar verlor Heresbach, der weit entfernt von allen erhaltenen Handschriften der "griechischen Institutionen" als Prinzenerzieher am Niederrhein "festsaß", das "Rennen" um die Wiederentdeckung der "griechischen Institutionen". Dr. jur. Viglius van Aytta van Zuichem (*1507, +1577), ein Schüler und Mitarbeiter des frühen Humanisten-Juristen Andrea Alciati, kam ihm um wenige Monate zuvor. Dennoch bleibt beachtlich, daß Heresbach überhaupt schon 1525 in der Lage war, sich durch sein Handeln an diesem Diskurs eines kleinen Kreises früher Humanisten-Juristen zu beteiligen, der wenige Jahre später zur Wiederentdeckung der sogenannten "Theophilusparaphrase" der justinianischen Institutionen führte. Andrea Alciati, einer der Gründervater der humanistischen Jurisprudenz des "mos gallicus" in Frankreich, hatte mit seinen Frühschriften diesen humanistisch-juristischen Spezialisten-Diskurs angestoßen. Als erster Jurist nach Ludovico Bolognini wertete Alciati die Varianten zum Vulgattext der Digesten textkritisch aus, die der Florentiner Humanist Angelo Poliziano aus der berühmten Florentiner Pandektenhandschrift notiert hatte (dazu Troje, wie oben, 1971, S. 18-22), und publizierte seine textkritischen Erkenntnisse 1518 in den Paradoxa und Dispunctiones, die von vielen Juristen in Europa, die an einer Erneuerung der Rechtswissenschaft aus humanistischem Geist interessiert waren, beachtet wurden. Ohne eine genaue Kenntnis der einschlägigen Polizian- und Alciati-Textstellen ist Heresbachs Such-Initiative des Jahres 1525 nicht zu verstehen.

Als Andrea Alciati im August 1531 seinen Lehrstuhl in Bourges verließ, um nach Mailand zurückzukehren, hatte Viglius van Aytta zunächst dessen Vorlesungen in Bourges weitergeführt. Mit dem Ziel, antike Rechtsquellen zu erforschen, brach Viglius jedoch im Herbst 1531 zu einer Italienreise auf. Unterstützt von dem Ciceronianer Pietro Bembo und dem venezianischen Bibliothekar der "Marciana" Johannes Baptist Egnatius gelang es ihm 1532 oder 1533, in Venedig die griechische Paraphrase der Institutionen Justinians aus der Feder des Juristen Theophilus aufzufinden. 1534 publizierte Viglius van Aytta seinen Fund in Basel (Zur Bedeutung der Basler Edition der sogenannten Theophilusparaphrase durch Viglius van Aytta 1534 für die juristische Byzantinistik s. Troje, wie oben, 1971, S. 232, 243-254). Im September 1532 folgte Heresbach seinem wissenschaftlichen Konkurrenten nach Italien, nachdem er im Auftrag des Herzogs von Jülich-Kleve-Berg in Freiburg seinen alten Mentor Erasmus von Rotterdam besucht hatte. Über Konstanz, Chur, Mailand, Pavia und Piacenza reiste Heresbach nach Ferrara, wo er - wie bereits erwähnt - am 22. Oktober "per saltum" promovierte. Wenig später tauchte er bei Viglius van Aytta in Padua auf, dem er einen Brief von Erasmus überbrachte [Opus Epistolarum Desiderii Erasmi Roterodami. Bearbeitet von Percy Stafford Allen, Helen Mary Allen, Heathcote William Garrod, Band 10, Oxford 1941, Nr. 2753. - Die Amerbachkorrespondenz. Herausgegeben von Alfred Hartmann, Band 4, Basel 1953, S. 188f, Nr. 1719 (1533 Febr. 22)]. Wahrscheinlich fand er Viglius, der 1532-1533 an der Juristenfakultät Padua die Institutionen las, schon im Besitz des ersehnten Schatzes vor, denn Viglius' Vorrede zur Basler Edition der Theophilusparaphrase, die Karl Erich Troje "die erste größere Programmschrift der juristischen Byzantinistik" genannt hat, datiert bereits vom 31. Mai 1533 (Troje, wie oben, 1971, S. 247f). Seinen Korrespondenzpartnern Johannes Coler und Bonifazius Amerbach berichtete Viglius im Februar 1533, Heresbach halte sich in Oberitalien auf und sei hauptsächlich deshalb nach Italien gekommen, um nach griechischen Rechtsquellen zu forschen [Roderich Stintzing: Geschichte der Deutschen Rechtswissenschaft, Erste Abtheilung, München/Leipzig 1880 (Geschichte der Wissenschaften in Deutschland. Neuere Zeit, 18/1), S. 229f].

Heresbachs frühes Interesse für die juristische Byzantinistik weist ihn eindrucksvoll als einen humanistischen Juristen aus, der mit den rechtswissenschaftlichen Anliegen eines Guillaume Bud‚, eines Andrea Alciati und eines Ulrich Zasius bestens vertraut war. In dieselbe Richtung deutet sein frühes Interesse für Lorenzo Valla (*1407, +1457) und Angelo Poliziano (*1454, +1494), die beiden wichtigsten Vordenker einer humanistisch reformierten Jurisprudenz im Florentiner Quattrocento (Guido Kisch, Studien zur humanistischen Jurisprudenz, Berlin/New York 1972, S. 18). Heresbach gab 1526 und 1527 in Köln die lateinischen Herodot- und Thukydides-Übersetzungen Vallas in korrigierten Ausgaben heraus. Seine Ausgabe der Geschichte der Perserkriege von Herodot erfuhr Nachdrucke in Lyon, in Basel und in Köln bis ins frühe 17. Jahrhundert.

