header

Kerstin Riedel / Sigrid Schmitt (Hg.): Das Protokollbuch des Niersteiner Rittergerichts (1654-1661). Herausgegeben in Zusammenarbeit mit dem Germanistisch-Historischen Arbeitskreis an der Universität Mainz (= Quellen und Forschungen zur hessischen Geschichte; Bd. 122), Darmstadt / Marburg: Hessische Historische Kommission Darmstadt und Historische Kommission für Hessen 1999, II + 206 S., ISBN 3-88443-074-2, DM 30,00

Aus: Nassauische Annalen (Bd. 111 (2000), S. 488-489)

Rezensiert von:
Andreas Bingener

Germanisten, Historiker und Volkskundler haben sich in den vergangenen Jahren vermehrt der Quellengruppe "Gerichtsbücher" zugewendet. Gerichtsbücher wurden von der Forschung in der Vergangenheit wegen ihrer vermeintlichen "Trockenheit" - ebenso wie die frühneuzeitlichen Abrechnungen - zu Unrecht vernachlässigt. Die Quellengattung bietet nicht nur für den Historiker Einblicke in das Rechtssystem auf lokaler Ebene, sondern dokumentiert in vielfältiger Weise das Alltagsgeschehen im 17. Jh. Eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe, bestehend aus Germanisten, Historikern und Volkskundlern fand sich mit interessierten Studenten zusammen, um über paläographische Übungen hinaus - letztere werden im universitären Alltag nur allzu häufig vernachlässigt - eine umfangreiche, kommentierte Teiledition des z.T. schwer entzifferbaren Protokollbuchs des Niersteiner Rittergerichts aus der Zeit von 1654 bis 1661 vorzulegen.

Das hier edierte Protokollbuch hat sich als einziges frühneuzeitliches Gerichtsbuch im Gemeindearchiv von Nierstein erhalten. Es ist in deutscher Sprache abgefaßt und deshalb für die Sprachwissenschaftler von großem Interesse. Das Gerichtsprotokollbuch beinhaltet verschiedene Arten von Texten. Man verzeichnete neben Verordnungen, die das Leben in der Gemeinde regeln sollten, vor allem Gerichtsfälle. Neben den kurzen, offenbar nachträglich erstellten Protokollen findet man im Niersteiner Rittergerichtsbuch umfangreiche Aufzeichnungen über die Anklage und die wörtlich wiedergegebenen Aussagen der Angeklagten und Zeugen.

Im Gegensatz zu den Ortsgerichten anderer Gemeinden saßen im Niersteiner Gemeindegericht Angehörige des ortsansässigen Niederadels über die Bevölkerung zu Gericht. Dies führte wiederholt zu Konflikten und zur Anrufung höherer Rechtsinstanzen seitens der betroffenen Kläger oder Angeklagten. In dem Protokollbuch finden sich Texte, die die politische Ordnung und die Sozialstruktur des Ortes Nierstein betreffen. Es gibt Hinweise auf die Landwirtschaft, insbesondere auf den Weinbau, sowie auf ländliches Brauchtum, auf Wohnen und Wirtschaften, auf Beschuldigungen und Anklagen wegen Hexerei.

Die Arbeit ist in drei Teile gegliedert. Der Edition wird eine Interpretation der Quelle aus Sicht der Historiker, Volkskundler und Germanisten vorangestellt. Die Texte des Protokollbuchs wurden nicht chronologisch abgedruckt, sondern auf drei Obergruppen verteilt: 1. Ordnungen; 2. Gemeindeangelegenheiten, 3. Gerichtsfälle. Die Bearbeiter legten der Edition (S. 82-184) eigene Richtlinien zugrunde (S. 79-81). Ein Literaturverzeichnis (S. 185-196), ein Abkürzungsverzeichnis (S. 197) und ein Personen- und Ortsregister (S. 198-205) vervollständigen die überaus interessante und anregende Arbeit. Zu Lasten der Endredaktion gehen allerdings die fehlerhaften Jahresangaben bei den Bildunterschriften. Auf S. 4 lautet die Jahreszahl 1657 (statt 1557), und auf S. 206 muß es heißen 1656 (statt 1556).

Empfohlene Zitierweise:

Andreas Bingener: Rezension von: Kerstin Riedel / Sigrid Schmitt (Hg.): Das Protokollbuch des Niersteiner Rittergerichts (1654-1661). Herausgegeben in Zusammenarbeit mit dem Germanistisch-Historischen Arbeitskreis an der Universität Mainz, Darmstadt / Marburg: Hessische Historische Kommission Darmstadt und Historische Kommission für Hessen 1999, in: INFORM 1 (2000), Nr. 4, URL: <http://www.sehepunkte.de/inform/reviews.php?id=371>

Bitte setzen Sie beim Zitieren dieser Rezension hinter der URL-Angabe in runden Klammern das Datum Ihres letzten Besuchs dieser Online-Adresse ein.

footer