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Helga Schnabel-Schüle: Überwachen und Strafen im Territorialstaat. Bedingungen und Auswirkungen des Systems strafrechtlicher Sanktionen im frühneuzeitlichen Württemberg (= Forschungen zur deutschen Rechtsgeschichte; Bd. 16), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 1997, X + 402 S., ISBN 3-412-06396-7, DM 88,00

Aus: Rheinisch-westfälische Zeitschrift für Volkskunde 43 (1998)

Rezensiert von:
Peter Arnold Heuser
Bonn

Die angezeigte Studie wurde im Wintersemester 1990/91 von der Geschichtswissenschaftlichen Fakultät der Eberhard-Karls-Universität Tübingen als Habilitationsschrift angenommen und 1992 mit dem Preis des Verbandes der Historiker Deutschlands für hervorragende Leistungen des wissenschaftlichen Nachwuchses ausgezeichnet.

Quellenbasis der Arbeit sind die Strafakten der württembergischen Ämter, die als geschlossener Bestand im Hauptstaatsarchiv Stuttgart liegen. Ihre Hauptmasse besteht aus den Kriminalakten des württembergischen Oberrates. Im Herzogtum Württemberg, wo nahezu die gesamte Bevölkerung der landesherrlichen Strafgerichtsbarkeit unterworfen war und es seit dem 16. Jahrhundert keine nennenswerte konkurrierende ständische Gerichtsbarkeit mehr gab, bildete sich früh ein zentralistisch ausgerichtetes System der Blutgerichtskontrolle aus, das den herzoglichen Zentralbehörden - dem Oberrat und dem Geheimen Rat - eine obligatorische Mitwirkung bei jedem Blutgerichtsverfahren und damit eine effektive Kontrolle der Tätigkeit der lokalen Malefizgerichte sicherte (S. 17-19).

Aus nachvollziehbaren Gründen schränkt Schnabel-Schüle ihren Untersuchungsraum nicht ein, untersucht also das gesamte Herzogtum Württemberg und wählt unter dem Aspekt der fortdauernden Geltung der Carolina im Herzogtum den Zeitraum von 1532 bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts als Langzeitperspektive ihrer Untersuchung. Zugleich konzentriert sie sich auf die Untersuchung ausgewählter "peinlicher" Delikttypen. Schnabel-Schüle untersucht "die Gewaltdelikte Mord, Totschlag, fahrlässige Tötung, die Eigentumsdelikte Diebstahl und Raub, die Sexualdelikte im weitesten Sinne, d. h. von der vorehelichen Schwängerung über Ehebruch, Bigamie bis zu Vergewaltigung, Sodomie und Homosexualität sowie die quantitativ nicht stark ins Gewicht fallenden, aber für das Gesamtprofil sehr wichtigen Delikte Gotteslästerung und Majestätsbeleidigung" (S. 23). Unbeachtet bleiben die Delikte Brandstiftung, Wilderei, Wucher, Hexerei/Zauberei, Kindestötung, Falschmünzerei und Duelldelikte sowie Injurien (S. 21-23).

Methodisch ist zu begrüßen, daß Schnabel-Schüle dazu aufruft, die "verfahrensrechtliche Seite der Strafpraxis sowie verfassungs- und verwaltungstechnische Voraussetzungen" (S. 12) der territorialen und städtischen Strafpraxis wieder vermehrt in Studien zur historischen Kriminologie zu integrieren. Ist doch der normative und institutionelle Rahmen der Strafpraxis seit den Forschungen Richard van Dülmens und seiner Schüler zunehmend in den Hintergrund des Erkenntnisinteresses der historischen Kriminalitätsforschung gedrängt worden. Dieselbe Forschungsrichtung schenkt auch der Art und Weise, wie frühneuzeitliche Gerichte Rechtsnormen auslegten und prozeßpraktisch nutzten, kaum Beachtung, da die Bearbeiter von Studien zur vormodernen Kriminologie mehrheitlich nicht fachjuristisch geschult sind. Die Hauptüberschriften der Arbeit dokumentieren den integrierenden Ansatz Schnabel-Schüles (A. Einleitung. - B. Der gesetzgeberische und institutionelle Rahmen der Strafgerichtsbarkeit. - C. Das Strafsystem. - D. Soziale und soziologische Rahmenbedingungen. - E. Verbrechen als Normverstöße. Die normsetzenden Rechtsquellen. - F. Die Gesellschaft und ihre Verbrechen), der erst im letzten Hauptabschnitt F zu einer quantitativen und qualitativen Untersuchung der ausgewählten Delikte führt.

Helga Schnabel-Schüle legt eine wichtige Studie vor. Sie fügt unserem Wissen um die langfristige Gestaltung und Praxis der "peinlichen" Gerichtsbarkeit in frühneuzeitlichen Flächenterritorien des Reiches, aber auch unserer Kenntnis der administrativ-institutionellen Rahmenbedingungen "peinlichen" Strafens einen festen südwestdeutschen "Eckstein" ein. Die Ergebnisse ihrer Arbeit müssen bei künftigen zwischenterritorialen Vergleichen Beachtung finden.

Empfohlene Zitierweise:

Peter Arnold Heuser: Rezension von: Helga Schnabel-Schüle: Überwachen und Strafen im Territorialstaat. Bedingungen und Auswirkungen des Systems strafrechtlicher Sanktionen im frühneuzeitlichen Württemberg, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 1997, in: INFORM 1 (2000), Nr. 3, URL: <http://www.sehepunkte.de/inform/reviews.php?id=363>

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