Auch die bereits erwähnte rechtssystematische Schrift Christianae iurisprudentiae epitome, die Heresbachs Neffe, Erbe und Testamentsvollstrecker, der Reichskammergerichts-Assessor und Advokat der Reichsstadt Straßburg Dr. jur. Johann Nervius (*1525, + vor 1589) posthum 1586 aus dem Heresbach-Nachlaß veröffentlichte, kennzeichnet Heresbach als einen profilierten Humanisten-Juristen. Ihr rechtswissenschaftlicher Rang, den die Forschung bisher nur unzureichend zur Kenntnis genommen hat, erschließt sich nicht ohne eine genaue Kenntnis der Weiterentwicklung, die die "mos gallicus"-Jurisprudenz der Rechtsschule von Bourges bis in die 1550er Jahre nahm. Charakteristisch ist schon Heresbachs Aufforderung an den ehemaligen Juraprofessor in Bourges Fran‡ois Bauduin (in der Einleitung zur Epitome), den vorgelegten rechtssystematischen Versuch zu einem geschlossenen Ganzen zu formen.

Die vorstehenden Andeutungen und Beispiele zeigen, wie sehr es Heresbach verdient, in Zukunft auch als innovativer, auf der Höhe des fachjuristischen Diskurses seiner Zeit stehender Jurist beachtet und erforscht zu werden. Heresbach war ein Jurist, der in glücklicher Weise rechtswissenschaftliche und philologisch-historische Kompetenz mit rechtspraktischer Tätigkeit und pädagogischem Interesse paarte. Seine Kenntnis fachjuristischer Diskurse hatte europäische Dimensionen. Es gibt also viel zu tun! Den pessimistischen Prognosen, die Heinz Finger für eine künftige Heresbach-Forschung gibt (in: Pohl 1997, S. 142ff), kann ich nur bedingt folgen.

Angesichts der schnellebigen "Anlaßkultur" des modernen Ausstellungs- und Tagungsbetriebes ist es unvermeidlich, daß sich Unachtsamkeiten und kleine Fehler in die Text- und Katalogbeiträge einschleichen. Ich beschränke mich darauf, aus jedem besprochenen Band ein Beispiel zu geben: a) Die Jesuiten formten in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts nicht die Kronenburse, die zur Juristenfakultät der Kölner Universität gehörte, zum Gymnasium "Tricoronatum" um (Molitor, in: Pohl 1997, S. 40), sondern die alte Kuckanerburse. b) Der Katalog der Heresbach-Ausstellung 1996 bespricht unter der Katalognummer B 24 - mit mehreren Fehlern im Detail - die kurkölnischen Bemühungen um eine "Reformation" der kirchlichen Mißstände, die 1538 zur Publikation der Reformdekrete der Kölner Provinzialsynode von 1536 und des Enchiridion christianae institutionis des Dr. leg. Johannes Gropper führten (in: Prieur 1996, S. 173). Im dazugehörigen Bild (Abb. 42) aber wird nicht das kirchliche Reformwerk, sondern die kurkölnische Rechtsreform aus demselben Jahr gezeigt: "Des Ertzstiffts Coeln Reformation dere weltlicher Gericht, Rechts und Pollicey".

Die angezeigten Bücher geben - im Ganzen betrachtet - einen ebenso informativen wie gut lesbaren Überblick über die Heresbach-Forschung und über die Geschichte der "Vereinigten Herzogtümer" im 16. Jahrhundert. Zu wünschen wäre aber, daß sich die regionalgeschichtliche Forschung auch bisher unbeachteten, ertragreichen Studien- und Erkenntnisfeldern öffnet.

Eine fachkundige Erforschung des juristischen Profils jülich-bergischer und kleve-märkischer Räte im 16. Jahrhunderts würde nicht zuletzt der regionalen Humanismusforschung neue Impulse geben.

Empfohlene Zitierweise:

Peter Arnold Heuser: Rezension von: Jutta Prieur (Hg.): Humanismus als Reform am Niederrhein. Konrad Heresbach 1496-1579 (Ausstellung Wesel, Willibrordidom, Heresbachkapelle 11. Oktober - 17. November 1996; Düsseldorf, Stadtmuseum 5. Februar - 9. März 1997), Bielefeld: Verlag für Regionalgeschichte 1996, in: INFORM 1 (2000), Nr. 3, URL: <http://www.sehepunkte.de/inform/reviews.php?id=361>

Peter Arnold Heuser: Rezension von: Meinhard Pohl (Hg.): Der Niederrhein im Zeitalter des Humanismus. Konrad Heresbach und sein Kreis, Bielefeld: Verlag für Regionalgeschichte 1997, in: INFORM 1 (2000), Nr. 3, URL: <http://www.sehepunkte.de/inform/reviews.php?id=361>

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